Die Vorsokratiker

Die »Vorsokratiker« sind die griechischen Philosophen, die in der Antike zeitlich dem Sokrates und damit der Blütezeit der  griechischen Philosophie mit Platon und Aristoteles vorausgingen. Einige Autoren zählen auch die Sophisten zu den Vorsokratikern.

Namen von Personen, Orten, philosophischen Begriffen etc. sind in der Literatur unterschiedlich. Es scheint so zu sein, dass verschiedene Autoren unterschiedlich vom Altgriechischen ins Deutsche übersetzen. Auch Jahreszahlen unterscheiden sich geringfügig.


Grundsätzliches:

  • Das antike Griechenland war die Wiege der abendländischen Kultur und die griechischen Philosophen sind die Stammväter der abendländischen Philosophie.
  • Kaufleute und Seefahrer lernten verschiedene Religionen und Kulturen kennen. Dies wurde zum Nährboden für Zweifel und eigenes Denken.
  • In der Entstehungszeit der griechischen Philosophie gab es Freiheit und Demokratie in vielen griechischen Staaten,
  • keine Unterjochung durch fremde Völker und
  • keine bedeutende Priesterkaste, die die Entfaltung des freien Denkens behinderte. (Griechische Religion – Das schloss aber leider nicht aus, dass Philosophen von den politisch mächtigen zum Tode verurteilt wurden oder aus ihrer Heimat fliehen mussten.)
  • Zu der Diesseitigkeit und Helle der homerischen Religion kamen aus dem Orient Religionen des Dunklen und Jenseitigen.
  • Die Philosophie und Wissenschaft der Vorsokratiker löste sich gerade vom Mythos, bzw. ging aus Mythen hervor, ist häufig noch eine Mischung aus wissenschaftlich/philosophischer Welterklärung und Mythenbildung. Das sieht man z. B. an den Weltmodellen des  Anaximandros und des  Empedokles. Von einem echten  Materialismus kann wohl noch nicht die Rede sein.
  • Die vorsokratische Philosophie entstand nicht im griechischen Mutterland, sondern in den griechischen Kolonien, besonders in Ionien. (Die Westküste Kleinasiens – heute türkische Westküste – und vorgelagerte Inseln.) Deshalb wird die vorsokratische Philosophie auch »Ionische Philosophie« genannt.


Die Vorsokratiker ausführlicher


Milesische Naturphilosophen  
Pythagoras
Eleaten Naturphilosophen des 5. Jahrhunderts

Die milesischen Naturphilosophen

Die Stadt Milet, im südlichen Kleinasien gelegen – heute türkische Westküste –, war im 6. Jahrhundert v. u. Z. ein bedeutender Handelsplatz. Hier trafen verschiedene Kulturen, Religionen und Völker aufeinander und hier entstand die  griechische Philosophie. Von Naturphilosophen spricht man, weil sich diese Philosophen besonders mit der Natur, ihrer Beschaffenheit und ihrer Funktionsweise beschäftigten.


Thales von Milet

Thales (ca. 624–546) war ein weitgereister Kaufmann, Staatsmann, Mathematiker, Astronom, Naturforscher und Philosoph. Er sagte die Sonnenfinsternis vom 28. Mai 585 v. u. Z. richtig voraus. (Dadurch ist es uns heute leichter, Zeitangaben über diese Epoche zu machen.) Am Leichtesten sei es, anderen Rat zu geben und am Schwersten, sich selbst zu erkennen. (Die Blindheit des Subjekts für sich selbst wurde damals erkannt.)  Tugend sei, dass wir niemals das tun, was wir an andern verurteilen. ( Kants »kategorischer Imperativ«.) Thales: »Nicht dein Äußeres schmücke, sondern sei schön in deinem Tun.«

Als Urstoff, aus dem alles hervorgegangen sei, betrachtete Thales das Wasser. Im Widerspruch zu diesem scheinbar »naiven«  Materialismus sagt Thales aber auch »Alles ist voll von Göttern.« (Was man als einen Rest von Naturreligion oder als beginnenden Pantheismus interpretieren könnte.) [Später wird die Menschheit dann erkennen, dass die  Evolution des Lebens im Wasser begonnen hat, und dass lange vor diesem Prozess in einem Urknall als einziges chemisches Element der Wasserstoff entstanden war, aus dem sich alle weiteren Elemente und damit alle Materie gebildet hat. Davon wusste Thales aber noch nichts.]

Was macht Thales den meisten Forschern zum Begründer der
Philosophie?
Wilhelm Weischedel über Thales: »Es geht ihm nicht um die Dinge, sondern um das Wesen der Dinge. Er will dahinter kommen, was es in Wahrheit mit dem auf sich hat, was sich in so vielfältigen Gestalten in der Welt findet: mit den Bergen, den Tieren und den Pflanzen, mit dem Wind und den Sternen, mit dem Menschen, seinem Tun und seinem Denken. Was ist das Wesen von alledem, fragt Thales. Und weiter: woher kommt, woraus entspringt das alles? was ist der Ursprung von allem? was ist das Eine, alles Umfassende, das Prinzip, das macht, dass das alles wird und ist und besteht? Das sind, wenn auch von ihm selber nicht so ausgesprochen, die Grundfragen des Thales, und indem er sie als Erster stellt, wird er zum Anfänger der Philosophie. Denn nach dem Wesen und nach dem Grunde zu fragen, ist seitdem und bis heute das zentrale philosophische Anliegen.« Die philosophische Hintertreppe, S. 7)


Anaximandros

Anaximandros (oder Anaximander, ca. 611–549) sah das Urprinzip der Welt und die Ursache allen Seins in einem Unbestimmten und Grenzenlosen (apeiron). Er vertrat die Theorie eines periodischen Wechsels von Weltentstehung und Weltzerstörung [das pulsierende Universum] und nahm auf spekulative Weise Aussagen der späteren  Evolutionstheorie vorweg. (Die Menschen seien aus im Wasser lebenden Tieren hervorgegangen!)

Das Entstehen und Vergehen der Dinge einschließlich der Menschen sei notwendig, da das Beharrende das neu Ankommende daran hindere, ins Dasein zu gelangen. Untergang sei Sühne für ein Vergehen, Sterben heiße Abbüßen einer Schuld. [ Paulus: »Der Tod der Sünde Sold.« Vielleicht hat er das von hier.] Entstehen und Vergehen müsse sein, damit das Unendliche seine Lebendigkeit erhalte.

[Das Unendliche kann seine Lebendigkeit auch bewahren, wenn sich ein bestimmtes Individuum ändert und nicht ein anderes an seine Stelle tritt. Dass ein menschliches, damit bewusstes Individuum nach 80 Jahren sterben muss, ist selbst bei Zustimmung zu dieser metaphysischen Spekulation nicht erforderlich. Es könnte sogar Milliarden Jahre existieren, ohne dass deshalb dem Unendlichen irgendein Schaden entstünde.]


Anaximenes (um 550) sah die Luft als Urstoff an. Alle anderen Stoffe entstünden durch eine Verdickung oder Verdünnung der Luft. So wie die Luft dem Menschen das Leben ermögliche, so auch dem Kosmos.

Viele Professoren und Autoren sehen das Gemeinsame der drei milesischen Naturphilosophen darin, dass sie versuchten die Vielfalt der Welt auf einen Urstoff zurückzuführen, und dass sie unvoreingenommen mit naturwissenschaftlichem Denken an diese Frage herangingen. (Z. B. Störig.) Es gibt aber auch Professoren und Autoren, die die Naturphilosophen metaphysisch auslegen. Der Urstoff sei gar nicht als etwas materielles verstanden worden. (Z. B. Weischedel und Hirschberger.)


Pythagoras und die Pythagoreer

Pythagoras (580–500) von der Insel Samos im ägäischen Meer (nahe der heutigen türkischen Westküste) stammend, gründete nach langen Reisen, die ihn wahrscheinlich nach Ägypten und in den Orient führten, in Kroton (dem heutigen Cotrone) in Unteritalien eine Philosophenschule, bzw. einen religiösen Orden, der an orientalischen Auffassungen orientiert war: Seelenwanderungsglaube, Ethik der Selbstdisziplin, Genügsamkeit und Enthaltsamkeit. Er war ein Mathematiker, Astronom, Philosoph und Mystiker.

Die Zahlen seien das eigentlich Grundlegende bzw. die Bausteine der Welt. Für Pythagoras ging die Welt nicht wie bei den  milesischen Naturphilosophen aus einem Urstoff, sondern in einem Urgesetz hervor. [Das ist ein wichtiger Schritt über einen naiven  Materialismus hinaus.]

[Viele Philosophen und Naturforscher zu Beginn der Neuzeit werden sagen: »Gott habe die Welt unter Zugrundelegung mathematischer Gesetze geschaffen«. ( Cusanus); »Ubi materia, ibi geometria«. (Kepler) Pythagoras ist ein Beispiel dafür, dass man auf mystische, spekulative oder  deduktive Weise durchaus in die Nähe der Wahrheit gelangen kann.]

Die Pythagoreer waren ein religiös-philosophischer Orden. In einer klosterartiger Gemeinschaft versuchten sie ihre Ideale zu verwirklichen: Wissenschaftliche Bildung,  Musik, Gymnastik, Heilkunde. Auch Frauen wurden aufgenommen, was für die damalige Zeit ungewöhnlich war. Ihre Zahlenmystik führte zur Entdeckung einiger mathematischer Gesetze, z. B. der Satz des Pythagoras: Bei rechtwinkligen Dreiecken ist a² + b² = c². Nachdem sie sich in die Politik eingemischt hatten, soll ihr Kloster vernichtet und viele von ihnen getötet worden sein. Danach lebten sie verstreut in der antiken Welt.

Archytas von Tarent (428–350). Pythagoreer, Philosoph und Mathematiker. Mit Platon befreundet, der durch ihn zum  Seelenwanderungsglauben gekommen sein soll. (Sehen Sie hierzu auch Wiedergeburt.)


Die Eleaten

An der Westküste Italiens, südlich der heutigen Stadt Salerno befand sich in antiker Zeit die Stadt Elea. Aus ihr stammten die folgenden drei Eleaten, die jeweils die Gedanken ihres Vorgängers weiterentwickelten.


Xenophanes – Die Begründung der Erkenntnis- und Religionskritik

Xenophanes (um 600) kam als Rhapsode weit herum und lernte so verschiedene Religionen und Kulturen kennen. Aus der Tatsache, dass die verschiedenen Götter große Ähnlichkeit mit der Physiognomie der Menschen hatten, die an sie glaubten, schloss er, dass Tiere Götter mit Tiergestalten haben würden, wären sie bereits religiös. Kritisierte den Wunder- und Aberglaube und die Seelenwanderungsvorstellung.

Pantheismus und  Monotheismus : Nach Xenophanes gibt es nur einen einzigen Gott, der weder in seiner Gestalt noch in seinen Gedanken dem Menschen vergleichbar sei. Dieser Gott sei allgegenwärtig, er sei mit dem Weltganzen identisch. [ Spinoza] Xenophanes stellte als Erster die Behauptung auf, es gebe hinter der Vielfalt der Erscheinungen ein ewiges, unveränderliches Sein.

Xenophanes gilt als Gründer der Erkenntniskritik. »Nicht von Beginn an enthüllten die Götter den Sterblichen alles, aber im Laufe der Zeit finden wir suchend das Bessere. Sichere Wahrheit erkannte kein Mensch und wird keiner erkennen, über die Götter und alle die Dinge, von denen ich spreche. Sollte einer auch einst die vollkommenste Wahrheit verkünden, wüsste er selbst es doch nicht. Es ist alles durchwebt von Vermutung.« (Zitiert nach Rowohlt Monographie Popper, S. 68.)


Parmenides – Das ewige Sein

Parmenides wurde um 540 geb. und war wohl ein Schüler von Xenophanes.

Keine Bewegung: Die Sinne täuschten uns eine Welt des Werdens und der Bewegung vor. Es gebe aber in Wirklichkeit kein Werden und keine Bewegung, sondern nur unveränderliches, beharrendes Sein. ( Platon sieht das auch so.) Parmenides steht am Beginn des Essenzialismus.

Rationalismus: Sicheres Wissen erlange man nur durch Vernunfterkenntnis. Denken und Seiendes seien eins. ( Hegel) Die sinnlichen Wahrnehmungen seien Ursache aller Irrtümer. (Nach moderner Bezeichnung war Parmenides ein Rationalist und kein Empirist.)

[Es mag Teile des Seins geben, wo es keine Veränderung gibt, es trifft aber nicht für das Sein als Ganzes zu. In dem Moment, wo ich Bewegung und Entstehung erlebe, in dem Moment gibt es auch Bewegung und Entstehung. Denn mein Erleben ist Teil dessen, was objektiv existiert. Dieses Problem versucht Platon später dadurch zu, lösen, dass er zwischen einem »wahren Sein« und einem »Sein, das kein wahres Sein hat« unterscheidet. Nach meinem Dafürhalten Taschenspielertricks, mit denen man versucht eine vorgefertigte Theorie zu retten, nach dem sich ihre Unvereinbarkeit mit der Wirklichkeit herausgestellt hat. Bei  Hegel findet man später ähnliches.]


Zenon von Elea (ca. 495–445) verteidigte die Lehre des Parmenides. (Er)fand einige berühmte Paradoxa z. B. über Achilles und die Schildkröte.
Achilles und eine Schildkröte machen einen Wettlauf. Die Schildkröte bekommt einen Vorsprung. Um die Schildkröte einzuholen, muss Achilles zuersteinmal diesen Vorsprung einholen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Schildkröte aber wieder einen Vorsprung, den Achilles ersteinmal überwinden muss etc. pp. Deshalb kann Achilles die Schildkröte nie einholen.


Die Naturphilosophen des 5. Jahrhunderts

Heraklit – Das ewige Werden – Die Begründung der Dialektik

Heraklit, aus der Stadt Ephesos in Kleinasien (heutige Westtürkei), lebte im 6./5. Jahrhundert v. u. Z. Er verachtete die Mehrheit der Menschen, lehnte die Demokratie ab und war im Alter Einsiedler. Heraklit sah ein Einheitliches hinter der Vielheit, aber keinen Stoff, sondern ein Gesetz, den logos. Er begründete die dialektische Entwicklungslehre. Das konträre oder polare Zusammenspiel gegensätzlicher Kräfte verursache ständige Veränderungen. Der Krieg sei der Vater aller Dinge. (Wobei man dies nicht im wörtlichen Sinne verstehen muss, wie später bei  Nietzsche.) Jedes Ding setze sich aus gegensätzlichen Eigenschaften zusammen.

Im Gegensatz zu  Parmenides betont Heraklit das ständige Werden und Vergehen der Dinge. Heraklit steht am Beginn des Aktualismus. [Für die Welt meiner Erscheinungen bzw. Erlebnisse trifft dies zweifellos zu. Ob es für das Sein schlechthin, bzw. für alle Teile des Seins zutrifft, ist eine andere Frage. Heraklit fehlt hier, wie später Hegel, die meiner Ansicht nach nötige skeptische Distanz zu den eigenen Überzeugungen.]

In der Neuzeit haben besonders Hegel und Nietzsche an Heraklit angeknüpft, allerdings in ganz unterschiedlicher Weise. Leider sind von Heraklit, der eine ähnlich umfassende Schriftstellerei betrieben hat wie Platon und Aristoteles, nur wenige Äußerungen überliefert. Wäre mehr von seinen Schriften erhalten geblieben, würde man ihn in seiner Bedeutung wahrscheinlich den beiden an die Seite stellen. (So wird es jedenfalls häufig von Kennern der antiken Philosophie gesagt.)

Zitate: »Ich beriet mich bei mir selbst. ... Es gibt nur eine Weisheit: ein vertrautes Verhältnis zu der Einsicht, nach der überall alles gelenkt wird. ... Der Gott ist Tag-Nacht, Winter-Sommer, Krieg-Frieden, Sättigung-Hunger. ... Verbindungen: Ganzheiten und keine Ganzheiten, Zusammentretendes – Sichabsonderndes, Zusammenklingendes – Auseinanderklingendes; somit aus allem eins wie aus einem alles. ... Das Widerstreitende zusammentretend und aus dem Sichabsondernden die schönste Harmonie. ... Krieg ist von allem der Vater, von allem der König. ... Krankheit macht Gesundheit angenehm und gut, Hunger Sättigung, Ermüdung das Ausruhen. ... Meer: das sauberste und zugleich das verfaulteste Wasser, für Fische trinkbar und lebenerhaltend, für Menschen nicht trinkbar und tödlich. ... Auf der Peripherie des Kreises fallen Anfang und Ende zusammen. ... Der Weg hinauf und hinab ist ein und derselbe. ... Kaltes wird warm, Warmes kühlt sich ab, Feuchtes trocknet, Trocknes wird feucht. ... Dasselbe ist: lebendig und tot und wach und schlafend und jung und alt. Denn dieses ist umschlagend in jenes und jenes umschlagend in dieses. ... In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind (es) und wir sind (es) nicht. ... Dem Gott ist alles schön und gut und gerecht; die Menschen aber haben das eine als ungerecht, das andere als gerecht angesetzt. ... Schweine fühlen sich wohler im Kot als im sauberen Wasser. ... Einer gilt mir unzählige, so er der Ausgezeichnetste ist. ... Eins vor allem anderen wählen sich die Besten: den ewigen Ruhm vor den sterblichen Dingen; die große Menge aber ist gesättigt, wie das Vieh.« (Quelle: Mansfeld, Jaap, Die Vorsokratiker, Griechisch/Deutsch, Philipp Reclam Jun. Stuttgart 1987)


»Diese Welt hat kein Gott und kein Mensch erschaffen, sondern sie war immer und ist und wird sein ein ewig lebendiges Feuer, nach Maßen erglimmend und nach Maßen erlöschend.«   Heraklit


Zitiert nach Hirschberger 1


Empedokles – um 500–430

Empedokles gilt als der erste Eklektizist. Er nahm von den verschiedenen Philosophen einzelne Aussagen und entwickelte daraus seine eigene Theorie, von der er annahm, sie würde das Wertvollste der bisherigen Systeme verarbeiten, ihre jeweiligen Schwächen aber vermeiden. Er nahm vier Urelemente an: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Es gebe eine periodische Abfolge von Weltentstehung und Weltzerstörung. Dialektik: Zwei widerstreitende Kräfte seien treibend und gestaltetend: Vereinigende und Trennende, Liebe und Hass etc. Mal herrsche die eine vor, mal die andere. Empedokles glaubte an die Seelenwanderung. Er behauptete bereits, dass Entwicklung in einem Prozess von Versuch und Irrtum vor sich gehe. (Wie später  Popper).


Anaxagoras – um 500–428

Anaxagoras war der erster Philosoph in Athen. Wurde dort der Gottlosigkeit angeklagt und zum Tode verurteilt. Entzog sich der Vollstreckung durch Flucht. Er behauptete, es gebe nicht einen oder mehrere Urstoffe, sondern eine unbegrenzte Menge qulitativ verschiedener Weltbausteine. Das Neue gegenüber den bisherigen Naturphilosophen war, dass Anaxagoras von der Existenz eines denkenden, vernünftigen, allmächtigen, aber unpersönlichen Gottes ausging (Pantheismus), der den Anstoß für die Entstehung der Welt gegeben habe. Aristoteles meinte später, mit dem Begriff des nous sei Anaxagoras unter den vorsokratischen Philosophen wie ein Nüchterner unter Trunkenden gewesen.

Diogenes von Apollonia: Ein Schüler des Anaxagoras, vertrat die Auffassung, dass alles Naturgeschehen auf ein Ziel hin gerichtet sei, und führte damit noch vor Aristoteles die Teleologie in die Philosophie ein. In pantheistischer Art spricht er von einem göttlichen Geist an dem alles Teil hat. Sei dieser Geist auch unsichtbar, so erkenne man ihn doch an seinen Werken.


Leukipp und Demokrit / Der klassische Materialismus

Leukipp (5. Jahrhundert v. u. Z.), von dem man sehr wenig weiß), und sein Schüler Demokrit (um 460–370 v. u. Z.) waren die Begründer des klassischen  Materialismus und der Atomtheorie. Ihre Lehre hat das wissenschaftliche Weltbild der Gegenwart entscheidend beeinflusst. (Obwohl sich dieser Materialismus in wichtigen Punkten von dem unterschied, der im 19. Jahrhundert entstand.  Genaueres weiter unten.)

Das Sein bestehe aus verschiedenen winzigkleinen unteilbaren Körperchen, Atomen, die nicht entstünden und nicht vergingen. Diese Atome unterschieden sich von einander nur quantitativ, in ihrer Gestalt, ihrer Schwere etc. (Unterschied zu  Anaxagoras.) Dies gelte auch für alle aus Atomen zusammengesetzte Körper. (Zwischen einem Stein und einem Menschen gibt es damit keinen qualitativen Unterschied.)

Alles Entstehen und Vergehen sei ein Sichzusammenschließen und ein Sichtrennen von verschiedenen Atomen. Damit diese Entwicklung, diese Bewegung stattfinden könne, bedürfe es des leeren Raumes.

Einige Eigenschaften (Schwere, Undurchdringlichkeit) kämen den Dingen selbst zu. (Primäre Eigenschaften.) Andere Eigenschaften (Farbe, Geruch, Geschmack) hätten ihre Ursache in der Eigenart unserer Sinne. (Sekundäre Eigenschaften.) (Wie später bei  Locke. Vielleicht hat er es von hier.)

Die Bewegung der Atome sei durchgehende kausal. Zufall sei subjektiver Schein, der aus Unkenntnis der Ursachen entstehe. Jedes Ding entstehe notwendig.

Es bedürfe zur Weltenentstehung keines denkenden und lenkenden Gottes (Unterschied zu  Anaxagoras), auch keiner widerstreitender Kräfte (Unterschied zu  Heraklit). Das bedeutet aber nicht, das Demokrit ein Atheist war. Aber die Götter seien ebenso wie alles andere den Naturgesetzen unterworfen.

Die Seele werde gebildet aus feuerartigen Seelenatomen. Nach dem Tode zerstreuten sich die Seelenatome.

Erkenntnis geschehe dadurch, dass die Dinge, zu denen auch die menschlichen Körper gehörten, ständig leichte Ausflüsse produzierten, die zum Teil unsere Sinne erreichten und durch sie in unsere Seele kämen.

Irrtümer entstünden dadurch, dass diese Ausflüsse bevor sie unsere Sinne erreichten, Umformungen ausgesetzt seien. Deshalb seien Sinneseindrücke unzuverlässig. Ihnen käme nur Wahrscheinlichkeit zu. Sie müssten durch die Vernunfterkenntnis ergänzt werden.

Ethik: Glückseligkeit sei die heitere Gelassenheit des Gemüts, die Geringschätzung des Sinnengenusses und die Hochschätzung der geistigen Güter.

Kritisches zu diesen Vorstellungen

Einige moderne wissenschaftliche Theorien des 20. Jahrhunderts z. B. die  Relativitätstheorie, die Urknalltheorie und die Heisenbergsche Unschärferelation stehen diesem klassischen Materialismus entgegen.

Die Verabsolutierung der Kausalität ist das Ergebnis eines unkritischen Schließens vom (subjektiven) Denken auf das (objektive) Sein, einen Vorgang, den ich (in Übereinstimmung mit Hume und Kant) für unzulässig halte.

Wenn alles notwendig ist, dann ist auch alles zufällig. Mir scheint es nicht plausibel, dass die Vielfalt der Welt, die scheinbare Gesetzmäßigkeit der Entwicklung von einfachen zu komplexeren Strukturen und meine eigene Existenz (speziell des Bewusstseins) aus planloser Bewegung von Materie hervorgegangen sein soll.

Die heutigen Materialisten, besonders die Marxisten, stellen Demokrit gern als ihren Vorläufer hin. Demokrit war aber kein Materialist im modernen Sinne, nicht im Sinne des im 19. Jahrhundert entstandenen Naturwissenschaftlichen Materialismus oder des  Dialektischen Materialismus. Demokrit war eigentlich ein  Dualist und zwar in zweifacher Hinsicht: 1. Er war kein Atheist, er leugnete nicht die Existenz der Götter. 2. Er hatte keine materialistische Bewusstseinserklärung. Das Bewusstsein entstand für ihn nicht durch ein sehr komplexes Gebilde von körperlichen Atomen (sprich Gehirn), sondern der Mensch war für ihn eine Mischung aus Körperatomen und feuerartigen Seelenatomen.

Zur Kritik des Materialismus, sowohl des klassischen wie des modernen von Marx und Lenin, sehen Sie bitte meinen Aufsatz Kritik des philosophischen Materialismus.


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