Wirklichkeit


Wirklichkeit

Im Alltagsverständnis ist Wirklichkeit das, was tatsächlich existiert. Gleichbedeutend mit Realität. (Weiteres siehe dort.) Das was um einen herum existiert und das, wovon man weiß (besser zu wissen glaubt), dass es tatsächlich da ist. Nicht wirklich ist das nur Ausgedachte, Phantasierte.

Auch in der Gegenwartsphilosophie wird unter Wirklichkeit meistens das tatsächlich Existierende verstanden, im Gegensatz zum Schein oder zur Fiktion. In der Philosophiegeschichte ist unter Wirklichkeit aber schon recht verschiedenes verstanden worden. Wirklichkeit kann ein vieldeutiger Begriff sein.

Unter Wirklichkeit kann man verstehen das Sein, d. h. alles was irgend wie ist, oder aber nur Teile von dem was ist. Wer Teilen von dem, was ist, die Wirklichkeit abspricht, arbeitet in der Regel mit einem  attributiven Wahrheitsbegriff.

Wenn man anfängt über den Begriff Wirklichkeit nachzudenken, dann wird man merken (können), dass die Unterscheidung von wirklich und unwirklich gar nicht so einfach, so offensichtlich ist, als man auf den ersten Blick meint.


Verschiedene Philosophen zur Wirklichkeit

Wie wirklich die Wirklichkeit ist, darüber streiten die  Materialisten mit den  Idealisten.

Bei Platon ist die Welt der  Ideen die wahre Wirklichkeit, die Welt der Erscheinungen nur ein Abbild der wahren Wirklichkeit. Wirklichkeit ist gleich Wahrheit (im Sinne des  attributiven Wahrheitsbegriffs). (»Wahre Wirklichkeit« ist eigentlich ein Pleonasmus.)

Platon wird aber auch so interpretiert, das es bei ihm unterschiedliche Modalitäten der Wirklichkeit gibt. Die Ideen hätten einen höheren Wirklichkeitsgrad, die materiellen Dinge einen niedrigeren Wirklichkeitsgrad.

In der Scholastik wurde Wirklichkeit als das gesehen, was Wirkung hat. Dies ging zurück auf Eckharts Übersetzung des lateinischen Wortes aktualitas. [Bei einem solchen Verständnis von Wirklichkeit muss man, meine ich, darauf achten, nicht in Philologie oder Etymologie abzugleiten. In anderen Sprachen ist eine solche Verbindung nicht herstellbar.)

Bei Kant sind Wahrnehmungen der herausragende Charakter der Wirklichkeit.

Wirklichkeit umfasst Realität (Sachheit eines Seienden) und Aktualität (Verwirklichung dieser Realität).

Für Hegel ist Wirklichkeit die Einheit von Realität und Aktualität. Wirklich ist für Hegel allerdings nur der Teil des real Existierenden, der mit seinem Wesen (Platon sagt Idee) übereinstimmt. Und da für Hegel Wesen und Vernunft das Gleiche ist, sagt er »Alles was vernünftig ist, ist wirklich, und alles was wirklich ist, ist vernünftig.«

Wirklichkeit wird als eine Modalität des Seins angesehen, neben Möglichkeit und Notwendigkeit.

Wirklichkeit hat einen Bezug zur Erfahrung. Bei einem eingeschränkten Erfahrungsbegriff hat man auch nur eine eingeschränkte Wirklichkeit. Meint Erfahrung aber das ganze Leben gibt es viele Formen und Arten von Wirklichkeit.

Im Rahmen eines deterministischen Weltbildes gibt es nur Wirklichkeit und Notwendigkeit. Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit sind in diesem Rahmen lediglich subjektive Annahmen.


Meine Auffassung von Wirklichkeit

Es gibt die von mir unmittelbar erlebte Wirklichkeit, die »subjektive Wirklichkeit«. Sie ist als mein Erlebnis ohne jeden Zweifel existent. Und es gibt die Wirklichkeit, die unabhängig von mir und meinen Erkenntnisvorgängen existiert, die »objektive Wirklichkeit«. Von ihr habe ich überhaupt kein sicheres Wissen, sondern nur Vermutungen. Lediglich Ausschließungsbehauptungen sind möglich.

Nach den Behauptungen der  modernen Physik mit  Relativitätstheorie und   Quantenphysik gibt es zwischen der Wirklichkeit, in der wir Menschen uns erleben (subjektive oder intersubjektive Wirklichkeit), und der von uns Menschen unabhängigen Wirklichkeit (objektive Wirklichkeit) überhaupt keine Ähnlichkeit.

Im praktischen Leben setze ich eine ganze Menge von Aussagen über die objektive Wirklichkeit als richtig voraus. Ich habe Wissen im Sinne des Pragmatismus. Aber pragmatisches Wissen ist für mich nicht gleich unbezweifelbare ontologische Wahrheit.


Zitate zu Wirklichkeit

Berthold Auerbach: »Eine Idee muss Wirklichkeit werden können, oder sie ist nur eine eitle Seifenblase.«

Hugo Ball: »Was man gemeinhin Wirklichkeit nennt, ist, exakt gesprochen, ein aufgebauschtes Nichts. Die Hand, die zugreift, zerfällt in Atome; das Auge, das Sehen will, löst sich in Dunst auf. Wie könnte das Herz sich behaupten, wenn es die Tatsachen gelten ließe? Wer eine Neigung hätte, auf Tatsachen zu insistieren, der müsste gar bald die Erfahrung machen, dass er noch weniger als ein Nichts, nur Schatten des Nichts und Befleckung durch diese Schatten gesammelt hat.« [Das Problem hat man, wenn man Wirklichkeit ausschließlich mit »materieller Wirklichkeit« gleichsetzt. Man könnte aus diesen Gedanken auch schließen, dass die Gedanken eigendlich die Wirklichkeit sind. Wenn die Materie der Erde eine Dichte hätte, wie in einem Schwarzes Loch, hätte die Erde ungefähr die Größe einer Haselnuss. Das ändert aber gar nichts an der Wirklichkeit meiner Existenz.]

Bhagavad Gita: »Wirklich bedeutet im spirituellen Sprachgebrauch das, was ewig ist, unveränderlich, unzerstörbar. Das ist der eigentliche Inbegriff von ›Wirklichkeit‹.« [Wie bei Platon die  Ideen.]

Salvador Dali: »Eines Tages wird man offiziell zugeben müssen, dass das, was wir Wirklichkeit getauft haben, eine noch größere Illusion ist als die Welt des Traumes

Demokrit: »In Wirklichkeit gibt es nur die Atome und das Leere.« »In Wirklichkeit erkennen wir nichts; denn die Wahrheit liegt in der Tiefe.«

Hilde Domin: »Jeder meint, dass seine Wirklichkeit die richtige Wirklichkeit ist.«

Dostojewski: »Nichts ist so unglaubwürdig wie die Wirklichkeit.«

Albert Einstein: »Durch bloßes logisches Denken vermögen wir keinerlei Wissen über die Erfahrungswelt zu erlangen; alles Wissen über die Wirklichkeit geht von der Erfahrung aus und mündet in ihr.« »Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit.«

Ralph Waldo Emerson: »Die Wirklichkeit bleibt stets hinter dem Erträumten zurück. Wir leben in einem System der Annäherungen.«

Gustave Flaubert: »In den Gedanken ist mehr Wirklichkeit als in den Dingen.«

Hegel: »Das Geistige allein ist das Wirkliche.«

Werner Heisenberg: »Die Wirklichkeit, von der wir sprechen können, ist nie die Wirklichkeit an sich, sondern [...] eine von uns gestaltete Wirklichkeit.« »Aber die existierenden wissenschaftlichen  Begriffe passen jeweils nur zu einem sehr begrenzten Teil der Wirklichkeit, und der andere Teil, der noch nicht verstanden ist, bleibt unendlich.« »In den Experimenten über Atomvorgänge haben wir mit Dingen und Tatsachen zu tun, mit Erscheinungen, die ebenso wirklich sind wie irgendwelche Erscheinungen im täglichen Leben. Aber die Atome oder die Elementarteilchen sind nicht ebenso wirklich. Sie bilden eher eine Welt von Tendenzen und Möglichkeiten als eine von Dingen und Tatsachen.«

Krishnamurti: »Über die Wirklichkeit kann man nicht sprechen; wenn man darüber spricht, ist es nicht mehr die Wirklichkeit.« »Ist Wirklichkeit nicht immer das Ungeformte? Muss nicht der Geist aufhören zu erschaffen und sich auszudrücken, bevor er das Ungeformte erfahren kann?«

Stanislaw Jerzy Lec: »In Wirklichkeit sieht alles anders aus, als es wirklich ist.« [Um ein »Aussehen« zu haben, muss es immer einen »Ansehenden« geben. Und der sieht immer mit seinen subjektiven Instrumenten. »An oder für sich« hat nichts ein »Aussehen.«]

Giacomo Leopardi: »Es scheint widersinnig und ist doch völlig wahr: Da alles Wirkliche ein Nichts ist, gibt es nichts Wirkliches, nichts, was Bestand hat auf dieser Welt, als die Einbildungen.«

Christian Morgenstern: »Man sieht oft etwas hundert Mal, tausend Mal, ehe man es zum allerersten Mal wirklich sieht.«

Friedrich Nietzsche: »Auch die Logik beruht auf Voraussetzungen, denen nichts in der wirklichen Welt entspricht, zum Beispiel auf der Voraussetzung der Gleichheit von Dingen, der Identität desselben Dinges in verschiedenen Punkten der Zeit

Ryokan: »Ihr, die ihr Buddhas Weg folgt! Warum sucht ihr die Wirklichkeit so beharrlich an fernen Plätzen? Sucht Verblendung und Wirklichkeit in der Tiefe eures eigenen Herzens.«

Arthur Schopenhauer: »Die Gegenwart allein ist wahr und wirklich: sie ist die real erfüllte Zeit, und ausschließlich in ihr liegt unser Dasein.«

Schrödinger: »Die Wirklichkeit ist nichts als eine bequeme Fiktion.«

Oswald Spengler: »Wirklichkeit ist unendliches Wirken, unaufhörliche Bewegung

Jakob Johann von Uexküll: »Alle Wirklichkeit ist subjektive Erscheinung – dies muss die grosse grundlegende Erkenntnis auch der Biologie bilden. Ganz umsonst wird man die gesamte Welt durchstöbern nach Ursachen, die unabhängig vom Subjekt sind, immer wird man auf Gegenstände stoßen, die ihren Aufbau dem Subjekt verdanken.«

Paul Watzlawick: »Der Glaube, es gebe nur eine Wirklichkeit, ist die gefährlichste Selbsttäuschung.«

Oscar Wilde: »Zynismus: ein Ding zu betrachten, wie es wirklich ist, und nicht, wie es sein sollte.«


Zur philolex-Startseite


Copyright © by Peter Möller, Berlin.