Wesen


 Verschiedenen Bedeutungen von Wesen
 Zitate zu Wesen


Verschiedenen Bedeutungen von Wesen

Umgangssprachlich ist ein Wesen ein bestimmtes Individuum (Lebewesen) oder eine bestimmte Menge an Dingen oder Beziehungen. (Gemeinwesen, Gesundheitswesen), das/die sich von anderen Wesen unterscheiden lassen.

In der Philosophie wird der Begriff »Wesen« (wie viele andere Begriffe auch) nicht einheitlich verwendet. (Näheres dazu  hier.)

Vorwiegend wird unter Wesen das verstanden, was einem Seienden, einer Sache, Erscheinung, Beziehung etc. notwendig zukommen muss, um es zu dieser spezifischen Sache, Erscheinung, Beziehung etc. zu machen.

Beispiel: Das Wesen eines Stuhls ist, dass er von Menschen speziell zum Sitzen erstellt wurde. (Essenzielle Eigenschaft) Das Material, aus dem er besteht, ist variabel (Holz, Plastik, Metall u. w.). Auch die Farbe, die konkrete Form und weiteres kann verschieden sein. (Akzidentielle Eigenschaften) Wenn aber etwas nicht zum Sitzen erstellt wurde, macht es keinen Sinn, es Stuhl zu nennen. [1]

So wird unter Wesen auch das bei allen Veränderungen (Bewegung) bleibende verstanden. Hier wird dann auch vom Ewigen, von der  Idee, der  Form, den Universalien etc. gesprochen.

Beispiele: Früher dachte man, der einzelne Mensch vergeht, aber nicht die Gattung Mensch. Wenn der einzelne konkrete Berg abgetragen wird, gibt es immer noch andere Berge. Das Wesen liegt also in der Gattung, im Allgemeinen. Mit dem Aufkommen des Entwicklungsgedankens in der Naturwissenschaft ist diese Auffassung problematisch geworden. Auch die Gattungen der Lebewesen sind erst im Verlaufe der Evolution des Lebens entstanden. Sonnen und Planeten erst im Verlauf der kosmischen Evolution.

Unter Wesen wird auch verstanden der Zweck, der Sinn von etwas. Also nicht das im Moment seiende, nicht gegenwärtige Eigenschaften, sondern wofür etwas ist.

Beispiel: Das Wesen eines Blumensamens besteht darin, eine Blume hervorzubringen. [2]

Unterschieden wird in der Philosophie auch zwischen Sein und Schein. Sein kann in diesem Zusammenhang auch als Wesen verstanden werden, Schein als Erscheinung. Ob die Dinge, Beziehungen, Tatbestände etc. über ihre Erscheinung hinaus ein davon abweichendes oder verborgenes Wesen haben und wenn, ob und wie dieses Wesen erkannt werden kann, ist seit der Antike in der Philosophie umstritten.

Der Essenzialismus behauptet, dass das Wesen der Existenz vorausgeht. Exemplarisch dafür sei Platon genannt, für den das Wesen die ewige  Idee ist.

Für  Sartre gibt es davon eine wichtige Ausnahme: Beim Menschen gehe die Existenz dem Wesen voraus.

Der von Locke eingeführte Unterschied zwischen Realessenz und Nominalessenz, ist der Unterschied zwischen den tatsächlichen, objektiven wesentlichen Eigenschaften eines Seienden, und den Eigenschaften, mit denen wir ein Seiendes bezeichnen, benennen. (Nomen) Es sind die wesentlichen Eigenschaften mit denen subjektiv oder intersubjektiv etwas Seiendes definiert wird. Ob es überhaupt eine Realessenz gibt oder nur Nominalessenz ist umstritten. Wenn eine Realessenz angenommen wird, ist umstritten, ob diese erkennbar ist, und wenn wie.

Für den Rationalismus lässt sich das Wesen durch bloßen Gebrauch der Vernunft erkennen. Der Empirismus lehnt das ab und sagt, dass wir nur etwas über die Erscheinungen sagen können. (U. a. Hume.) Für Rationalisten gibt es in der Regel die Realessenz, für die Empiristen gibt es in der Regel nur Nominalessenz.

Für die Unerkennbarkeit des Wesens sei exemplarisch Kant genannt. Was wir an Welt, an Erkenntnissen zur Verfügung hätten, sei immer schon unser Konstrukt.

Für den Positivismus ist das empirisch Wahrnehmbare das einzig Beschreibbare. Die Beschäftigung mit einem Wesen wird deshalb abgelehnt.

Für die Erkennbarkeit des Wesens sei exemplarisch Hegel genannt. Das Wesen sei durch gedankliche Abstraktion zugänglich. Dabei vertritt Hegel eine  Philosophie des Werdens, bzw. der Entwicklung. Das Wesen besteht gerade darin, dass die Dinge, Erscheinungen etc. auf etwas höheres ausgerichtet sind. Das Wesen ist der Sinn.

Für Platon ist das Wesen (Idee) durch Denken, letztlich aber durch Intuition erkennbar.

Die Erkennbarkeit des Wesens behauptet auch Husserl. In seiner Phänomenologie wird das Wesen nicht durch Denken, sondern durch unmittelbare  Wesensschau erkannt.

Seinem Wesen voll zu entsprechen, um wahr zu sein, kommt im Attributiven Wahrheitsbegriff zum Ausdruck.

In der Sprachphilosophie, dem Neopositivismus und der Analytische Philosophie wird die Bedeutungslosigkeit, die Sinnlosigkeit des Begriffs »Wesen« behauptet. Probleme um den Wesensbegriff seien typische Scheinprobleme.


Zitate zu Wesen

Moritz von Egidy: »Bekennen kann sich der Mensch zu allem Möglichen und ist es darum noch lange nicht, weder in der Tat noch im Wesen, noch im Denken. Sein kann der Mensch nur, was er ist.«

Heraklit: »Das Wesen der Dinge versteckt sich gern.«

Jean-Paul Sartre: »Die Existenz geht dem Wesen voraus.«

Walter Gropius: »Ein Ding ist bestimmt durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, dass es richtig funktioniert – ein Gefäß, ein Stuhl, ein Haus –, muss sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es soll seinem Zweck vollendet dienen, das heißt, seine Funktion praktisch erfüllen, haltbar, billig und ›schön‹ sein.«

Laotse: »Ton knetend formt man Gefäße. Doch erst ihr Hohlraum, das Nichts, ermöglicht die Füllung. [...] Das Sichtbare, das Seiende, gibt dem Werk die Form. Das Unsichtbare, das Nichts, gibt ihm Wesen und Sinn.«

»Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.«
Kalenderspruch aus der Kaiserzeit


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Anmerkungen

Anm. 1: Nun kann man aber auch einen Stuhl malen oder sich einfach nur in Gedanken vorstellen. Auf solche Stühle kann zumindest in Gedanken etwas gesetzt werden. Setzen kann man sich auch einen Stein, der wurde aber nicht von Menschen zum Sitzen erstellt. (Es sei denn, es ist ein zum Zwecke des Sitzens bearbeiteter Stein.) Sitzen kann man auch auf einem Schrank. Dieser ist aber nicht zum Zwecke des Sitzens erstellt. Zurück zum Text

Anm. 2: Bei einem Blumensamen und ähnlichen Dingen ist es noch leicht und überprüfbar. Problematisch wird es, wenn dieser Zweckgedanke, bzw. Entwicklungsgedanke in andere erheblich komplexere und nicht mehr überprüfbare Bereiche übertragen wird. Wenn z. B. Hegel sagt, das Wesen der Geschichte sei die Hervorbringung des idealen Staates oder wenn Marx sagt, das Wesen der Geschichte sei die Hervorbringung des Kommunismus. [Für mich bringt die (Weltall)-Geschichte die Möglichkeit mit sich, dass immer komplexere Lebensformen entstehen und damit auch immer höhere Formen von Bewusstsein und Wissen, bzw. Erkenntnis. (Sehen Sie dazu näheres in meinem Essay Über die Notwendigkeit der Entstehung höherer Arten) Aber ich würde niemals sagen, dass dies das Wesen der Geschichte ist. Da ich in letzter Instanz Skeptizist bin, kann und will ich eine solche Aussage nicht machen. Was weiß ich denn, was die Welt, was das Sein unabhängig von mir alles ist?] Zurück zum Text


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