Friedrich Nietzsche

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844–1900) wurde als Sohn eines Pfarrers in Röcken (damals Preußen, heute Sachsen-Anhalt) geboren, wuchs in rein weiblicher Gemeinschaft auf und wurde im Geiste protestantischer Frömmigkeit erzogen. Studierte klassische Philologie und liebte das griechische Altertum. Bereits mit 24 wurde er 1868 Professor in Basel, musste aber bereits mit 35, 1877, krankheitshalber in Pension gehen. 1889 fiel er in geistige Umnachtung. Viele philosophische Autoren und Philosophie-Professoren gehen aber davon aus, dass die Geisteskrankheit schon viel früher bei ihm auftrat, und dass seine – besonders späte – Philosophie sogar zu großen Teilen das Produkt seines  psychopathischen Innenlebens war. (Vermutet wird, dass ihm die Syphilis schleichend das Gehirn zerfressen hat.)

Ursprünglich Schüler Schopenhauers kam Nietzsche später zu vielfach entgegengesetzten Ansichten. Gemeinsam mit Schopenhauer war ihm, dass auch seine Philosophie eine Philosophie des Willens ist. Der einzige Philosoph, zu dem er sich später bekannt hatte, war  Heraklit. Alle Philosophie nach diesem betrachtete Nietzsche als Irrweg.

Glück, Wohlfahrt, Mitleid etc. waren für Nietzsche pöbelhafte Instinkte und Naivitäten. Sehr häufig grenzte er sich vom Eudämonismus der englischen  Utilitaristen, von  Sozialismus und Altruismus ab. Besonders griff er das Christentum und dessen Forderung der Nächstenliebe an und propagierte die Mitleidlosigkeit. Nietzsche wollte nicht das Leiden abschaffen, im Gegenteil: Er wollte es »schlimmer haben, als je es war«, da nur Leid eine Erhöhung der Menschen herbeiführen würde. (U. a. Jenseits von Gut und Böse, Aph 225.)

Der Nietzsche der frühen und mittleren Schaffensperiode war ein vielfach skeptizistischer und  aufklärerischer Schriftsteller, Philosoph und Psychologe, der auf Widersprüchlichkeiten und Scheinheiligkeiten in vorhandenen Weltanschauungen und Verhaltensweisen hinwies und in dessen Aphorismen man viele interessante Einsichten findet. Aber auch zu dieser Zeit klangen reaktionär-faschistische Gedanken mit an. Der Nietzsche der späten Schaffensperiode entwickelte sich dann zu einem geistigen Wegbereiter des Faschismus (in Deutschland in Form des Nationalsozialismus) und der  Menschenvernichtung. [Aus vielen Diskussionen und Emails weiß ich, dass viele seiner faschistoiden Äußerungen vielen seiner Anhänger überhaupt nicht bekannt sind.  Weiter unten sind einige dieser Äußerungen gesammelt.]


Nietzsche ausführlicher


Weitere Aspekte der Philosophie Nietzsches

Ich beschäftige mich auf meiner Nietzsche-Seite besonders mit Aspekten der Philosophie Nietzsches, die auf fast allen anderen Nietzsche-Seite im Internet und in einem Großteil der heutigen Literatur über Nietzsche in einer geradezu skandalösen Weise unterschlagen werden! In früheren Zeiten, ganz grob bis 1945, war das, was ich im Folgenden vortrage, ein Teil jeder halbwegs seriösen Nietzsche Darstellung. Viele Menschen haben Nietzsche gerade wegen dieser Aspekte verehrt. Heute versuchen manche Leute den Eindruck zu erwecken, diese Seite Nietzsches gebe es gar nicht. [1]

Im Willen zur Macht fand Nietzsche die unterste Grundlage aller Wertungen. Aber Macht wofür? Nietzsche sprach von der »Unschuld des Werdens«, das eigentlich Wertvolle schien ihm das nackte Dasein, das Werden an sich zu sein.

Nietzsches Weltbild Mit seinen eigenen Worten: »Und wisst ihr auch, was mir ›die Welt‹ ist? Soll ich sie Euch in meinem Spiegel zeigen? Diese Welt: Ein Ungeheuer an Kraft, ohne Anfang, ohne Ende, eine feste, eherne Größe von Kraft, welche nicht größer, nicht kleiner wird, die sich nicht verbraucht, sondern nur verwandelt, als Ganzes unveränderlich groß, ein Haushalt ohne Ausgaben und Einbußen, aber ebenso ohne Zuwachs, ohne Einnahmen, vom ›Nichts‹ umschlossen als von seiner Grenze, nichts Verschwimmendes, Verschwendetes, nichts Unendlich-Ausgedehntes, sondern als bestimmte Kraft einem bestimmten Raum eingelegt, und nicht einem Raume, der irgendwo ›leer‹ wäre, vielmehr als Kraft überall, als Spiel von Kräften und Kraftwellen zugleich eins und vieles, hier sich häufend und zugleich dort sich mindernd, ein Meer in sich selber stürmender und flutender [fluchender] Kräfte, ewig sich wandelnd, ewig zurücklaufend, mit ungeheuren Jahren der Wiederkehr, mit einer Ebbe und Flut seiner Gestaltungen, aus den einfachsten in die vielfältigsten hinaustreibend, aus dem Stillsten, Starrsten, Kältesten hinaus in das Glühendste, Wildeste, Sich-selber-Widersprechendste, und dann wieder aus der Fülle heimkehrend zum Einfachen, aus dem Spiel der Widersprüche zurück bis zur Lust des Einklangs, sich selber bejahend noch in dieser Gleichheit seiner Bahnen und Jahre, sich selber segnend als das, was ewig wiederkommen muss, als ein Werden, das kein Sattwerden, keinen Überdruss, keine Müdigkeit kennt: – diese meine d i o n y s i s c h e Welt des Ewig-sich-selber-Schaffens, des Ewig-sich-selber-Zerstörens, diese Geheimniswelt der doppelten Wollüste, dies mein ›Jenseits von Gut und Böse‹, ohne Ziel, wenn nicht im Glück des Kreises ein Ziel liegt, ohne Willen, wenn nicht ein Ring zu sich selber guten Willen hat, – wollt ihr einen Namen für diese Welt? Eine L ö s u n g für alle ihre Rätsel? Ein Licht für euch, ihr Verborgensten, Stärksten, Unerschrockensten, Mitternächtlichsten? – D i e s e   W e l t   i s t   d e r   W i l l e   z u r   M a c h t – u n d   N i c h t s   a u ß e r d e m !  Und auch ihr selber seid dieser Wille zur Macht – und nichts außerdem!« (Der Wille zur Macht, Aph. 1067, Schlussaphorismus. Geringfügig anders formuliert im Nachlass, Juni–Juli 1885, dort 38 [12])  Kritik dazu.

Die ewige Wiederkehr: In einem begrenzten Raum mit einer begrenzten Anzahl von Materie bzw. Kraft müsse, wenn die Zeit ewig, ohne Anfang und Ende sei, jede mögliche Kombination schon einmal erreicht gewesen sein – viel mehr, jede möglich Kombination wäre schon unendlich oft erreicht worden und werde noch unendlich oft erreicht werden.

Dionysisches und Apollinisches: Das Dionysische sei der gestaltlose Urwille, wie er sich unmittelbar in der Musik ausspreche. Am ehesten mit dem Rausch zu vergleichen. Das Apollinische sei die Kraft des Maßes und der Harmonie (ganz entfernt sowas wie ein bisschen Vernunft).

Nietzsche liebte die  Musik und war ursprünglich ein leidenschaftlicher Verehrer Wagners. Wie Schopenhauer sah auch er die Musik als unmittelbares Abbild des Weltwillens. (So jedenfalls der frühe Nietzsche. Ob der späte Nietzsche das noch so sah, lasse ich offen.) Später warf Nietzsche Wagner vor, er sei mit seiner Oper »Parsifal« vor den lebensverneinenden Idealen des Christentums zu Kreuze gekrochen.

Nietzsches Begeisterung für die Tragödie ging so weit, dass er sich das Leben, die Weltgeschichte als große Tragödie dachte und wünschte [ ! ]. So war Russell der Auffassung, dass Nietzsches Weltanschauung sehr an den Ring des Nibelungen erinnert, einem Opernzyklus Wagners, und dass der dortige Held Siegfried Nietzsche als Vorlage für seinen Herrenmenschen und seine  Blonde Bestie diente. In seinen Tagträumen (und später ihn seinen Psychosen) sei Nietzsche Siegfried gewesen: Ein Wesen ohne jede Mitmenschlichkeit, mitleidlos, grausam, betrügerisch, nur an der Steigerung seiner eigenen Macht interessiert. Russell: »King Lear [Tragödie Shakespeares'], an der Schwelle des Wahnsinns, sagt, ›ich werde Dinge tun, was für welche weiß ich noch nicht, aber es wird der Terror der Welt sein.‹« Dies sei Nietzsches Philosophie »in a nutshell« (kurz und bündig).

Nietzsche war kein  Antisemit, wie aus vielen seiner Äußerungen hervorgeht, obwohl er viele Vorurteile gegen die Juden, die zu seiner Zeit große Verbreitung hatten, geteilt hat. Insbesondere machte er das Judentum, besonders deren Propheten, für das von ihm heftig bekämpfte Christentum (mit)verantwortlich. Man könnte Nietzsche »anti-jüdisch« und »anti-antisemitisch« nennen. Aber das ist nur ein weiterer Aspekt der Widersprüchlichkeit Nietzsches. (Siehe die Aussage seines Freundes Overbeck  weiter unten.)

Nietzsches Philosophie ist ein achtfaches Anti-: (Man könnte noch diverse weitere »Antis-« hinzufügen.)

1. Antimoralisch: Nietzsche bezeichnete sich oft als Immoralist, d. h. als Mensch ohne  Moral, für den Moral eine Illusion sei, wie Gott. Tatsächlich wollte er (bzw. der »späte Nietzsche«) aber die vorhandene christliche und humanistische Moral durch eine andere ersetzen. Nach ihm gibt es Herrenmoral und Sklavenmoral. Die Wörter »gut« und »schlecht« hätten zwei verschiedene Bedeutungen: Für den Herren sei gut: vornehm, schön, mächtig, glücklich, stolz u. ä. Schlecht sei für ihn: landläufig, gewöhnlich, gemein, wertlos u. ä. Für den Herdenmenschen (also die Masse der Bevölkerung) sei gut: friedlich, harmlos, gütig, mitleidig u. ä. Schlecht bzw. böse sei für ihn: ungewöhnlich, unberechenbar, gefährlich, kühn. Alles, was den Menschen über die Herde erhebe. (U. a. Jenseits von Gut und Böse, Aph 260). Besonders aus den Spätwerken Nietzsches geht hervor, dass für ihn Sklavenmoral schlecht und Herrenmoral gut war. Er wollte, dass eine Minderheit von Herrenmenschen eine Moral hat, wie er sie als Herrenmoral beschrieb, und dass diese Minderheit dann die Masse der Bevölkerung im Interesse der Minderheit mitleidlos instrumentalisiert. – Mit den Juden beginne der Sklavenaufstand der Moral. Ihre Propheten hätten eine Umkehrung der natürlichen Wert- und Rangverhältnisse herbeigeführt. Die Elenden, Armen, Ohnmächtigen, Leidenden, Kranken, Hässlichen erschienen als die Guten. Die Starken, die Krieger, die Aristokraten erschienen als die Schlechten. (Genealogie der Moral, 1. Abhandlung, Abschnitt 7.) – Unter der Herrschaft der Sklavenmoral würden die Starken zu Tieren, die im Käfig der  Sitten eingesperrt seien. Ihre gesunden und starken Instinkten könnten sich nicht nach außen entladen. Es entstünde ein schlechtes Gewissen und ein Leiden des Menschen an sich selbst und an der Funktionsweise der Welt.

2. Antidemokratisch: Die demokratischen Bewegungen in Europa seien Zeichen dafür, dass alle herrschende Moral heute (zu seiner Zeit – und heute natürlich erst recht) Sklavenmoral sei. Nietzsches bevorzugte Gesellschaftsordnung war die Sklaverei oder die Stände-Gesellschaft – wobei die Grenze fließend ist. Nach ihm sind die einzelnen Menschen von Natur und Vererbung aus dazu bestimmt, Herren, Mittelstand oder Sklaven zu sein. Und für den Sklaven ist es auch aus seiner Sicht das Beste, Sklave zu sein. (U. a. Antichrist, 57. Kapitel.) Verächtlich sprach Nietzsche von den »... murrenden gedrückten aufrührerischen Sklaven-Schichten, welche nach Herrschaft – sie nennen's ›Freiheit‹ – trachten ...« (Jenseits von Gut und Böse, Aph 225.)

3. Antisozialistisch: Das  sozialistische Ideal sei das der Gesamtentartung des Menschen zum vollkommenen Herdentier. Das Leben sei aber seinem innersten Wesen nach Aneignung, Verletzung, Härte, Überwältigung des Schwachen, Einverleibung, Unterdrückung, Aufzwängung eigener Formen, mindestens Ausbeutung. (U. a. Jenseits von Gut und Böse, Aph. 259). »... was fällt, das soll man auch noch stoßen!« (Also sprach Zarathustra, 3. Teil, Von alten und neuen Tafeln, Aph. 20.)

4. Antifeministisch: Das Streben der Frau nach Emanzipation sei ein Zeichen der Entartung. Je unmännlicher die Männer werden, umso mehr entarte das Weib. Die Frauen gehörten insgesamt zu den Menschen, die als Sklaven am besten gediehen. (U. a. Antichrist, 54. Kapitel.) »... ›Emanzipation des Weibes‹ – das ist der Instinkthass des missratenen, das heißt gebäruntüchtigen Weibes gegen das wohlgeratene ...« Ecce Homo, Kapitel »Warum ich so gute Bücher schreibe« 5. Abschnitt. »Wenn ein Weib gelehrte Neigungen hat, so ist gewöhnlich etwas an ihrer Geschlechtlichkeit nicht in Ordnung.« Jenseits von Gut und Böse § 144. »Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!« (Also sprach Zarathustra, 1. Teil, Von alten und jungen Weiblein.) [2]

5. Antiintellektualistisch: Bewusstsein, Vernunft, Intellekt seien nur etwas oberflächliches, Diener des Willens. Der Instinkt sei unter allen Arten der Intelligenz der intelligenteste. (U. a. Jenseits von Gut und Böse, Aph. 218.)

6. Antipessimistisch: Wenn die Weisen der Welt von Sokrates bis Schopenhauer gesagt haben: »Das Leben taugt nichts«, dann sei dies ein Zeichen, dass bei ihnen selbst etwas nicht gestimmt hätte. Diese Weisen seien Untergangstypen des Lebens. Wer sagt: »Das Leben ist nichts wert«, der sage eigentlich: »Ich bin nichts wert.«

7. Antichristlich: Das Christentum sei Erbe und Fortführer der jüdischen Sklavenmoral. Sein Wesen sei die Verkehrung aller natürlichen Werte. Es sei ein Todfeind der Sinnlichkeit.

8. Antimetaphysisch: Gott,  ewige Ideen,  Ding an sich,  Jenseits usw. seien alles Hirngespinste. Aber nicht etwa wohltätigen Illusionen, kein  Opium, sondern die Erfindungen von Kranken, von Absterbenden, von Dekadenten.


»Was ist gut? – Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht.  /  Was ist schlecht? – Alles, was aus der Schwäche stammt.  /  Was ist Glück? – Das Gefühl davon, dass die Macht wächst, dass ein Widerstand überwunden wird.  /  Nicht Zufriedenheit, sondern mehr Macht; nicht Friede überhaupt, sondern Krieg; nicht  Tugend, sondern Tüchtigkeit (Tugend im Renaissance-Stile, virtù, moralinfreie Tugend)  /  Die Schwachen und Missratenen sollen zu Grunde gehen: erster Satz unsrer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.  /  Was ist schädlicher als irgend ein Laster? – Das Mitleiden der Tat mit allen Missratenen und Schwachen – das Christentum ...«   Antichrist, 2. Kapitel



Nietzsches Lehre vom Übermenschen: Die eigentlichen Philosophen seien Befehlshaber, sie bestimmten das Wohin und Wozu. Der freie Mensch sei ein Krieger. Tot seien alle Götter. Nun solle der Übermensch leben. »Seht, ich lehre euch den Übermenschen! Der Übermensch ist der Sinn der Erde. [...] Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt Denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren! [...] Der Mensch ist ein Seil, geknüpft zwischen Tier und Übermensch, – ein Seil über einem Abgrunde. Ein gefährliches Hinüber, ein gefährliches Auf-dem-Wege, ein gefährliches Zurückblicken, ein gefährliches Schaudern und Stehenbleiben. Was groß ist am Menschen, das ist, dass er eine Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden kann am Menschen, das ist, dass er ein Übergang und ein Untergang ist. Ich liebe die, welche nicht zu leben wissen, es sei denn als Untergehende, denn es sind die Hinübergehenden. Ich liebe die großen Verachtenden, weil sie die großen Verehrenden sind und Pfeile der Sehnsucht nach dem andern Ufer. Ich liebe die, welche nicht erst hinter den Sternen einen Grund suchen, unterzugehen und Opfer zu sein: sondern die sich der Erde opfern, dass die Erde einst der Übermenschen werde.« (Zarathustra‘s Vorrede 3 + 4) [Das hat man vielleicht wortwörtlich auf den Appellplätzen der Großdeutschen Wehrmacht und der SS vorgelesen!  Meine Auffassung zum Übermenschen.]


Zitate von Nietzsche

»Es gibt zu fast jedem Satz Nietzsches bei ihm auch die entgegengesetzte Behauptung. Dies liegt daran, dass Nietzsche seinen Geist nicht in Gewalt hatte. Die Krankheit trat viel früher ein, als viele wahrhaben wollen.« (Hirschberger II, S. 521.) Dass es zu seinen biologistischen, faschistoiden und kriegsfordernden Äußerungen auch entgegengesetzte Äußerungen gibt, macht aber erstere nicht ungeschehen. Außerdem findet man bei vielen Philosophen, Schriftstellern etc., die viel geschrieben haben, immer mal wieder Aussagen, die eigentlich nicht zu ihm passen, nicht typisch für ihn sind. Es geht darum, das herauszuarbeiten, was für eine Person kennzeichnend ist. Bei Nietzsche muss noch berücksichtigt werden, dass er eine Entwicklung durchlaufen hat. Taten und Äußerungen des frühen Nietzsches – als er noch weitgehend ein Anhänger Schopenhauers war –, sagen nichts über den späten Nietzsche, sagen nichts über die Wirkung, die Nietzsche auf die Nachwelt hatte.

Nietzsches Schwester habe seine Schriften verfälscht, so ein häufig zu hörender Einwand der Nietzsche-Enthusiasten. Aber alles faschistische, reaktionäre, kriegsbejahende, aristokratische etc. findet man bereits in den Schriften, die Nietzsche noch vor seinem endgültigen geistigen Zusammenbruch selbst veröffentlicht hat. An diesen Schriften ist später nichts geändert, nichts verfälscht worden! Bei Neuausgaben wurde nur die Rechtschreibung den Veränderungen angepasst. Was später aus Nachlässen zusammengestellt wurde, wie  Der Wille zur Macht oder die »Fragmente« vervollständigen nur das Bild, das man sich aus den von ihm selbst veröffentlichten Schriften machen kann. [3]


Die Behauptung »Nietzsches Schwester hat seine Schriften verfälscht«, ist die größte Fälschung, die es im Zusammenhang mit Nietzsche gibt.



Über den Wert von Unwahrheit, Schein, Täuschung und falschen Urteilen:

Aus Jenseits von Gut und Böse § 4 »Die Falschheit eines Urteils ist uns noch kein Einwand gegen ein Urteil; [...] Die Frage ist, wie weit es lebenfördernd, lebenerhaltend, Arterhaltend, vielleicht gar Artzüchtend ist; und wir sind grundsätzlich geneigt zu behaupten, dass die falschesten Urteile [...] uns die unentbehrlichsten sind.« § 34 »Es ist nicht mehr als ein moralisches Vorurteil, dass Wahrheit mehr wert ist als Schein.«

[Ein gewisse Nähe zum pragmatischen Wahrheitsbegriff. Wahrheit = Nützlichkeit. Nützlich gemessen an Nietzsches Wertvorstellungen.

Wenn man mit Nietzscheanern diskutiert, dann kann man sich nie sicher sein, ob sie überhaupt das sagen, was sie wissen bzw. für richtig halten, oder ob sie gerade bewusst ein falsches Urteil abgeben. Sie haben von ihrem Meister die Lizenz zum Lügen erhalten.]


Für Gewissenlosigkeit:

»Der Gewissensbiss ist, wie der Biss des Hundes gegen einen Stein, eine Dummheit.« (Der Wanderer und sein Schatten, Aph. 38)


Für Verantwortungslosigkeit:

»Niemand ist für seine Taten verantwortlich, Niemand für sein Wesen ...« (Menschliches, Allzumenschliches, Aph. 39)

[Mit dem Verleugnen der Willensfreiheit demonstriert Nietzsche ein weiteres Mal, dass er kein Skeptizist ist. Mit dieser Argumentation kann sich jeder Verbrecher, auch die großen – Hitler, Stalin etc. – aus seiner Verantwortung stehlen.]

»Nichts ist wahr, Alles ist erlaubt«. Also sprach Zarathustra, Vierter Teil, Abschnitt: Der freiwillige Bettler


Gegen Sozialismus, für Ausbeutung:

»Wen hasse ich unter dem Gesindel von Heute am besten? Das Sozialisten-Gesindel, die Tschandala-Apostel, die den Instinkt, die Lust, das Genügsamkeits-Gefühl des Arbeiters mit seinem kleinen Sein untergraben, – die ihn neidisch machen, die ihn Rache lehren ... Das Unrecht liegt niemals in ungleichen Rechten, es liegt im Anspruch auf ›gleiche‹ Rechte ...« (Antichrist, 57. Kapitel.)

»Der Sozialismus – als die zu Ende gedachte Tyrannei der Geringsten und Dümmsten, der Oberflächlichen, der Neidischen und der Dreiviertels-Schauspieler ...« Fragmente Juni–Juli 1885, 37[11] [Im weiteren Verlauf sagt Nietzsche sehr threffend das Scheitern des Sozialismus im 20. Jahrhundert voraus. Das sollte aber nicht vergessen machen, dass Nietzsche selbst ein falscher Prophet war. Einer anderen schon vom Ansatz her viel grausameren und gescheiterten Sozialutopie.]

»Wo das Volk isst und trinkt, selbst wo es verehrt, da pflegt es zu stinken.« Jenseits von Gut und Böse, § 30 »Leben selbst ist wesentlich Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden und Schwächeren, Unterdrückung, Härte, Aufzwängung eigner Formen, Einverleibung und mindestens, mildestens, Ausbeutung.« Jenseits von Gut und Böse, § 259


Gegen Altruismus:

»Unsre Sozialisten sind décadents, aber auch Herr Herbert Spencer ist ein décadent, – er sieht im Sieg des Altruismus etwas Wünschenswertes!« (Götzen-Dämmerung, Streifzüge eines Unzeitgemässen, 37. Kapitel).


Über die Notwendigkeit der Sklaverei:

»Damit der Boden für eine größere Kunstentwicklung vorhanden ist, muss die ungeheure Mehrzahl im Dienste einer Minderzahl über das Maß ihrer individuellen Notwendigkeit hinaus der Lebensnot sklavisch unterworfen sein. Auf ihre Unkosten, durch ihre Mehrarbeit soll jene bevorzugte Klasse dem Existenzkampfe entrückt werden, um nun eine neue Welt des Bedürfnisses zu erzeugen. Demgemäß müssen wir uns dazu verstehen als grausame Grundbedingung jeder Bildung hinzustellen, dass zum Wesen einer Kultur das Sklaventum gehöre: eine Erkenntnis, die vor dem Dasein bereits einen gehörigen Schauder erzeugen kann. Dies sind die Geier, die dem prometheischen Förderer der Kultur an der Leber nagen. Das Elend der mühsam lebenden Masse muss noch gesteigert werden, um einer Anzahl olympischer Menschen die Produktion der Kunstwelt zu ermöglichen. Hier liegt der Quell jenes schlecht verhehlten Ingrimms, den die Kommunisten und Sozialisten, und auch ihre blässeren Abkömmlinge, die weiße Rasse der Liberalen jeder Zeit gegen die Künste, aber auch gegen das klassische Altertum genährt haben.« (Fragmente 1869–1874)

»Das Wesentliche an einer guten und gesunden Aristokratie ist aber, dass sie sich nicht als Funktion (sei es des Königtums, sei es des Gemeinwesens), sondern als dessen Sinn und höchste Rechtfertigung fühlt, – dass sie deshalb mit gutem Gewissen das Opfer einer Unzahl Menschen hinnimmt, welche um ihretwillen zu unvollständigen Menschen, zu Sklaven, zu Werkzeugen herabgedrückt und vermindert werden müssen. Ihr Grundglaube muss eben sein, dass die Gesellschaft nicht um der Gesellschaft willen da sein dürfe, sondern nur als Unterbau und Gerüst, an dem sich eine ausgesuchte Art Wesen zu ihrer höheren Aufgabe und überhaupt zu einem höheren Sein emporzuheben vermag ...« (Jenseits von Gut und Böse, Aph. 258).

[Bei Marx und Engels liest man übrigens über die Klassengesellschaften fast das Gleiche. Bloß die hielten das für eine notwendige Durchgangsphase in der Menschheitsentwicklung, nicht für einen Endzustand. Nietzsche sieht darin einen Ideal- und Dauerzustand.]


Sklaverei statt Kapitalismus:

»in dem Arbeitgeber sieht der Arbeiter gewöhnlich nur einen listigen, aussaugenden, auf alle Not spekulierenden Hund von Menschen, dessen Name, Gestalt, Sitte und Ruf ihm ganz gleichgültig sind. Den Fabrikanten und Großunternehmern des Handels fehlten bisher wahrscheinlich allzu sehr alle jene Formen und Abzeichen der höheren Rasse, welche erst die Personen interessant werden lassen; hätten sie die Vornehmheit des Geburts-Adels im Blick und in der Gebärde, so gäbe es vielleicht keinen Sozialismus der Massen. Denn diese sind im Grunde bereit zur Sklaverei jeder Art, vorausgesetzt, dass der Höhere über ihnen sich beständig als höher, als zum Befehlen geboren legitimiert – durch die vornehme Form!« (Fröhliche Wissenschaft, Aph. 40.)


Gegen die Emanzipation der Frau:

[Der Nietzsche der mittleren Schaffensperiode hat noch viel positives über Frauen geschrieben. Der Nietzsche der späteren Schaffensperiode hat überwiegend undifferenzierte Bausch und Bogen Urteile über Frauen abgegeben, ihre Emanzipation abgelehnt und gefordert, dass sie für immer und ewig die Sklaven der Männer bleiben sollen. (Nietzsche hat einerseits Vorurteile gegen Frauen geteilt, die zu seiner Zeit weit verbreitet waren und andererseits von Einzelfällen bzw. von häufig vorkommenden weiblichen Eigenschaften auf die ganze Gruppe geschlossen, wobei dann auch alles durch die weibliche Natur bestimmt war und nicht auch durch die gesellschaftlichen Verhältnissen, durch die spezifisch weibliche Sozialisation.)]

Im Zarathustra findet man u. a. folgende Äußerungen zu Frauen: »Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!« »Allzulange war im Weibe ein Sklave und ein Tyrann versteckt. Deshalb ist das Weib noch nicht der Freundschaft fähig: es kennt nur die Liebe.« »... Katzen sind immer noch die Weiber, und Vögel. Oder, besten Falles, Kühe.« »Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es hasst: denn der Mann ist im Grunde der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht.« »Und gehorchen muss das Weib und eine Tiefe finden zu seiner Oberfläche. Oberfläche ist des Weibes Gemüt, eine bewegliche stürmische Haut auf einem seichten Gewässer. Des Mannes Gemüt aber ist tief, sein Strom rauscht in unterirdischen Höhlen: das Weib ahnt seine Kraft, aber begreift sie nicht.« [Den Zarathustra hat Nietzsche geschrieben, nicht eine alte Frau oder sonst wer. Und wenn in dieser Schrift eine alte Frau oder jemand anderes etwas sagt, dann sagt das Nietzsche. Wer etwas anderes behauptet, müsste nachweisen, dass aus dem Kontext heraus erkennbar ist, dass diese Aussagen gar nicht die Meinung Nietzsches wiedergeben. So wie in den platonischen Dialogen vieles steht, was nicht Platons Auffassungen wiedergibt. Nun ist der Satz mit der Peitsche aber nur einer unter Hunderten, in denen Nietzsche seine abfällige Meinung über Frauen kundtut. Und vor dem Hintergrund aller dieser Sätze kann man davon ausgehen, dass dieser Satz Nietzsches Auffassung wiedergibt. Und dass es der Mann ist, der die Peitsche dabei hat. Nicht die Frau. Die populäre Variante dieses Satzes ist »Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht!« Für die Nietzsche-Enthusiasten ist es ein gefundenes Fressen, wenn sie diesen Satz irgendwo lesen oder hören. »Das hat Nietzsche ja nie gesagt. Hier wird ja gar nicht richtig zitiert.« Dass das Originalzitat inhaltlich überhaupt nichts anderes aussagt als die populäre Fassung, das spielt keine Rolle. Denn den Nietzsche-Enthusiasten geht es – in der Regel nicht bewusst, sondern unbewusst – ja überhaupt nicht darum zu verstehen, was Nietzsche hier sagen wollte. Ihnen geht es darum, sich ihr Idol nicht kaputtmachen zu lassen. Ich ziehe aber auch in Erwägung, dass Nietzsche diesen Satz absichtlich so formuliert hat, dass er doppeldeutig ist. Dieser Satz kann unberücksichtigt bleiben. Die vielen anderen hier zitierten Äußerungen Nietzsches zu Frauen sind eindeutig.]

Folgende Aphorismen bzw. Auszüge aus Jenseits von Gut und Böse : 144. »Wenn ein Weib gelehrte Neigungen hat, so ist gewöhnlich etwas an ihrer Geschlechtlichkeit nicht in Ordnung. Schon Unfruchtbarkeit disponiert zu einer gewissen Männlichkeit des Geschmacks ... « 145. »Mann und Weib im Ganzen verglichen, darf man sagen: das Weib hätte nicht das Genie des Putzes, wenn es nicht den Instinkt der zweiten Rolle hätte.« 232–239 [Alle für Nietzsches Frauenbild interessant.] Auszüge: »Nichts ist von Anbeginn an dem Weibe fremder, widriger, feindlicher als Wahrheit, – seine große Kunst ist die Lüge, seine höchste Angelegenheit ist der Schein und die Schönheit. Gestehen wir es, wir Männer: wir ehren und lieben gerade diese Kunst und diesen Instinkt am Weibe: wir, die wir es schwer haben und uns gerne zu unsrer Erleichterung zu Wesen gesellen, unter deren Händen, Blicken und zarten Torheiten uns unser Ernst, unsre Schwere und Tiefe beinahe wie eine Torheit erscheint.« »Ein Mann hingegen, der Tiefe hat, in seinem Geiste, wie in seinen Begierden ... kann über das Weib immer nur orientalisch denken: er muss das Weib als Besitz, als verschließbares Eigentum, als etwas zur Dienstbarkeit Vorbestimmtes und in ihr sich Vollendendes fassen« »... das Weib, das ›das Fürchten verlernt‹, gibt seine weiblichsten Instinkte preis. Dass das Weib sich hervor wagt, wenn das Furcht-Einflößende am Manne, sagen wir bestimmter, wenn der Mann im Manne nicht mehr gewollt und großgezüchtet wird, ist billig genug, auch begreiflich genug; was sich schwerer begreift, ist, dass eben damit – das Weib entartet ... die ›Emanzipation des Weibes‹, ... ein merkwürdiges Symptom von der zunehmenden Schwächung und Abstumpfung der allerweiblichsten Instinkte.« »... dass das Weib gleich einem zarteren, wunderlich wilden und oft angenehmen Haustiere erhalten, versorgt, geschützt, geschont werden müsse; das täppische und entrüstete Zusammensuchen all des Sklavenhaften und Leibeigenen, das die Stellung des Weibes in der bisherigen Ordnung der Gesellschaft an sich gehabt hat und noch hat (als ob Sklaverei ein Gegenargument und nicht vielmehr eine Bedingung jeder höheren Kultur, jeder Erhöhung der Kultur sei): – was bedeutet dies Alles, wenn nicht eine Anbröckelung der weiblichen Instinkte, eine Entweiblichung?« »Man will hier und da selbst Freigeister und Literaten aus den Frauen machen: als ob ein Weib ohne Frömmigkeit für einen tiefen und gottlosen Mann nicht etwas vollkommen Widriges oder Lächerliches wäre.« » ... macht sie täglich hysterischer und zu ihrem ersten und letzten Berufe, kräftige Kinder zu gebären, unbefähigter.«

Aus Götzen-Dämmerung, Abschnitt »Sprüche und Pfeile« folgende Aphorismen: 20. »Das vollkommene Weib begeht Literatur, wie es eine kleine Sünde begeht: zum Versuch, im Vorübergehen, sich umblickend, ob es Jemand bemerkt und dass es Jemand bemerkt ...« 27. »Man hält das Weib für tief – warum? weil man nie bei ihm auf den Grund kommt. Das Weib ist noch nicht einmal flach.« 28.»Wenn das Weib männliche Tugenden hat, so ist es zum Davonlaufen; und wenn es keine männlichen Tugenden hat, so läuft es selbst davon.«

In seiner Selbstbiographie Ecce Homo, nach den Kapiteln »Warum ich so weise bin« und »Warum ich so klug bin« schreibt Nietzsche im Kapitel »Warum ich so gute Bücher schreibe« im 5. Abschnitt u. a.: »... Das Weib ist unsäglich viel böser als der Mann, auch klüger; Güte am Weibe ist schon eine Form der Entartung ...« »Der Kampf um gleiche Rechte ist sogar ein Symptom von Krankheit: jeder Arzt weiß das. – Das Weib, je mehr Weib es ist, wehrt sich ja mit Händen und Füßen gegen Rechte ...« »Liebe – in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhass der Geschlechter. – Hat man meine Antwort auf die Frage gehört, wie man ein Weib kuriert – ›erlöst‹? Man macht ihm ein Kind« »... ›Emanzipation des Weibes‹ – das ist der Instinkthass des missratenen, das heißt gebäruntüchtigen Weibes gegen das wohlgeratene ...« [Im gleiche Abschnitt betont Nietzsche allerdings auch, dass die Keuschheit widernatürlich sei. Neben dem Reaktionären findet man bei Nietzsches auch anderes.]

Nietzsche wird auch als Dichter geschätzt. Hier ein Auszug aus seinem diesbezüglichen Schaffen: (Aus: »Vom Aberglauben. Vom Loben und Tadeln. Von der zulässigen Lüge.« )

»Selten, dass ein Weib zu denken
Wagt, denn alte Weisheit spricht:
Folgen soll das Weib, nicht lenken;
Denkt sie, nun, dann folgt sie nicht.

Was sie noch sagt, glaubt' ich nimmer;
Wie ein Floh, so springt's, so sticht's!
Selten denkt das Frauenzimmer,
Denkt es aber, taugt es nichts!«
Fragmente (1875–1879)

Drei Aphorismen aus: »Ein Sentenzen-Buch«: (Fragmente (1882–1885) »107 Die Frauen gehen mit ihrer Liebe auf den los, der ihnen Furcht einflößt: das ist ihre Art von Tapferkeit.« [Dann ist es doch sehr sinnvoll, als Mann eine Peitsche zu haben.] 133 »Alle Frauen sind entweder Vögel oder Katzen oder Kühe; – man sehe ihren Blick darauf an.« 367. »Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht! In der Art, wie und was man ehrt, zieht man immer eine Distanz um sich.»

Aus: »Auf hohem Meere«: »In Sachen der Ehre sind die Frauen grob und schwerfällig.« (Fragmente (1882–1885))

Aus: »Öffentliche Meinungen – private Faulheiten« 20. »Einige Männer haben über die Entführung ihrer Frauen geseufzt, viele darüber, dass Niemand sie ihnen entführen wollte.« [Wenn dies eine philosophische Weisheit ist, dann möchte ich auch eine ähnliche beisteuern: Sie zu ihm: »Früher hast du immer gesagt, du hast mich zum Fressen gern. Und heute?« Er zu ihr: »Heute bedaure ich, dass ich dich damals nicht gefressen hab.«] 32 [5] »Und ... diese Frauen von heute – sind sie nicht auch rechte schlechte Pöbel-Frauen? willfährig, genüsslich, vergesslich, mitleidig, – sie ... haben's alle nicht weit zur Hure.« (Fragmente (1882–1885))


Rassismus und Anti-Antisemitismus, Züchtungsgedanke:

In Jenseits von Gut und Böse, Aph. 251, schreibt Nietzsche »Die Juden sind aber ohne allen Zweifel die stärkste, zäheste und reinste Rasse, die jetzt in Europa lebt«. Und er regt an »die antisemitischen Schreihälse des Landes zu verweisen« Und: »Es liegt auf der Hand, dass am unbedenklichsten noch sich die stärkeren und bereits fester geprägten Typen des neuen Deutschtums mit ihnen einlassen könnten, zum Beispiel der adelige Offizier aus der Mark: es wäre von vielfachem Interesse, zu sehen, ob sich nicht zu der erblichen Kunst des Befehlens und Gehorchens – in Beidem ist das bezeichnete Land heute klassisch – das Genie des Geldes und der Geduld (und vor allem etwas Geist und Geistigkeit, woran es reichlich an der bezeichneten Stelle fehlt -) hinzutun, hinzuzüchten ließe. Doch hier ziemt es sich, meine heitere Deutschtümelei und Festrede abzubrechen: denn ich rühre bereits an meinen Ernst, an das ›europäische Problem‹, wie ich es verstehe, an die Züchtung einer neuen über Europa, regierenden Kaste

[Auch wenn Nietzsche hier von einem Scherz spricht, es passt ja in seine ganze Ideologie: Aus den Deutschen und den Juden eine neue Herrscherkaste züchten.]


Über die Notwendigkeit von Kriegen:

»Krieg. – Zu Ungunsten des Krieges kann man sagen: er macht den Sieger dumm, den Besiegten boshaft. Zu Gunsten des Krieges: er barbarisiert in beiden eben genannten Wirkungen und macht dadurch natürlicher; er ist für die Kultur Schlaf oder Winterszeit, der Mensch kommt kräftiger zum Guten und Bösen aus ihm heraus.« (Menschliches, Allzumenschliches, Aph. 444)

»Der Krieg unentbehrlich. – Es ist eitel Schwärmerei und Schönseelentum, von der Menschheit noch viel (oder gar: erst recht viel) zu erwarten, wenn sie verlernt hat, Kriege zu führen. Einstweilen kennen wir keine anderen Mittel, wodurch mattwerdenden Völkern jene rauhe Energie des Feldlagers, jener tiefe unpersönliche Hass, jene Mörder-Kaltblütigkeit mit gutem Gewissen, jene gemeinsame organisierende Glut in der Vernichtung des Feindes, jene stolze Gleichgültigkeit gegen große Verluste, gegen das eigene Dasein und das der Befreundeten, jenes dumpfe erdbebenhafte Erschüttern der Seele ebenso stark und sicher mitgeteilt werden könnte, wie dies jeder große Krieg tut: von den hier hervorbrechenden Bächen und Strömen, welche freilich Steine und Unrat aller Art mit sich wälzen und die Wiesen zarter Kulturen zu Grunde richten, werden nachher unter günstigen Umständen die Räderwerke in den Werkstätten des Geistes mit neuer Kraft umgedreht. [...] Man wird noch vielerlei [..] Surrogate des Krieges ausfindig machen, aber vielleicht durch sie immer mehr einsehen, dass eine solche hoch kultivierte und daher notwendig matte Menschheit, wie die der jetzigen Europäer, nicht nur der Kriege, sondern der größten und furchtbarsten Kriege – also zeitweiliger Rückfälle in die Barbarei – bedarf, um nicht an den Mitteln der Kultur ihre Kultur und ihr Dasein selber einzubüßen.« (Menschliches, Allzumenschliches, Aph. 477).

[Gibt es eine »bessere« Rechtfertigung der beiden Weltkriege als dieser Text?]

»Krieg als Heilmittel. – Matt und erbärmlich werdenden Völkern mag der Krieg als Heilmittel anzuraten sein, falls sie nämlich durchaus noch fortleben wollen: denn es gibt für die Völker-Schwindsucht auch eine Brutalitäts-Kur.« (Der Wanderer und sein Schatten, Aph. 187)

»Ihr sollt den Frieden lieben als Mittel zu neuen Kriegen. Und den kurzen Frieden mehr, als den langen. [...] Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt. [...] So lebt euer Leben des Gehorsams und des Krieges! Was liegt am Lang-Leben! Welcher Krieger will geschont sein!« Also sprach Zarathustra, Vom Krieg und Kriegsvolke


Hass, Neid, Habsucht, Herrschsucht etc.:

Aus Jenseits von Gut und Böse § 2 »Bei allem Werte, der dem Wahren, dem Wahrhaftigen, dem Selbstlosen zukommen mag: es wäre möglich, dass dem Scheine, dem Willen zur Täuschung, dem Eigennutz und der Begierde ein für alles Leben höherer und grundsätzlicherer Wert zugeschrieben werden müsste.« § 23 »Jemand nimmt gar die Affekte Hass, Neid, Habsucht, Herrschsucht als lebenbedingende Affekte, als Etwas, das im Gesamt-Haushalte des Lebens grundsätzlich und grundwesentlich vorhanden sein muss, folglich noch gesteigert werden muss, falls das Leben noch gesteigert werden soll.«


Gewalt, Barbarei etc.:

»Wir vermeinen, dass Härte, Gewaltsamkeit, Sklaverei, Gefahr auf der Gasse und im Herzen, Verborgenheit, Stoizismus, Versucherkunst und Teufelei jeder Art, dass alles Böse, Furchtbare, Tyrannische, Raubtier- und Schlangenhafte am Menschen so gut zur Erhöhung der Species ›Mensch‹ dient, als sein Gegensatz.« (Jenseits von Gut und Böse, Aph. 44)

»Ein Quantum Brutalität mehr ist nicht zu erlassen, sowenig als die Nachbarschaft zum Verbrechen. Auch die Selbstzufriedenheit ist nicht darin; man muss abenteuerlich auch zu sich selbst stehen, versucherisch, verderberisch, Nichts vom Schön-Seelen-Salbaderei! Ich will einem robusterem Ideal Luft machen.« (Der Wille zur Macht, Aph. 951)

»Der Barbar ist in jedem von uns bejaht. Auch das wilde Tier.« (Der Wille zur Macht, Aph. 127. Auch im Nachlass Sommer–Herbst 1884, dort 26 [417] )


Der Tapfere kennt keinen Schmerz:

» ... ein verächtliches Wesen will man nicht leiden sehen, es gewährt dies keinen Genuss. Dagegen einen Feind leiden zu sehen, den man als ebenbürtig-stolz anerkennt und der unter Martern seinen Stolz nicht preisgibt, und überhaupt jedes Wesen, welches sich nicht zum Mitleid-Anrufen, das heißt zur schmählichsten und tiefsten Demütigung verstehen will, – das ist ein Genuss der Genüsse, dabei erhebt sich die Seele des Wilden zur Bewunderung: er tötet zuletzt einen solchen Tapferen, wenn er es in der Hand hat, und gibt ihm, dem Ungebrochenen, seine letzte Ehre: hätte er gejammert, den Ausdruck des kalten Hohnes aus dem Gesichte verloren, hätte er sich verächtlich gezeigt, – nun, so hätte er leben bleiben dürfen, wie ein Hund ...« (Morgenröte, Aph. 135.)

[Hat Nietzsche hier bei Karl May abgeschrieben oder Karl May bei Nietzsche? Mich erinnert das sehr an Winnetou 1. Sich totfoltern lassen: gut. Um Gnade flehen und am Leben bleiben: schlecht. Ich glaube, da hatte jemand überhaupt keine Tassen mehr im Schrank gehabt.]


Verbrechen:

»Es kommt in der Welt-Geschichte nur auf die großen Verbrecher an, eingerechnet jene Vielen, welche eines großen Verbrechens fähig waren, aber durch Zufall es nicht taten.« (Fragmente 1882–85 – Jenseits von Gut und Böse, Sentenzen-Buch, Aph. 113. )

»Mit einem großen Ziele ist man nicht nur seiner Verleumdung, sondern auch einem großen Verbrechen überlegen und erhaben.« (Fragmente 1880–82 – 6 [271].)

»An einem klugen rücksichtslosen Spitzbuben und Verbrecher tadeln wir nicht seinen Egoismus als solchen, der sich auf die feinste Weise äußert, sondern dass dieser sich auf so niedere Ziele richtet und auf sie beschränkt. Sind die Ziele groß, so hat die Menschheit einen anderen Maßstab und schätzt ›Verbrechen‹ nicht als solche, selbst die furchtbarsten Mittel. – Das Ekelhafte ist, ein guter Intellekt im Dienste einer erbärmlichen Anspruchslosigkeit des Geschmacks – wir ekeln uns vor der Art ego, nicht an sich vor dem ego.« (Fragmente 1880–82 – 12 [13].)

[Wenn Nietzsche »wir« sagt, meint er sich. Bestenfalls noch die, die denken wie er. Humanistisch eingestellte Menschen sehen das so nicht!

Ähnlichkeit zu Machiavelli. Da soll noch jemand behaupten, Nietzsche hätte kein Anhänger Hitlers sein können! Auch Stalin und Mao könnten sich darauf berufen. Sie hatten großen Ziele. Zig Millionen Opfer waren deshalb gerechtfertigt. Sie standen über normalen Maßstäben.]


Menschenvernichtung:

»Die Schwachen und Missratenen sollen zu Grunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.« Antichrist, 2. Kapitel.

»Die Größe eines ›Fortschritts‹ bemisst sich sogar nach der Masse dessen, was ihm Alles geopfert werden musste; die Menschheit als Masse dem Gedeihen einer einzelnen stärkeren Spezies Mensch geopfert – das wäre ein Fortschritt ...« Genealogie der Moral, 2. Abhandlung, Abschnitt 12

»Jene neue Partei des Lebens, welche die größte aller Aufgaben, die Höherzüchtung der Menschheit in die Hände nimmt, eingerechnet die schonungslose Vernichtung alles Entartenden und Parasitischen ...« Ecce Homo, Kapitel: Die Geburt der Tragödie, Abschnitt 4

[Die Nationalsozialisten waren überzeugt, ihre Partei sei diese neue Partei.]


Kranke sind Parasiten:

»Moral für Ärzte. – Der Kranke ist ein Parasit der Gesellschaft. In einem gewissen Zustande ist es unanständig, noch länger zu leben. Das Fortvegetieren in feiger Abhängigkeit von Ärzten und Praktiken, nachdem der Sinn vom Leben, das Recht zum Leben verloren gegangen ist, sollte bei der Gesellschaft eine tiefe Verachtung nach sich ziehen. Die Ärzte wiederum hätten die Vermittler dieser Verachtung zu sein, – nicht Rezepte, sondern jeden Tag eine neue Dosis Ekel vor ihrem Patienten ...« (Götzen-Dämmerung, Kapitel 11: Streifzüge eines Unzeitgemäßen, Aph. 36.)

[Die Nazis haben ca. 120.000 Behinderte umgebracht.]


Blonde Bestie:

In der Genealogie der Moral, 1. Abhandlung, Abschnitt 11 schreibt Nietzsche über die vornehmen Rassen: »... sie sind nach Außen hin, dort wo das Fremde, die Fremde beginnt, nicht viel besser, als losgelassene Raubtiere. Sie genießen da die Freiheit von allem sozialen Zwang, sie halten sich in der Wildnis schadlos für die Spannung, welche eine lange Einschließung und Einfriedung in den Frieden der Gemeinschaft gibt, sie treten in die Unschuld des Raubtier-Gewissens zurück, als frohlockende Ungeheuer, welche vielleicht von einer scheußlichen Abfolge von Mord, Niederbrennung, Schändung, Folterung mit einem Übermute und seelischem Gleichgewichte davongehen, wie als ob nur ein Studentenstreich vollbracht sei, überzeugt davon, dass die Dichter für lange nun wieder etwas zu singen und zu rühmen haben. Auf dem Grunde aller dieser vornehmen Rassen ist das Raubtier, die prachtvolle nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie nicht zu verkennen; es bedarf für diesen verborgenen Grund von Zeit zu Zeit der Entladung, das Tier muss wieder heraus, muss wieder in die Wildnis zurück: – römischer, arabischer, germanischer, japanischer Adel, homerische Helden, skandinavische Wikinger – in diesem Bedürfnis sind sie sich alle gleich. Die vornehmen Rassen sind es, welche den Begriff ›Barbar‹ auf all den Spuren hinterlassen haben, wo sie gegangen sind; noch aus ihrer höchsten Kultur heraus verrät sich ein Bewusstsein davon und ein Stolz selbst darauf ...«

[Leider verhalten sich die Menschen häufig so, wie Nietzsche es hier beschreibt, nicht nur die, die er als vornehme Rassen bezeichnet. Und auch bei der Beschreibung der psychischen und sozialen Ursachen dieses Verhaltens hat Nietzsche wohl im Großen und Ganzen recht: Das Grausame liegt in unserer Natur. (Und ich werde nicht so heuchlerisch sein, zu behaupten, ich sei in meinem Innenleben ein Engel!) Das Schlimme ist, dass Nietzsche solche Verhaltensweisen bejaht, dass er das Streben nach Entbestialisierung zur Dekadenz erklärt. Die Opfer mögen das alles als böse empfinden. Pech für sie. Hauptsache die Herrenmenschen haben mal wieder die Sau rauslassen können.]


Weitere Nietzsche-Zitate in anderen philolex-Artikeln: Aberglaube, Ästhetik, Atheismus, Bedürfnisse, Beruf, Buddhismus, Christentum, Demokratie, Denken, Egoismus, Empfindung, Erlebnis, Erziehung, Fanatismus, Fantasie, Geschichte, Gedanken, Gesellschaft, Glauben, Glück, Gott, Ideale, Individuum, Intelligenz, Kritik, Liebe, Lüge, Logik und Unlogisches, kosmisches Selbstbewusstsein, Kraft, Macht, Mathematik, Mensch, Mitleid, Moral, Mystik, Natur, Nihilismus, Notwendigkeit statt freier Wille, Optimismus und Pessimismus, Philosophie, Platon, Realität, Schaffen, Seele, Skeptizismus, Tod, Traum, Staat, Verstand, Vernunft, Wahrheit, Wille, Willensfreiheit, Welt, Wirkliche Welt, Wissen, Wissenschaft, Wissenschaft als Hypothese, Wort, Zufall, Zweifel.


Meine Kritik an Nietzsche

Die Kritik an Nietzsche soll nicht bedeuten, dass man in seinen Schriften nicht auch manch interessanten Gedanken finden kann. Ich finde bei der Beschäftigung mit Nietzsche häufig einzelne Sätze oder sogar mal ganze Kapitel bzw. Aphorismen, mit denen ich weitgehend übereinstimme. Als Beispiel nenne ich nur mal den Beginn des 54. Kapitel des Antichrist über den Wert des Skeptizismus. Aber in der gleichen Schrift ist das 2. Kapitel dermaßen faschistoid, dass ich das Kotzen kriegen könnte.

Nietzsche war kein nüchterner kritischer Philosoph, jedenfalls nicht der späte Nietzsche des Zarathustra etc. Er verkündet, er offenbart einen neuen Glauben. Wie bei vielen anderen »großen Philosophen« fehlt auch bei Nietzsche jegliche kritische Distanz zu den eigenen Überzeugungen. Dass zig andere berühmte Philosophen andere Wahrheiten gefunden zu haben glaubten, löste bei ihm keinerlei Skepsis aus.

Trotz gelegentlicher positiver Äußerungen zum Skeptizismus war Nietzsche kein Skeptizist, auch wenn er sich selbst so verstanden haben sollte. (In Morgenröte, Aph. 539 heißt es: »Hat euch nie die Angst geplagt, ihr möchtet gar nicht dazu taugen, das, was wahr ist, zu erkennen?«) Dass  Marx auf die Frage nach dem Motto seines Lebens geantwortet hat: »De omnibus dubitandum« macht den auch nicht zum Skeptizisten. Der frühe und mittlere Nietzsche hat durchaus noch nüchtern und kritisch analysiert, aber der späte Nietzsche war nur noch Apostel. Aber gerade als Apostel des Übermenschen hätte er eine gewisse Distanz zu den eigenen Überzeugungen haben müssen. Wenn wir uns dem Übermenschen gegenüber in einer Position befinden, wie uns der Affe gegenüber, dann wird das Erkenntnisvermögen der Übermenschen – wenn es sie denn einst geben sollte – möglicherweise soweit über unserem Erkenntnisvermögen stehen, wie unseres über dem der Affen. Und das könnte dazu führen, dass sich die menschliche Philosophie, einschließlich die Nietzsches, aus der Perspektive der Übermenschen einst als »Affentheater« entpuppen wird.

Eine Weltanschauung wie im  Schlussaphorismus von Der Wille zur Macht bietet sich auf der Basis eines materialistisch-mechanischen Weltbildes, wie es die Naturwissenschaft, speziell die Physik zu Zeiten Nietzsches vertrat, geradezu an. Ich kann darin deshalb keine großartige philosophische Leistung erblicken. Was allerdings an diesem Aphorismus auffällt, ist die kraftvolle, mitreißende Sprache, die ja wohl auch einer der Gründe dafür ist, dass Nietzsche selbst unter Linken und humanistisch denkenden Menschen viele Verehrer hat. – Selbst wenn Wille zur Macht ein bedeutender Faktor der Welt sein sollte, so ist die Welt trotzdem nicht nichts außerdem, sondern darüber hinaus mehr. – Alfred Adler sieht auch eine große Bedeutung des Machstrebens. Für ihn ist das aber  »Falsche Kompensation«.

»Bei keinem Philosophen ist die Gefahr so groß, dass der Leser sich von der Sprachmusik berauschen lässt und sich mit großen Worten zufrieden gibt. Was man da für Tiefe hält, ist oft genug nur Stimmung und Affekt, die zu suggerieren Nietzsche ein Meister ist.« (Hirschberger II, S. 507.) Das sehe ich exakt genauso! Beim Lesen Nietzsches ist es mir genauso ergangen. Deshalb habe ich auch einige ausführliche Zitate hier wiedergegeben.

Dass Nietzsche die Willensfreiheit des Menschen verneint, ist im Rahmen seines materialistisch-mechanischen Weltbildes konsequent, zeigt aber, dass er kein Skeptizist ist, denn vom Boden eines konsequenten Skeptizismus aus ist die Frage unbeantwortbar, ob der Mensch Willensfreiheit hat oder in seinem Verhalten total determiniert ist.

Die Punkte »Antidemokratisch«, »Antisozialistisch« (was in unsere heutige Zeit übertragen bedeutet »Anti-Sozialstaat«) und »Antifeministisch« kann man unter dem Oberbegriff »Anti-Moderne« zusammenfassen. Nietzsche steckte mit Verstand und Gefühl im griechischen Altertum, in Sklaverei und Ständestaat. Diese gesellschaftlichen Verhältnisse sah er durch die Natur gerechtfertigt. Über solche Zustände – und einen gelegentlichen Rückfall in die Barbarei – konnte er weder hinaus denken, noch hinaus fühlen. Er war ein Reaktionär par excellence!

Nietzsche entdeckt, dass es »Herren-Moral« und »Sklaven-Moral«, sogar im selben Menschen, innerhalb einer Seele, gibt. Diese Erkenntnis als solche kritisiere ich nicht. Was ich kritisiere ist: 1. Der Begriff »Sklaven-Moral« ist bereits eine Diffamierung der unter diesem Begriff zusammengefassten Moralvorstellungen. 2. Nietzsche entscheidet sich für die »Herren-Moral« und bezeichnet die dem entgegenstehenden Moralvorstellungen als minderwertig. Es gibt viele Menschen, die von ihren Leistungen her über der Masse der Menschen stehen. Diese sind aber – von wenigen Ausnahmen abgesehen – sozial und humanistisch eingestellte Menschen. Die wenigsten davon haben eine »Herren-Moral«, wie Nietzsche es sich gewünscht hatte. Unter den hervorragenden Menschen stehen solche reaktionären Kotzbrocken wie Nietzsche ziemlich einsam da.

Mit seiner Feindschaft gegen Selbstlosigkeit, gegen Mitgefühl und »warmes Herz« negiert Nietzsche einen tief in unserer Natur liegenden Teil des menschlichen Wesens. Mit seiner Ablehnung von Demokratie, sozialen Bestrebungen und ethischem Fortschritt, mit seiner Aufforderung zur Vernichtung von Schwachen und Missratenen bereitet er geistig die Gaskammern der Nazis vor. Wer in Kampf, Krieg, Vernichtung der Schwachen, Ausbeutung etc. den Kern des Lebens sieht und das Streben nach Harmonie, Hilfsbereitschaft etc. zur Dekadenz erklärt, ist ein zutiefst kranker Mensch.

Die von Nietzsche als Sklaven-Moral abqualifizierten ethischen Maßstäbe, die er der jüdisch-christlichen Tradition anlastet, haben sich in Kulturen, die sich völlig unabhängig von Judentum und Christentum entwickelt haben, ebenso gebildet. Hier scheinen sich anthropologische Konstante zu zeigen. (Stichwort Goldene Regel.) Dass ich einer solchen Regel trotz meiner Sympathie für sie mit Vorbehalten gegenüberstehe, habe ich in meiner Kritik an Kants  Kategorischen Imperativ deutlich gemacht.)

Ich bin  Gefühlsethiker. Nach meiner Überzeugung gibt es keinen rationalen Grund zum Mitleid. Die Vernunft steht allen ethischen Werten neutral gegenüber. (Hat aber eine  mittelbare Wirkung auf die Ethik.) Wer in sich kein Mitleid vorfindet, den kann man nicht vom Wert des Mitleids überzeugen. Für Gefühle kann man nicht argumentieren. Aber ein solcher Mensch demonstriert damit, dass ihm ein wichtiger Teil dessen, was den Menschen ausmacht, fehlt. Nietzsche war ein Gefühlskrüppel! [4]

Wenn es den Minderwertigen gelungen sein sollte, den Starken ihre »minderwertige Moral« einzureden, dann wären ja die Minderwertigen die Starken geworden. Oder was versteht Nietzsche überhaupt unter »Stärke«? Auch hier kommt der Biologismus wieder zum Vorschein. Die Muskeln sind das Entscheidende, nicht der Kopf.

Das Leben beruhe auf Voraussetzungen, die gegen die  Moral seien. Das mag schon sein. Aber im Verlaufe der Entwicklung entstehen neue Seinssphären, neue  Qualitäten. (Siehe hierzu z. B. Hegel und Nicolai Hartmann um nur zwei der in diesem Zusammenhang wichtigsten Philosophen zu nennen.) Aber genau dies sieht Nietzsche nicht. Deshalb überträgt er die Gesetze der einen Seinssphäre (Natur) auf andere Seinssphären, wie menschliches Fühlen und Verhalten und die menschliche Gesellschaft. (Der Mensch ist etwas höheres, qualitativ anderes als ein Bakterium. Deshalb ist der Einsatz von Antibiotika gegen Bakterien gerechtfertigt, aber der Einsatz von Giftgas gegen Menschen eben nicht.)

Hirschberger kommt auf Grund der dem Naturalismus und Biologismus entgegengesetzten Behauptungen Nietzsches zu der Auffassung, Nietzsche habe die Haltlosigkeit von Naturalismus und Biologismus erkannt aber letztlich nichts darüber hinausgehendes entwickelt. Nietzsche werte nur das Bestehende ab ohne etwas Neues oder gar Besseres zu schaffen. (Hirschberger II, S. 512ff.)

Bei der Kritik des Christentums trennen mich von Nietzsche Welten. Was ich am Christentum noch am ehesten begrüßen kann, seine Ethik, wenn sie tatsächlich praktiziert und nicht nur postuliert wird, das ist das, was Nietzsche am Meisten am Christentum stört. Und was mich am Christentum am Meisten stört (abgesehen mal von der Irrationalität der christlichen Grunddogmen), die Kritiklosigkeit, mit der an einen Mythos geglaubt werden muss, die Allmacht der Kirche, die sie lange Zeit in großen Teilen der Erde hatte – ein letzter Rest Imperium Romanum, die Hierarchie – diese sei Rangordnung, Wille zur Macht, dies alles ist etwas, das Nietzsche am Christentum schätzt. Er wollte den Katholizismus mit allen seine äußerlichen Formen, aber mit seinen faschistoiden Glaubensinhalten ausgefüllt.

Nietzsche lehnte das  Neue Testament ab. Das  Alte Testament dagegen verehrte er. Im Neue Testament geht es vielfach um die Forderung nach Nächstenliebe. Im Alten Testament ist oft die Rede von Massenmorden, die Gott auch fordert. Das war ganz nach dem Geschmack von diesem Hirnkranken.

Das, was ich an dem von mir in keiner Weise geschätzten Luther noch am ehesten anerkennen könnte, dass er durch die von ihm eingeleitete Reformation die Allmacht der Katholischen Kirche gebrochen hat, dass er durch seine stärkere Bewertung der Einzelpersönlichkeit die Wende zur Neuzeit, zu einem neuzeitlichem Menschenbild eingeleitet hat, dass alles gerade kritisiert Nietzsche an Luther.

Nietzsches Kritik an den Deutschen läuft weitgehend darauf hinaus, dass die Deutschen seiner Zeit nicht so faschistoid waren, wie Nietzsche sich das gewünscht hatte. (Aber sie erschöpft sich nicht darin.) Zuviel Christentum, zu wenig vorchristliches Germanentum, zu wenig vor- bzw. nichtplatonisches Griechen- und Römertum.

Die Nazis haben Nietzsche nicht missbraucht. Sie haben Nietzsche benutzt. Sie haben diejenigen Aussagen Nietzsches genommen, die sie für ihre Ideologie gebrauchen konnten und die häufig genug in ihrer Eindeutigkeit gar nicht falsch verstanden werden konnten. Und die Aussage, die sie nicht gebrauchen konnten, haben sie weggelassen. Das soll natürlich nicht heißen, ohne Nietzsche hätte es keinen Faschismus gegeben, aber in dem Ursachengeflecht des Faschismus befindet sich auch Nietzsche. Hätte Nietzsche nicht in so mitreißender Sprache faschistoide Auffassungen verbreitet, wäre vielleicht mancher Faschist kein Faschist geworden.

Man muss einen Baum auch an seinen Früchten messen. Nietzsche ist nicht trennbar von dem, was im 20. Jahrhundert in seinem Namen angerichtet wurde. Genauso wenig wie Marx von dem trennbar ist, was in seinem Namen angerichtet wurde.

Nietzsche einen geistigen Wegbereiter des Faschismus zu nennen, bedeutet nicht zu behaupten, Nietzsche wäre ein 100%iger Befürworter der nationalsozialistischen Ideologie und Bewegung gewesen, hätte er zu der Zeit noch gelebt. Mir ist bekannt, dass es auch Äußerungen Nietzsches gibt, mit denen man hervorragend gegen Hitler und die Nazis polemisieren kann. Diese sagen aber lediglich aus, dass Nietzsche mit der konkreten Art, wie der Faschismus von den Nazis praktiziert wurde, wohl in einigen Punkten nicht übereingestimmt hätte. Aus seiner Begeisterung für Cesare Borgia, Ivan den Schrecklichen, Machiavelli, Napoleon u. ä. m. kann man aber zu Recht schließen, dass Nietzsche auch ein begeisterter Anhänger Hitlers hätte gewesen sein können. (Eine Ähnlichkeit gibt es zu dem deutschen reaktionären Schriftsteller Oswalt Spengler, der allgemein als ein geistiger Wegbereiter des Faschismus angesehen wird, selbst aber kein Nazi war.)

Nietzsche war Rassist aber kein Antisemit. Aber Mussolini und Franko waren auch keine Antisemiten. Der  Antisemitismus war nicht in allen Ländern Bestandteil der faschistischen Ideologie und Bewegung, sondern in erster Linie dort, wo die Juden nicht nur einen prozentual beträchtlichen Teil der Bevölkerung ausmachten, sondern wo sie überproportional in den wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Eliten vertreten waren, was bei großen Teilen der Gastbevölkerung eine Überfremdungsphobie verursachte. (Und natürlich Neid. Aber nicht jede Forderung nach mehr Gleichheit, nach besserer Sozialpolitik etc. ist als Neid-Politik abzutun, wie Nietzsche, Margaret Thatcher und die Unternehmerverbände behaupten.) Und diese überproportionale Vertretung in den Eliten lässt sich so erklären, dass man den Juden jahrhundertelang nur bestimmte Berufe erlaubt hatte, was dazu geführt hat, dass bestimmte Fähigkeiten und Verhaltensweisen in den jüdischen  Volkscharakter eingingen. Diese Fähigkeiten und Verhaltensweisen müssen also nicht wie Nietzsche (und übrigens auch viele  Zionisten) annehmen, »Rassemerkmale« der Juden sein.

Über große Teile der Nazi-Bewegung hätte Nietzsche vielleicht die Nase gerümpft, da er die Masse der Menschen verachtete. Er war nicht national, nicht sozialistisch und nicht antisemitisch. Aber den Führer hätte er wohl trotz allem bewundert und den Absichten der SS, eine neue Herrenrasse zu züchten. hätte er große Sympathie entgegengebracht. (Die allermeisten Deutschen wären nach einiger Zeit Untermenschen gewesen.)

Wenn nun jemand mit Hinweis auf das umfassende schriftstellerische Schaffen Nietzsches, auf seine psychologischen, soziologischen, philosophischen etc. Einsichten, argumentiert, Nietzsche sei doch mehr gewesen als Kriegs- und Sklaverei-Befürworter, Gegner von Demokratie, Mitleid etc., dann verkennt er vielleicht, dass auch der Faschismus mehr war als Diktatur, KZ, Krieg und Untergang, wie es uns Heutigen auf Grund des geschichtlichen Verlaufs – und unserer nur oberflächlichen Kenntnisse der damaligen Zeit – erscheint. Auch im Faschismus gab es – im Rahmen des erlaubten – ein intellektuelles und künstlerisches Leben. Es gab nicht nur primitive SA-Schläger und SS-Massenmörder, es gab auch faschistische Intellektuelle und Künstler. Wenn  Hitler sich nicht in totaler Selbstüberschätzung mit der halben Welt angelegt hätte, gäbe es vielleicht noch heute in Deutschland eine faschistische Gesellschaft, mit einem breiten intellektuellen und künstlerischen Leben, das zwar nicht alle, aber doch viele deutsche kulturelle Traditionen fortgeführt hätte. Der Franko-Faschismus hat vier Jahrzehnte gehalten und in dieser Zeit war Spanien auch keine totale kulturelle und intellektuelle Wüste.

Der Mensch ist Brücke und Zweck. Er ist beides! Den Menschen nur als Brücke oder Instrument zur Erreichung von Höherem anzusehen, öffnet der Inhumanität Tür und Tor. Das ist sowohl der Geschichtsphilosophie Hegels und Marx' gegenüber anzumerken, wie gegenüber Nietzsches Idee vom »Übermenschen«. Jeder Mensch hat seinen Eigenwert und darf nicht im Interesse höherer Ziele verheizt werden. Auf diese Weise bekommt man keine bessere Welt, sondern eine schlechtere. Das hat die Geschichte x-fach bewiesen. In diesem Punkt stimme ich mit  Kant überein. Das schließt aber nicht aus, dass man Höheres anstrebt. Der Mensch ist auch Brücke. [5]


Reaktionen auf meinen Nietzsche Aufsatz

Dieser Aufsatz und ein weniger umfangreicher Vorläufer haben mir seit 1998 viele Mails eingebracht, die man grob in drei Gruppen teilen kann.

Da ich nicht die Zeit habe, jede Mail detailliert zu beantworten, möchte ich hier auf die zwei Hauptvorwürfe eingehen, die mir gemacht werden:

1. Wenn man mir vorwirft, ich würde Nietzsche einseitig darstellen, dann kann ich mit einem solchen Vorwurf leben. Ein solcher beinhaltet ja das Zugeständnis, dass ich jedenfalls eine Seite Nietzsches wiedergebe.

2. Wenn man mir aber vorwirft, das, was ich hier präsentiere, sei gar nicht Nietzsche, sondern eine Karikatur, eine Ansammlung von Verleumdungen, Verdrehungen, Vorurteilen etc., dann widerspreche ich dem. Alles, was ich über Nietzsche geschrieben habe, lässt sich anhand seiner Texte nachweisen. Millionen Menschen haben Nietzsche genau so verstanden, wie ich ihn dargestellt habe. Und Nietzsche hat Anlass genug dazu gegeben, ihn so zu verstehen. Und einige, die ihn so interpretierten, haben Gaskammern eingerichtet, um den Schwachen und Missratenen (und alles, was sie dafür hielten) dabei zu helfen, zugrunde zugehen, um nur ein Beispiel zu nennen. Wenn jemand Bücher schreibt und sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht, dann muss er auch die Wirkung einkalkulieren, die diese Bücher auf die Masse seiner Leser haben. Er ist mitverantwortlich für die Taten, zu denen sich seine Leser durch die Lektüre seiner Texte veranlasst fühlen.

Bisher bin ich noch von keinem Anhänger Poppers oder Platons oder Kants (ich könnte auch fünfzig andere Namen nennen) unter Geschimpfe dazu aufgefordert worden, meine Aufsätze aus dem Internet zu entfernen. [7] Solche Mails bekomme ich fast ausschließlich von Nietzsche-Fans. Warum? Ist mein Nietzsche-Aufsatz um so viel schlechter als meine anderen Aufsätze? Ich will keineswegs alle über einen Kamm scheren, die große Stücke auf Nietzsche halten. Ich habe auch Mails mit sehr ruhiger und sachlicher Kritik an meinen Nietzsche-Aufsatz bekommen. Es scheint aber leider – oder bezeichnender Weise? – unter Nietzsche-Fans einen überproportionalen Anteil von faschistoiden und paranoiden Charakteren zu geben, die es absolut nicht ertragen können, dass jemand eine andere Meinung hat als sie – insbesondere wenn dies eine negative Meinung über Nietzsche ist – und diese auch noch öffentlich äußert. Sie haben Probleme mit einer freien Gesellschaft, mit freier Meinungsäußerung. Sie empfinden es als Anmaßung, dass sich außer ihrem Götzen noch jemand erdreist, selbst zu denken. Die Leute, die 1933 in Deutschland Bücherverbrennungen durchführten und ein totalitäres System errichteten, beriefen sich auch auf Nietzsche, ein historischer Tatbestand, der vielen heutigen Nietzsche-Anhängern nicht in den Kram passt.


Diskussionen in Foren

Auch in vielen Foren ist über meinen Nietzsche-Aufsatz diskutiert worden. Zum Teil diskutiere ich selbst mit, oft erfahre ich aber von diesen Diskussionen erst Jahre später, wenn ich Seiten zufällig entdecke. In diese Foren hineinzugehen oder in die bethreffenden Threads ist dann nicht mehr sinnvoll oder gar nicht mehr möglich. Hier einige Antworten auf Einwände, Kritiken etc. pp.

Eine Verteidigungslinie der Nietzsche-Enthusiasten: Nietzsche hält uns lediglich den Spiegel vor. Nietzsche stellt nur fest. Er wertet nicht. Falsch! Aus seiner Bejahung des Lebens und des Werdens geht eine Bejahung all dessen hervor, was er als notwendige Voraussetzung und Begleiterscheinung von Leben und Werden ansieht. Er bejaht, er fordert Sklaverei, Ausbeutung, Krieg, Verbrechertum, Menschenvernichtung etc. pp.

Nietzsche spricht von der »Blonden Bestie« nicht sachlich distanziert, schon gar nicht kritisch, sondern bewundernd wohlwollend. Für ihn ist sie der Gegenentwurf zu den Schwachen und Missratenen, zu den Herdenmenschen, zu den Christen, Sozialisten, Altruisten, Liberalen, Demokraten usw. Nach Nietzsche alles Dekadenzerscheinungen.

Die europäische Integration, so mühsam sie auch ist, zeigt, dass wir ohne Krieg Fortschritte erzielen können. Man stelle sich vor, die große Mehrheit der Mitarbeiter bei Daimler-Benz wären keine freien Arbeiter und Angestellte, sondern Sklaven. Völlig absurd anzunehmen, so könnte man ein Spitzenprodukt wie den Mercedes herstellen. Jede hochentwickelte Gesellschaft braucht Arbeitsteilung. Zehntausende Berufe, die ausgeübt werden müssen. Aber keine hochentwickelte Gesellschaft ist auf der Basis von Sklaverei möglich.

Den Nietzscheanern sollte man die Frage stellen: Was für eine Gesellschaft wollt ihr? Was für eine  Moral wollt ihr? Wie soll nach euren Vorstellungen das menschliche Zusammenleben aussehen? Soll es Menschenrechte geben? Z. B. dass man Menschen nicht willkürlich verletzen oder töten darf, nicht die Freiheit entziehen darf. (Ob man solche Dinge als Strafe anwenden darf, als Reaktionen auf schweres Unrecht, das ist eine andere Debatte!) Soll jeder Mensch bei der Wahl eine Stimme haben? Soll die Möglichkeit bestehen per Mehrheitsbeschluss die Regierung abzuwählen?

Einige Nietzscheaner werden ausweichen, andere die Diskussion einstellen, einige werde dann die Katze aus dem Sack lassen: Sie wollen keine humane Gesellschaft. Sie wollen keine demokratische, soziale, pluralistische Gesellschaft. Viele Nietzscheaner sind sich insgeheim nämlich durchaus bewusst, was Nietzsche für eine reaktionäre Sozialutopie hatte, Und sie sympathisieren mit ihr. Bloß wenn sie das offen zugeben würden, dann würden die meisten Menschen mit ihnen gar nicht mehr reden. Es ist seit 1945 nicht mehr opportun sich offen zum Faschismus zu bekennen. Heutige Faschisten sind in der Regel verkappte Faschisten. Und einige sind so verkappt, dass sie nicht einmal selber merken, dass sie Faschisten sind.

»Der Übermensch Nietzsches ist meilenweit entfernt von dem, was die Nazis schaffen wollten.« Das kommt darauf an, »welchen« Nietzsche man nimmt. Der Nietzsche der mittleren Schaffenszeit war Reaktionär und Individualist. Der späte Nietzsche war Reaktionär und hatte den Individualismus zu Gunsten der Rangordnung aufgegeben. Die Auffassung des »mittleren« Nietzsches, »dass der Einzelne sich sein eigenes Ideal aufstelle und aus ihm sein Gesetz, seine Freuden und seine Rechte ableite« (Die fröhliche Wissenschaft, Aph. 143), hat der späte Nietzsche unmissverständliche zurückgenommen. »Meine Philosophie ist auf Rangordnung gerichtet: nicht auf eine individualistische Moral.« (Der Wille zur Macht, Aph. 287.)

Aber viel wichtiger als der Streit darüber, wer nun die »richtige« Nietzsche-Interpretation hat, ist, was wir uns heute unter einen Übermenschen vorstellen. Ich selbst lehne die Vorstellung eines Übermenschen überhaupt nicht ab. Gegen eine Weiter- und Höherentwicklung des Menschen habe ich gar nichts. Ganz im Gegenteil! Aber das Ergebnis einer solchen Höherentwicklung sollte nicht ein blonder Bodybuilder mit der Weltanschauung eines SS-Offiziers sein. Vorbilder einer solchen Höherentwicklung sollten Menschen wie Einstein und Russell sein. Die wirklich großen, überlegenen Menschen, hatten nie das Bedürfnis andere Menschen zu unterdrücken und zu erniedrigen. Das ist ein primitiver Instinkt. Oder ein Bedürfnis psychisch Kranker, wie Nietzsche einer war.

Für mich hat der Übermensch sowohl einen feineren, tieferen Intellekt, wie auch feinere, tiefere Gefühle und damit eine humanistische Ethik. Nietzsche wollte das Mitleid abschaffen, ich will die Mitleidlosigkeit abschaffen.

Ich habe auch kein Interesse daran, dass die Menschheit nur aus Schwachen, Missratenen, Dummen etc. besteht. Es ist für mich aber ein beträchtlicher Unterschied, ob man einen behinderten Menschen umbringt, oder ob ein Mensch, der in seiner Familie eine Erbkrankheit hat, beim Geschlechtsverkehr grundsätzlich ein Kondom benutzt oder sich freiwillig sterilisieren lässt. (Ich halte nichts davon Behinderungen zu idealisieren.) Massenmord an Kranken, sozial Unangepassten, vermindert leistungsfähigen Menschen etc. ist mit einer humanistischen Gesellschaft nicht vereinbar. Geburtenkontrolle, gewollte Kinderlosigkeit u. ä. aber durchaus.

»Wer Nietzsche zitiert, lügt« ist eine gerne verwendete Immunisierungsstrategie der Nietzscheaner. Es gibt hunderte Äußerungen von Nietzsche, wo er Krieg, Sklaverei, Verbrechertum, Menschenvernichtung etc. pp. fordert, aber diese Äußerungen darf man nicht zitieren. Dann lügt man nämlich. Nein, man muss Nietzsche ganz lesen, dann versteht man ihn, dann wird man merken, dass das alles so gar nicht gemeint ist, wie es da steht. Nietzsche müsse dialektisch gelesen werden, psychoanalytisch, subversiv, metaphysisch usw. usf. Man müsse seine Schriften als experimentell ansehen. Er habe doch vor sich selber gewarnt. :°( Tatsache ist: Millionen Menschen haben Nietzsche wörtlich genommen. Ein Philosoph, ein Schriftsteller ist verantwortlich für die Taten, zu denen sich viele seiner Anhänger, seiner Leser durch die Lektüre seiner Texte veranlasst fühlen. Besonders dann, wenn es sich dabei nicht um einige wenige seiner Leser, sondern um einen beträchtlichen Teil seiner Leser, um Hunderttausende Menschen handelt.

Auf den Vorwurf, Nietzsche sei ein Rassist gewesen, wird reagiert. in dem man auf die vielen anderen Rassisten unter den bedeutenden Philosophen hinweist. Kant habe den Begriff Rassen überhaupt erst bezogen auf Menschen benutzt und schlimme Sachen über außereuropäische Menschen geschrieben. Dazu sage ich: Festzustellen, dass es verschiedene Rassen gibt und auf Unterschiede zwischen den Rassen hinzuweisen ist für sich überhaupt nichts verwerfliches. Heute muss man fragen: Was ist bedingt durch die Kultur, durch die Sozialisation und was ist genetisch bedingt? Die meisten Unterschiede sind nicht genetisch bedingt, einige schon. (Die Spitzensportler im Laufen und Springen sind alle schwarz. Oder gibt es dort einen Weißen?) Das Entscheidende ist: Die Ethik Kants steht aus humanistischer Sicht meilenweit über der Ethik Nietzsches.

Die zentrale Aussage Nietzsches war: »Der Kern der Welt ist Wille zur Macht.« Machtsteigerung um jeden Preis sei das Ziel jeder richtigen Entwicklung.  Moral, Mitleid, Altruismus, Humanismus, Glück etc. seien dagegen Dekadenz, pöbelhafte Instinkte, Naivitäten. Waren andere bedeutende, berühmte Philosophen, Schriftsteller und Wissenschaftler in diesen Punkten Kinder ihrer Zeit, so ist Nietzsches Befürwortung von Sklaverei, Krieg, Vernichtung der Schwachen etc. pp., seine Gegnerschaft zu Humanismus, Demokratie, Emanzipation der Frauen und der Arbeiter das unmittelbare Resultat seiner philosophischen Grundüberzeugungen. Das unterscheidet ihn von den anderen.

Es gibt unter den Nietzsche-Verehrern auch viele, die sagen, Nietzsche habe auch viel Mist geschrieben. (Neben dem ihrer Meinung nach großartigen.) Besonders unter akademisch gebildeten und etwas älteren trifft man solche häufig. Es gibt aber auch die – meist jüngeren, meinst un- oder halbgebildeten –, die jeden Satz von Nietzsche verteidigen, reinzuwaschen versuchen. Da kommt dann viel lächerliches und leider auch faschistoides bei heraus. Wenn Menschen aus einem Philosophen erst einmal – bewusst oder unbewusst – ihren Götzen gemacht haben, dann sind Diskussionen mit diesen Menschen über diesen Philosophen in der Regel so fruchtlos wie Diskussionen mit Strenggläubigen über ihre Religion. (Sehen Sie hierzu auch Dummheit und Dogmatismus.)


Wenn Leute sich eine bestimmte Person zum Idol gemacht haben, dann wollen sie häufig gar nicht mehr wissen, wie diese Person wirklich war, was diese Person gemacht, geschrieben, vertreten hat. Halb bewusst, halb unbewusst biegt man sich diese Person so zurecht, dass sie Idol bleiben kann. Auf diese Weise schränken Menschen ihr Erkenntnisvermögen ein. Bei den Philosophen hat man dies besonders oft mit Marx und Nietzsche gemacht. [8] Bei Nietzsche besteht nun zusätzlich die Gefahr, dass einige seiner Anhänger halb bewusst, halb unbewusst so verfahren: Bevor ich zugebe, dass Nietzsche ein menschenverachtender Reaktionär war, werde ich lieber selbst zum menschenverachtenden Reaktionär.



Kommentare zu Nietzsche

Eduard von Hartmann kritisierte Nietzsches Moral, und bezeichnete diese als ein Plagiat der Auffassungen Stirners, den Nietzsche nirgends erwähne, aber gekannt haben müsse.

Ivo Frenzel bezeichnet Nietzsche in der Rowohlt Bild-Monographie Nietzsche als ein Kind der romantischen Epoche, ohne deren Vorstellung unbegreifbar und zugleich einer ihrer Vollender und Überwinder.

Jaspers äußert über Nietzsche in Die Großen Philosophen, Nachlass 1: Bei Nietzsche fände man alsbald das Gegenteil des irgendwo gesagten und fände nicht die Entscheidung. Sätze erstaunlicher Tiefe und Weite stünden neben solchen erstaunlicher Plattheit. Neben großartigen soziologischen Einsichten fände man Urteile, die alle realen Faktoren übersähen und Bausch und Bogen Urteile, die nur noch durch Ausdruckskraft bezaubern würden.

Der Zürcher Dichter und Staatsschreiber Gottfried Keller nachdem er zehn Minuten mit Nietzsche gesprochen hatte: »Ich glaub, dä isch verruckt!«

Nietzsches Brieffreund Franz Overbeck über dessen Judenfeindlichkeit: »dass, wo er ehrlich spricht, seine Urteile über die Juden allen Antisemitismus an Schärfe weit hinter sich lassen.«

Russell: »Ich verachte Nietzsche, weil er die Meditation über Schmerz liebt, weil er Dünkel zur Pflicht erhebt, weil die Männer, die er am meisten bewundert, Eroberer sind, deren Ruhm darin besteht, dass sie so gerissen sind, Männer in den Tod zu treiben.« [Meine Übersetzung. Original: »I dislike Nietzsche, because he likes the contemplation of pain, because he erects conceit into a duty, because the men whom he most admires are conquerors, whose glory is cleverness in causing men to die.«

Manès Sperber: »Nietzsches Übermensch mit dem vitalen Willen zur Macht, mit der vollkommenen Vorsicht und mit der vollkommenen Rücksichtslosigkeit – dieser Übermensch war das überkompensatorische Persönlichkeitsideal Nietzsches, des organisch und seelisch schwächlichen Mannes und Lebensängstlings. Sein Traum von der unbrechbaren und unerschöpfbaren Vitalität war der Traum eines, der sich fernhielt von den gedeckten Tischen, der den großen Strom pries, indes er selbst in dessen totem Arm blieb.«

Tolstoi: »Zur Anregung meiner Galle lese ich Nietzsche. Es lohnt sich, ihn zu lesen, um sich darüber zu entsetzen, woran sich die Leute begeistern.«


Literatur und Sekundärliteratur

Literatur:
1. Periode (Abhängigkeit von Autoritäten und Meistern.) 2. Periode (Losreißen, Erkämpfung der »Freiheit von«. Bruch mit Wagner und Schopenhauer. Nietzsche nähert sich einem naturalistischem Positivismus.) 3. Periode (Hinwendung zu eigenen Werten und Zielen. Nietzsche vertritt reaktionäre und faschistische Positionen.) Fragmente (1869–1874)
Fragmente (1875–1879)
Fragmente (1880–1882)
Fragmente (1882–1885)
Fragmente (1885 ff)

Sekundärliteratur:
Nietzsches Sozialutopie nach diesem Buch:

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Anmerkungen

Anm. 1: Dass Nietzsche mehr ist, als hier steht, bestreite ich nicht. Neben den hunderten z. T. quasi religiösen »Hochglanzseiten« der Nietzsche-Enthusiasten mit ihren »Reinwaschungen« und Götzenbildern wird man doch auch mal eine kritische ertragen können, die den »negativen Nietzsche« darstellt. Den Vorwurf der einseitigen Darstellung nehme ich dafür in Kauf. Zurück zum Text

Anm. 2: Weischedel beschreibt in der Philosophischen Hintertreppe wie verklemmt und erfolglos Nietzsches Verhältnis zu Frauen war und er schließt daraus: »Die Peitsche in der Hand Nietzsches ist Altweibergewäsch.« Das kann ich nun überhaupt nicht nachvollziehen. Jeder, der ein bisschen die Theorien Freuds und Reichs kennt, weiß, dass ein solches Schicksal der beste Nährboden für herrschsüchtige und sadistische Phantasien ist. Was nicht bedeutet, dass es hier einen Automatismus gibt. Im Menschen können ja verschiedene Gefühlslagen mit- oder gegeneinander sein und welche sich durchsetzen, hängt von der Gesamtperson ab. Zurück zum Text

Anm. 3: Wittgenstein hat sein 2. Hauptwerk Philosophische Untersuchungen nie selbst herausgegeben. Es wurde aus Nachlässen zusammengestellt. Und? Gibt es einen bzw. Zehntausende Aufschreie: »Das hat der Wittgenstein ja gar nicht geschrieben!« Nein. Gibt es nicht. Die Schriften des Aristoteles sind fast alle verloren. Was geblieben ist, sind Stichworte, Konzepte für seine Vorträge etc. Und? Gibt es einen bzw. Zehntausende Aufschreie: »Das hat der Aristoteles ja gar nicht geschrieben!« Man könnte zig weitere Beispiele anführen, wo nach dem Tod von Philosophen aus deren Nachlässen Bücher zusammengestellt wurden. Alles, was ich aus der – aus dem Nachlass zusammengestellten Schrift –  Der Wille zur Macht zitiert habe, ist zweifellos von Nietzsche geschrieben. Punktum! Wenn es im Zusammenhang mit früheren Veröffentlichungen eines Teils seines Nachlasses zu Fehlern und Fälschungen gekommen sein sollte, so müssen diese herausgearbeitet werden. Aber es kann ja wohl niemand ernsthaft fordern: »Der Nachlass bleibt unter Verschluss. Die Menschheit bekommt keine Kenntnis davon.« (So wie es früher im Realen Sozialismus mit Schriften von Marx, Engels und Lenin geschah, die nicht ins herrschende Bild passten.) Der Nachlass sollte, so wie er vorgefunden wird, fotokopiert und als Bilddateien ins Internet gestellt werden. Dann kann sich jeder sein eigenes Bild machen. Zurück zum Text

Anm. 4: Es gibt die Geschichte, dass Nietzsche kurz vor seinem endgültigen geistigen Zusammenbruch beobachtete, wie ein Kutscher mit der Peitsche auf sein Pferd einschlug. Daraufhin eilte Nietzsche unter lautem Wehklagen auf das Pferd zu, um es auf offener Straße zu umarmen. Das zeigt, dass Nietzsche die von ihm propagierte Mitleidlosigkeit selbst gar nicht immer durchhalten konnte. Aber viele seiner Leser, seiner Jünger konnten es nun mal und haben Millionen von Menschen ermordet. Zurück zum Text

Anm. 5: Auch für mich ist der Mensch Brücke zu höherem. Der  Lehre vom Übermenschen könnte ich mich sofort anschließen, wenn sie mit humanistischen Idealen verbunden wäre. Manches, was Nietzsche in diesem Zusammenhang schreibt, reißt auch mich mit, spricht mir aus dem Herzen. Leider ist aber besonders der späte Nietzsche inhuman und faschistoid. Wie ich mir die »Brückenfunktion« des Menschen vorstelle, habe ich in meinem Aufsatz Über die Notwendigkeit der Entstehung höherer Arten näher ausgeführt. Zurück zum Text

Anm. 6: Diese Behauptung stimmt nicht! Diese Mails haben eine humoristische Wirkung auf mich. Ich amüsiere mich immer köstlich. Es macht mir ein diebisches Vergnügen daran zu denken, dass sich irgendwo ein Nietzsche-Fan über meinen Nietzsche-Beitrag ärgert. (Siehe auch: Menschliches, Allzumenschliches, Aph. 103, Das Harmlose an der Bosheit. In diesem Aphorismus ist neben psychologischen Einsichten auch das Unverständnis für die Ambivalenz des menschlichen Gefühlslebens, bzw. dass diese nicht mit Herren- und Sklavenmoral abgetan werden kann.) Zurück zum Text

Anm. 7: Diese Aussage aus früheren Jahren stimmt inzwischen nicht mehr ganz, da ich inzwischen auch von Anhängern Platons und Kants bitterböse Mails erhalten habe. Aber die von Nietzsche-Anhängern waren noch ein bisschen bitterer. Und sie waren (zumindest in früheren Jahren) häufiger. Zurück zum Text

Anm. 8: Ich kenne diesen psychischen Mechanismus aus eigener Erfahrung. In der ersten Hälfte der 70er Jahre war ich aktiv in der SDAJ, der faktischen Jugenorganisation der DKP, die wiederum der westdeutsche Arm der DDR-Staatspartei SED war. Wenn mir damals jemand gesagt hat, in der DDR sei es ganz anders, als ich es glaube, dann habe ich das weggeschoben. Das passte nicht zu meiner Begeisterung für die kommunistische Idee. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre hat sich das bei mir geändert. Heute weiß ich, dass ich ohne die unbewusste Erkenntnisschranke auch in der ersten Hälfte der 70er Jahre schon klüger hätte sein können. Schlimm sind die Menschen, die ihre unbewussten Erkenntnischranken nie erkennen und überwinden, die mit ihren Erkenntnisschranken sterben. Zurück zum Text


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