»Herr Professor, Sie als Fachmann kennen doch vielleicht irgendeine geeichte Methode, wonach sich feststellen lässt, ob man seine fünf Sinne beisammen hat oder an Wahnvorstellungen leidet?« [1] |
Solipsismus (von lat. solus und ipse) bedeutet die Vorstellung eines Individuums das einzige wirklich existierende Subjekt, das einzige sich wissende Ich zu sein. Alle anderen Menschen seien wie die Menschen in einem Traum Traumvisionen oder ähnliches. In einem weitergehendem Sinne bedeutet Solipsismus, dass die ganze Welt, das ganze Sein sich in den subjektiven Bewusstseinsinhalten erschöpfe.
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Begriffsgeschichtlich hat man unter Solipsismus ursprünglich einen extremen Egoismus verstanden. In diesem Sinne wird dieser Begriff auch häufig noch verwendet. So wird Max Stirner als Vertreter eines extremen Egoismus im Brockhaus als Solipsist bezeichnet. Wie kann es zu einer solchen aus Sicht des »gesunden Menschenverstandes« wahnsinnigen Vorstellung kommen? Zu Beginn sind Menschen naturwüchsig Naive Realisten, d. h. die um einem Menschen herum existierende Welt wird als Realität oder Wirklichkeit angesehen, die auch genauso existieren würde, wenn ich (oder ein anderer Mensch/Lebewesen) nicht hier wäre. Durch philosophische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse kann es dazu kommen, dass ein Mensch erkennt, dass die Welt, die er um sich herum erlebt zumindest in der Form, wie er sie erlebt , sein geistiges Konstrukt ist. Hier einmal angekommen, stellen sich viele Menschen die Frage: Was ist denn die Welt unabhängig von mir, von meinen Wahrnehmungen, Gedanken etc.? Viele Philosophen sind der Überzeugung eine sichere Antwort auf diese Frage zu haben, andere glauben, dass diese Frage mit letzter Sicherheit nicht zu beantworten sei. [2] Ich zähle mich zur zweiten Gruppe. Zu dieser Welt, über deren tatsächlicher Beschaffenheit ich kein sicheres Wissen haben kann, gehören auch die menschlichen Körper, sowohl mein Körper, wie die Körper der anderen Menschen. Von mir selbst weiß ich mit unmittelbarer Sicherheit, dass ich ein mich wissendes Ich bin, unabhängig davon, ob mein Körper und die gesamte übrige materielle Welt nur Traum oder ähnliches sind. Bei den anderen menschlichen Körpern kann ich nur vermuten, dass sie wie ich sich wissende Ichs sind. (Nach der Vergleichshypothese bei gleichen Gegenständen vermuten wir gleiche Eigenschaften, siehe Evolutionäre Erkenntnistheorie.) Das »Fremdseelische« oder »Fremdpsychische« ist für mich unerreichbar und deshalb kann ich keine letzte Sicherheit über seine tatsächliche Existenz haben. (In meinen Träumen oder in Computersimulationen kommen auch Menschen vor, von denen ich annehme, dass sie keine sich wissende Ichs sind.) [3] Die anderen Menschen sind eventuell sich wissende Subjekte wie ich, oder auch nicht. Beides ist denkmöglich. Beide Behauptungen sind weder beweisbar noch widerlegbar. Die einzige Möglichkeit mit unbezweifelbarer Sicherheit die Existenz des Fremdseelischen zu wissen, wäre, dass mir dieses Fremdseelische so unmittelbar gegeben wäre, wie mein eigenes Seelisches, Psychisches oder Ich-Bewusstsein. Dies könnte z. B. durch parapsychologische Erlebnisse geschehen. Der menschliche Verstand ist nach meiner Überzeugung nicht in der Lage, einen Zweifel an der Existenz der Welt (als ein von mir unabhängigen Tatbestand) und des Fremdseelischen mit letzter Sicherheit auszuschließen. Dieser Zweifel ständig anwesend könnte aber zu Handlungs- und Lernunfähigkeit führen. Wenn man diese vermeiden will, sollte man den immer möglichen Zweifel »einklammern« und sich auf die Welt einschließlich der anderen Menschen einlassen. (Eventuell gibt es sie ja tatsächlich.) Aber die Entscheidung für die Einklammerung des Zweifels ist willkürlich und kann jederzeit zurückgenommen werden. Alle Erkenntnisse, die man nach dieser willkürlichen Entscheidung erringt, stehen unter dem grundsätzlichen Vorbehalt: »Es kann auch ganz anders sein.« Solipsismus bedeutet nicht Notwendigerweise, wie des Öfteren behauptet, die Identität von Ich und Welt, bzw. Weltall, Sein oder welche Wörter man auch immer benutzen mag. Wenn man den subjektiven Idealismus und Solipsismus konsequent zu Ende denkt wird nicht nur das »Nicht-Ich« und das »Du« problematisch, sondern auch das »Ich«. Wenn es lediglich darum ginge, dass ich eine materielle Welt, einschließlich menschlicher Körper, um mich herum wahrnähme, dann würde es mir keinerlei Probleme machen, mir vorzustellen, diese Welt sei ein Produkt meines Geistes, eben wie im Traum. Aber wenn ich mir die kulturelle Welt, die Bücher, die philosophischen Systeme, die wissenschaftlichen Theorien, die Kunstwerke, die Gemälde und Skulpturen, die Musik von Beethoven und Mozart etc. selbst schaffen würde, dann wäre ich viel mehr, als ich unter »Ich« verstehe. Was ich unter »Ich« verstehe, ist nicht identisch mit dem Sein. Über die Existenz des Femdseelischen und der Existenzart der von mir erlebten Welt ist damit aber noch nichts ausgesagt. [4] Es wird die Auffassung vertreten, dass der Solipsismus für das praktische Leben eine potentiell gemeingefährliche Einstellung sei. Warum solle man z. B. eine Frau nicht vergewaltigen und umbringen, wenn sie sowieso kein sich wissendes ich ist? Dazu ist folgendes zu sagen: Jede Subjektphilosophie muss sich mit dem Problem des Solipsismus auseinandersetzen. Jeder Mensch, der eine letztendlich wahre Erkenntnis der von uns unabhängig existierenden Welt nicht für möglich hält, muss die Nichtexistenz des Fremdpsychischen und damit den Solipsismus als Möglichkeit in Erwägung ziehen. Ein Philosoph, der seine Positionen nicht konsequent zuende denkt, weil er Angst hat, der Lächerlichkeit und der gesellschaftlichen Ächtung anheimzufallen, ist ein halbherziger Philosoph. Leider gibt es eine ganze Menge davon. (Das »nicht konsequent zuende denken« muss aber kein vorsätzlicher, bewusster Prozess sein. Es werden häufig unbewusste Erkenntnisschranken sein. Und es kommt wohl auch vor, dass Philosophen bestimmte Einsichten nicht öffentlich äußern, um sich nicht Aufstiegs-, Lehr- und Einflussmöglichkeiten zu verbauen. Dann sollte man zumindest dafür sorgen, dass diese Einsichten posthum veröffentlicht werden.) Descartes stellte in seinen Meditationen fest, dass alles, was er bisher als richtig ansah, falsch sein könnte. Im Verlaufe des durch diese Feststellung bedingten radikalen Zweifels gelangte er zu seinem berühmten »Cogito ergo sum«. An diesem Punkt angekommen, besteht die Möglichkeit des Solipsismus. Descartes gelangt zur Sicherheit, dass die Welt und damit auch die anderen Menschen unabhängig von seinem Denken existieren, nur dadurch zurück, dass er die Existenz Gottes »beweist« und gleichzeitig, dass dieser Gott kein Täuschergott sein kann. Wenn man Descartes überzeugend findet bis zu dem Punkt, wo er nur noch weiß, dass er ein denkendes Etwas ist (und bis dort finde ich ihn sehr überzeugend), dann aber seine Gottesbeweise nicht teilt (und meines Wissens tut das heute fast keiner mehr), dann gibt es keinen Weg zurück zur Sicherheit, dass die Welt und die anderen Menschen unabhängig von mir existieren. Fichte ist subjektiver Idealist, und zwar viel konsequenter als Berkeley, da er keinen über den individuellen Geistern stehenden objektiven Geist, also Gott kennt. In einem vorbewussten Stadion setze das Ich sein eigenes Sein. Und da das Ich seinem innersten Wesen nach Tätigkeit sei, setze es sich, ebenfalls unbewusst, ein Nicht-Ich, die Welt, als Schranke, als Widerstand entgegen. Wo (der frühe) Fichte allerdings die anderen »Ichs« hernimmt, ist mir schleierhaft. Soweit ich das sehe, müsste er Solipsist sein. Denn warum sollte die um mich herum existierende Welt mein Produkt sein, bloß die anderen Menschen nicht? (Der späte) Fichte umgeht den Solipsismus dadurch, dass er seine anfänglichen Auffassungen so stark relativiert, dass er sie faktisch wieder zurücknimmt. Er nähert sich schon dem hegelschen Weltgeist, wo subjektiver und objektiver Geist identisch (und gleichzeitig nichtidentisch) sind. Nach Schopenhauer ist der Solipsist ein in ein uneinnehmbares Blockhaus verschanzter Irrer. Solipsisten gehörten ins Tollhaus. Schopenhauer benutzt starke Worte, aber Beschimpfungen sind keine Argumente. »Uneinnehmbar« bedeutet hier »unwiderlegbar«. Und solange eine Behauptung nicht widerlegbar ist, bleibt der behauptete Zustand als Möglichkeit bestehen. Husserl fordert: Zurück zu den Sachen! Man solle zu dem zurückzukehren, was sich tatsächlich ereigne, vom Standpunkt desjenigen gesehen, der etwas Bestimmtes erlebt und dieses Erlebte nicht schon von vornherein durch Interpretationen, Abstraktionen und Begriffsbildungen unkenntlich machen. Zu dem, was ich unmittelbar erlebe, gehört aber nicht das Fremdpsychische. Aber sagt Husserl aus meiner eigenen Leiberfahrung wisse ich, dass die Erscheinungsform bestimmter Körper nur so zu erklären sei, dass sich in ihnen ein anderes Ich manifestiere. Nun gab es schon zu Husserls Zeiten Träume, Halluzinationen etc. Allen in solchen Zuständen erlebten menschlichen Leibern müsste dann ein Ich entsprechen, das sich in diesen Leibern manifestiert. Heutzutage, wo Cyperspace Welten vorhanden sind und weiter perfektioniert werden, müsste jedem computersimulierten menschlichen Körper auch ein sich wissendes Ich entsprechen, das sich in diesen Leibern manifestiert. Für die Radikalen Konstruktivisten ist die Welt ein Konstrukt, eine Erfindung des Menschen. Konsequent zu ende gedacht, ist die Welt aber nicht unsere Erfindung, sondern meine Erfindung. Wieso sollte die ganze Welt Erfindung sein, ausgenommen die menschlichen Körper? Die (oder jedenfalls einige) Radikale Konstruktivisten umgehen den Solipsismus dadurch, dass sie sagen, sie würden lediglich einen epistemologischen Solipsismus vertreten. Dass erkennende Wesen würde wie ein geschlossenes System funktionieren und keine Außenwelt erkennen können. Dies bedeute aber nicht, dass es diese Außenwelt nicht gebe. Der epistemologische Solipsismus schließt aber die Möglichkeit ein, dass Fremdpsychisches nicht existiert. Würde man mit Sicherheit die Existenz anderer Subjekte behaupten, würde man sichere Aussagen über die von einem unabhängige Realität machen, was nach der Grundüberzeugung der Radikalen Konstruktivisten eben nicht möglich ist. Der konsequent zu ende gedachte Fallibilismus, wie er im Kritischen Rationalismus vertreten wird, beinhaltet die Möglichkeit des Solipsismus. Würde man mit Sicherheit die Existenz anderer Subjekte behaupten, würde man sichere Aussagen über die von einem unabhängige Realität machen, was dem Fallibilismus widerspricht. Aber eine eindeutige Aussage, dass der Solipsismus eine Möglichkeit bleibt, solange er nicht mit letzter Sicherheit ausschließbar ist, gibt es von den Kritischen Rationalisten meines Wissens nicht. (Ich sage das unter Vorbehalt, da ich nicht alle Äußerungen aller Kritischen Rationalisten kenne.) Schopenhauer: »Ein Solipsist ist ein in ein uneinnehmbares Blockhaus verschanzter Irrer.« Anmerkungen
Wie Subjektphilosophen versuchen, den Solipsismus zu vermeiden
Zitate zum Solipsismus
Anm. 3: Ausführlich beschäftigt habe ich mich mit dem Zweifel an der Welt und am Fremdpsychischen im Ersten Teil von Meiner Philosophie. In einigen Jahren oder Jahrzehnte gibt es vielleicht tatsächlich das »holodeck« wie heute in der Fernsehserie Raumschiff Enterprise. Vielleicht gibt es holodecks sogar schon heute und ich befinde mich ohne es zu wissen in einer virtual reality. Es gibt Menschen, die glauben, dass es einst möglich sein wird, alle Inhalte des Gehirns eines Menschen zu digitalisieren und sich dann mit seinem Ich in künstliche Wirklichkeiten hineinzubegeben. Wenn dies möglich sein sollte, findet dies vielleicht gerade statt. Zurück zum Text
Anm. 4: Ausführlicher beschäftigt habe ich mich mit dem Verhältnis von Ich und Sein im 7. und 10. Kapitel von Meiner Philosophie. Zurück zum Text