Gehirn

Das menschliche Gehirn ist eine Zusammenballung von ca. 100.000.000.000 (Einhundert Milliarden) Nervenzellen [1], die miteinander vernetzt sind, über Nervenbahnen und chemische Überträgerstoffe miteinander kommunizieren. Wie auf dieser Basis Bewusstsein und ein sich wissendes, sich als ungeteilte Person empfindendes Ich entstehen kann, ist eines der faszinierendsten Geheimnisse überhaupt. Die Naturwissenschaft kann dafür keine Erklärung geben. Nur die Philosophie kann  Hypothesen aufstellen, Vermutungen äußern. [2]

Philosophie – jedenfalls wie ich sie verstehe – ist »Nachdenken über das Sein«. Das Gehirn ist mit großer Wahrscheinlichkeit das Organ, mit dem wir denken. Deshalb ist das Gehirn von großem philosophischen Interesse.

Man kann sich auf einen extrem skeptischen Standpunkt zurückziehen und behaupten, dass Gehirn sei möglicherweise nur ein Konstrukt unseres Geistes und habe diesem gegenüber keine eigenständige Existenz. Widerlegbar ist ein solcher Standpunkt nicht. (Sehen Sie hierzu auch Solipsismus.)

Die allermeisten Philosophen, egal welcher Grundüberzeugung, gehen von der Existenz des Gehirns aus. Und wenn man das macht, dann muss man in unserer heutigen Zeit beim Philosophieren die Ergebnisse der Hirnforschung berücksichtigen.

Ich will Philosophie nicht in Naturwissenschaft, in Hirnforschung auflösen, sowenig, wie ich sie in Linguistik oder Psychologie aufgelöst sehen möchte. Aber wer sich Gedanken macht über die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit, über Erkenntnistheorie, und gleichzeitig glaubt, er könne die Ergebnisse naturwissenschaftlich betriebener Hirnforschung ignorieren, den kann ich nicht ernst nehmen.

Der Evolutionären Erkenntnistheorie nach hat sich unser Gehirn entwickelt, um uns das Überleben zu ermöglichen, nicht um objektive Wahrheiten zu erkennen. Wir könnten nicht wissen, was unser Gehirn bezogen auf das Sein schlechthin erkennen können.

 Allgemeine unbestimmbare Lebensangst – bei  Kierkegaard und  Heidegger ein zentraler Aspekt ihrer Philosophie – hat nach neuesten Erkenntnissen der Hirnforschung ihre Ursache wahrscheinlich in vom Normalzustand abweichenden physiologischen Zuständen im Gehirn.

Einstein hat sein Gehirn der Wissenschaft vermacht und die Hirnforscher, die es untersucht haben, fanden dabei heraus, dass Einstein mehr Gehirn hatte als der Durchschnittsmensch. Und zwar dort, wo die Hirnforscher das mathematische Vermögen vermuten. Ist es so abwegig zu vermuten, dass er deshalb der Schöpfer der  Relativitätstheorie wurde? Dass Menschen im Gegensatz zu Tieren Lesen und Schreiben lernen können, hat ja wohl seine Ursache im größeren Gehirn.

Im weiteren Verlauf der Evolution, vielleicht auch einer Selbstevolution des Menschen könnten Lebewesen mit erheblich größeren Gehirnen als dem menschlichen entstehen, die über ein quantitativ und qualitativ erheblich größeres Erkenntnisvermögen verfügen werden als der Mensch. [3]

Ich beschäftige mich inzwischen seit einigen Jahrzehnten mit Philosophie und habe dabei die Erfahrung gemacht, dass es unmöglich ist, alle bedeutenden Philosophen und ihre wichtigsten Schriften gründlich zu kennen und zu vergleichen. Selbst wenn man nach und nach »alles« mal gelesen hat (um alles zu lesen, müsste man Jahrhunderte existieren), man hat das, womit man sich vor einem, vor fünf, vor zehn Jahren beschäftigt hat, nicht mehr so im Kopf wie das, womit man sich im Moment gerade beschäftigt. Wenn ich lese, was ich vor Jahren geschrieben habe, dann muss ich häufig ersteinmal nachdenken, wieso ich bestimmte Auffassungen vertreten habe. Und die Philosophie ist nur ein Ansatz des Nachdenkens über das Sein. Da sind noch die verschiedenen Wissenschaften und andere Aktivitäten wie Literatur,  Musik, Malerei etc. Wir Menschen sind schon seit Langem an einem Entwicklungspunkt angekommen, wo eine denkerische Zusammenfassung all dessen, was wir als Gattung an Wissen, bzw. an  Hypothesen, an Erklärungsversuchen besitzen, mit menschlichen Gehirnen nicht mehr möglich ist. Im Interesse des Erkenntnisfortschritts brauchen wir leistungsfähigere Gehirne.


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Anmerkungen

Anm. 1: Über die Menge der Gehirnzellen habe ich in der Fachliteratur unterschiedliche Zahlen gelesen, bzw. in wissenschaftlichen Fernsehsendungen unterschiedliche gehört. Die Fachleute scheinen sich selbst noch nicht einig zu sein. Die Angaben schwanken zwischen 15 und 100 Milliarden. Letztere Zahl scheint die aktuellere zu sein. Für das, was hier erörtert wird, spielt es keine Rolle, wieviel Milliarden es sind. Zurück zum Text

Anm. 2: Letztendlich bleibt schon die Schaffung des Bewusstseins und des Ichs durch das Gehirn eine naturwissenschaftlich-philosophische Hypothese, für die es allerdings sehr ernstzunehmende Argumente gibt. Sehen Sie hierzu auch Leib-Seele Problem.) Zurück zum Text

Anm. 3: Sehen Sie hierzu auch die Anmerkung 4 zum philolex-Beitrag  Popper, das philolex-Essay Ein Plädoyer für die Gentechnologie und meinen Aufsatz Über die Notwendigkeit der Entstehung höherer Arten. – Zurück zum Text


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