Peter Möller

Ein Plädoyer für die Gentechnologie

Die Erforschung der Gene wird die Menschen in immer stärkerem Maße dazu in die Lage versetzen, in den genetischen Bauplan der nachwachsenden Generationen einzugreifen. Ich will hier keine Voraussagen darüber machen, was in Zukunft alles mit Gentechnik möglich sein wird. Aber ich möchte ein Plädoyer für die Humangentechnik bzw. Humangentechnologie, für die Anwendung der Gentechnik am Menschen abgeben. Es geht mir um die prinzipielle Bereitschaft, um den Willen auch (nicht nur) mit Hilfe der Gentechnik den Menschen und die Welt besser zu machen. Die Erforschung der Gene, speziell die Humangenetik, und die Entwicklung der Gentechnik sollte auch mit dem Ziel praktischer Nutzanwendung betrieben werden. Wie weit man dann mit dieser Methode kommt, das wird die Zukunft zeigen. Dabei übersehe ich überhaupt nicht die Gefahren, die mit der Gentechnik verbunden sein könnten. Aber der Blick auf mögliche Gefahren sollte einem nicht den Blick auf die vielen möglichen Vorteile versperren. Und es sollte einen nicht zu der Illusion verleiten, man könnte den wissenschaftlich-technischen Fortschritt an einem bestimmten Punkt anhalten.

Erkärung von Abkürzungen:
PID = Prä-Implantations-Diagnostik.
PIR = Prä-Implantations-Reparatur.
PIO = Prä-Implantations-Optimierung.
Die beiden letzten Begriffe habe ich selber geprägt.

Präimplantationsdiagnostik bedeutet, eine im Reagenzglas befruchtete Eizelle (wissenschaftlich »In-vitro-Fertilisation« genannt) – ein Vorgang, den es bereits zig tausend Mal gegeben hat – vor der Verbringung in eine Gebärmutter zu untersuchen, z. B. auf Gene, die Erbkrankheiten bedingen oder darauf, ob der sich aus dieser Eizelle entwickelnde Mensch besonders dazu geeignet wäre, einem anderen Menschen eine Knochenmarkspende zu geben. (Was bereits in England mit Erfolg praktiziert wurde. Es wurde so das Leben eines krebskranken Jungen gerettet.) Präimplantationsreparatur und Präimplantationsoptimierung bedeuten, solche Eizellen nicht nur zu untersuchen, sondern Änderungen an ihren Genen vorzunehmen. Erst auf diese Weise bekommt man das viel diskutierte »Designer-Baby«. (Bisher wurde nur zwischen verschiedenen befruchteten Eizellen ausgewählt.) PIR und PIO sind schon heute In bestimmten Umfang möglich. Allerdings weiß man in der Regel noch nicht, was für Folgen das für den sich aus dieser Eizelle entwickelnden Menschen bzw. Lebewesen haben würde. Deshalb wäre, bevor man soetwas praktiziert, noch viel wissenschaftliche Arbeit erforderlich.

Es wird häufig die Meinung geäußert, es sei ethisch nicht vertretbar, die Gentechnologie am Menschen anzuwenden, in den genetischen Bauplan der nachwachsenden Menschen einzugreifen. Ich bin entgegengesetzter Auffassung. Ich halte ein solches Eingreifen für hochgradig ethisch geboten. Dazu einige Beispiele:

Gesundheit: Es gibt Familie, da sterben 90% aller Frauen in den 40er Jahren an Brustkrebs. Da lassen sich Frauen prophylaktisch die Brüste amputieren, weil die Mutter, die Oma, die Tante, die Schwester etc. schon an Brustkrebs gestorben sind. Bei einer solchen Häufung von Krebsfällen in einer Familie kann man davon ausgehen, dass es im »Genpool« dieser Familie ein oder mehrere »schadhafte« Gene gibt, die dies verursachen. Und wenn sich im weiteren Verlauf der Gentechnik die Möglichkeit ergeben sollte, dieses Problem durch PIR zu beheben, dann wäre es ethisch geboten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Alles andere würde nämlich bedeuten, dass man die noch nicht geboren weiblichen Nachfahren dieser Familie dazu verurteilt, zu 90% in den 40er Jahren an Krebs zu sterben oder sich vorbeugend die Brüste entfernen zu lassen. Was das mit Ethik zu tun hat, ist mir schleierhaft. (Es gibt viele weitere Erbkrankheiten, die ich als Beispiel hätte anführen können, z. B. Mukoviszidose.) – (Am 9. Januar 2009 ist in England erstmals ein Kind geboren worden ohne das in seiner Familie häufig vorhandene Brustkrebsgen. Noch nicht durch PIR aber durch PID. In Deutschland ist das leider noch verboten.)

Ausehen: Es gibt Menschen, die leiden unter ihrem Äußeren mehr, als unter jeder Krankheit. Nicht ganz so Schlimmes aber ähnliches habe ich selber erlebt. Seit meiner Kindheit war ich faktisch einäugig und habe mit dem rechten Auge nach innen geschielt. Das hat mir in früheren Jahren, als das Bedürfnis nach Mädchen und Frauen noch eine höhere Stelle in der Rangordnung meiner Bedürfnisse einnahm, sehr geschadet. Es hat mir zeitweilig in einem beträchtlichem Maße das Leben vermiest! (Die allermeisten Mädchen wollten nämlich keinen Freund, der schielt. Auch die nicht, die  Fromms Die Kunst des Liebens gelesen hatten.) Und so ging und geht es vielen anderen Menschen auch. Wenn sich nun im Verlaufe der weiteren Entwicklung der Gentechnik via PIR die Möglichkeit ergeben sollte, durch die Beseitigung bzw. Ersetzung des »Schielaugengens« (oder des »Hackennasengens« etc.) den Nachwachsenden dieses Problem zu ersparen, dann wäre es ethisch geboten, davon Gebrauch zu machen. Alles andere würde nämlich bedeuten, dass man viele Menschen der noch nicht geboren Generationen dazu verurteilt, ein – zumindest zeitweilig – unglückliches Leben zu führen. Das hat mit Ethik nichts zu tun. Es kann durchaus sein, dass eine bestimmte Menge an Entbehrungen auch entwicklungsfördernd sein kann. Leid und Entbehrungen führen aber auch oft – wahrscheinlich sogar viel häufiger – dazu, dass Menschen sich nicht entfalten. [1]

Friedfertigkeit: Menschen neigen in unterschiedlichem Maße zur Aggressivität, neigen in unterschiedlichem Maße dazu, Probleme, Konkurrenzkämpfe etc. mit körperlicher oder subtilerer Gewalt zu lösen. Frauen sind tendenziell friedlicher als Männer. (Das ist aber lediglich tendenziell so. Das ist kein Automatismus, wie es einige Feministinnen annehmen.) Auch die Sozialisation und die Lebensumstände eines Menschen sind mit dafür ursächlich, wie stark ein Mensch zur Gewalt oder zum Mobbing neigt. Aber auch genetische Veranlagungen sind wahrscheinlich. [2] Sollte es im weiteren Verlauf der Gentechnik irgendwann einmal möglich sein, die Menschen durch PIR oder PIO friedlicher zu machen, dann wäre es verantwortungslos und schlicht wahnsinnig davon keinen Gebrauch zu machen. Das würde nämlich bedeuten, dass man die Menschheit dazu verurteilt auch in Zukunft Kriege zu führen, Massenmorde zu begehen etc., denn die Versuche nur durch Erziehung und Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse die Menschen friedlicher zu machen, sind bisher immer gescheitert. [3] Man nimmt es lieber in Kauf, dass die Menschheit sich irgendwann ausrottet als ihren genetischen Bauplan zu ändern. Auch das hat mit Ethik nichts zu tun, sondern mit Kurzsichtigkeit.

Klugheit: Einstein hat sein Gehirn der Wissenschaft vermacht. Und die Hirnforscher, die es untersucht haben, stellten dabei fest, das Einstein mehr Gehirn hatte, und zwar dort, wo die Hirnforscher das mathematische Vermögen vermuten. Sollte es im weiteren Verlauf der Gentechnik irgendwann einmal möglich sein, durch PIR oder PIO zu erreichen, dass die Anzahl von Genies wie Einstein von Generation zu Generation beträchtlich zunimmt, dann wäre es ethisch geboten, davon Gebrauch zu machen. Ein höheres intellektuelles Niveau zieht nämlich tendenziell auch ein höheres ethisches Niveau nach sich, wofür Einstein selbst das beste Beispiel ist. (Einstein war nicht nur ein großer Wissenschaftler, er war auch in anderen Lebensbereichen ein hervorragender Mensch, was wahrscheinlich zusammenhing. Pazifistisch, ohne deshalb so naiv zu sein, Hitler zu unterschätzen, unkonventionell, trotz seiner hervorragenden Leistungen nicht blasiert, ohne Herrschsucht und Habgier etc. Es täte der Menschheit gut, wenn es viele »Einsteins« gäbe.)


Was ist gegen eine Welt einzuwenden, in der alle Menschen friedlich, gesund, klug und schön sind?



Das Beste wäre, die heutige Form der Fortpflanzung würde bei Menschen auf Dauer völlig verschwinden. Sex sollte nur noch als Vergnügen, als Selbstzweck erhalten bleiben. Ich habe aber nicht die Illusion, dass dies 100%ig erreichbar sei.

Eine solche Entwicklung müsste auch keineswegs das Ende der Vielfalt bedeuten. Es könnte Vielfalt auf höherem Niveau sein.

Die Propagierung einer solchen Welt heißt überhaupt nicht, dass ich allen heute lebenden Menschen, die nicht friedlich, gesund, klug und schön sind, das Lebensrecht und die Menschenwürde abspreche. Ich müsste mir diese Dinge dann selber absprechen! Wenn ein Mensch behindert zur Welt kommt oder im Verlaufe seines Lebens behindert wird, dann hat er trotzdem ein Lebensrecht und ein Anrecht auf Menschenwürde. (Ich bin selbst wegen schlechter Augen 50% schwerbeschädigt.) In solchen Fällen muss alles mögliche unternommen werden um das Beste aus der Situation zu machen. Aber bei Menschen, die noch gar nicht gezeugt oder gerade im Entstehen sind, muss alles mögliche unternommen werden, damit sie gesund zur Welt kommen.

Nun wird auch hin und wieder behautet, Behinderte seien nicht überflüssig, sie lehrten uns vieles über sich und über uns etc. Ich vermute stark, dass so nur Menschen argumentieren, die selbst nicht behindert sind, die nicht täglich mit einer Schleimlunge zu kämpfen haben, nicht spastisch gelähmt im Rollstuhl sitzen, nicht wegen ihres Äußeren von anderen Menschen verschmäht werden. »Es ist immer leicht mit dem Hintern anderer Leute durch's Feuer zu reiten.«

Es wird mir Biologismus vorgeworfen. Der Mensch werde auf seine Natur reduziert, Erziehung und Gesellschaftsgestaltung solle durch Gentechnik ersetzt werden. So sehe ich das nicht. Auch gentechnisch optimierte Menschen werden als Babys zur Welt kommen, werden im Verlaufe ihrer Sozialisation eine psychische Struktur herausbilden und werden soziale Lebensumstände haben. Diese Dinge werden neben ihrer Natur ihr Fühlen und Verhalten, ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse beeinflussen. Erziehung und Gesellschaftsgestaltung werden ihre Bedeutung behalten, die genetische Optimierung soll lediglich hinzutreten. (Im philolex-Beitrag Menschen habe ich das näher ausgeführt.)

Der Epigenetik nach spielt nicht nur das Vorhandensein bestimmter Gene eine Rolle, sondern auch ob diese an- oder abgeschaltet sind. Das wiederum hängt von diversen Umständen ab, unter denen auch Verhaltensweisen und Erlerntes der Vorfahren sein könnten. Das ist ein Gesichtspunkt, der berücksichtigt werden muss. Er zeigt, dass auch die gesellschaftlichen und individuellen Lebensbedingungen eine Rolle spielen. Mit der Epigenetik kann man aber nicht die Behauptung retten, der Mensch sei primär durch seine Sozialisation und die Gesellschaft geprägt, in der er und seine Vorfahren sozialisiert wurden und leben, bzw. lebten. Der Genetik wie der Epigenetik nach ist der Mensch in einem beträchtlichen Maße in seinen körperlichen Merkmalen und seinem Verhalten durch seine Gene determiniert oder präferiert. Dass Menschen Lesen und Schreiben lernen können und Affen nicht, hat ja wohl etwas mit unterschiedlicher Hirngröße zu tun und diese wird verursacht durch unterschiedliche Gene.

Und dann kommt gelegentlich der Vorwurf, das ganze Vorhaben sei faschistisch. Das ist totaler Quatsch! Nach meinen Vorstellungen sollen Friedfertigkeit und Klugheit gefördert werden, und damit auch Toleranz, Demokratie und Pluralismus in Politik, Kultur, Wissenschaft, Philosophie etc. Das alles ist das exakte Gegenteil von Faschismus! Faschismus bedeutet nämlich Gewalttätigkeit, Dummheit, Intoleranz, Führerprinzip und Diktatur. [4]

Es gibt zwischen meinen Vorstellungen und denen Nietzsches gewisse Parallelen aber auch gewaltige Unterschiede. Wie Nietzsche glaube ich, dass wir Menschen in gewisser Weise die Affen der Zukunft sind. Aber im Unterschied zu Nietzsche habe ich humanistische Ideale und Ziele. [5]

Wenn man einmal damit beginnt, den genetischen Bauplan der nachwachsenden Generationen zu optimieren, dann werden die Veränderungen von Generation zu Generation zunehmen. Die Unterschiede zwischen Eltern und Kinder werden nicht besonders groß sein. Aber über zehn, zwanzig, dreißig Generationen hinweg wird es wahrscheinlich zu beträchtlichen Veränderungen kommen und irgendwann werden Lebewesen da sein, die sich nicht mehr als Menschen ansehen werden. Eine solche Entwicklung wird wahrscheinlich die Selbstevolution des Menschen zu höheren Arten bedeuten. [6]


Mir ist vorgeworfen worden, ich wolle die Menschen abschaffen. Das ist falsch. Ich will, dass die Menschen sich weiterentwickeln. Jeder Leser kann sich fragen: »Wo ist das Kind, das ich einst war?« Es existiert nicht mehr, wurde aber nie abgeschafft. Es hat sich zu einem Erwachsenen entwickelt. Vergleiche hinken bekanntlich. Aber soetwas ähnliches wünsche ich der Gattung Mensch.



Dass Ramapithecus, Australopithecus, Homo habilis, Homo erectus etc. Durchgangsphasen der Evolution waren, dass diese Arten nicht einfach ausgestorben, sondern unsere evolutiven Vorgänger sind, dass wir ihnen gegenüber eine höhere Art darstellen, das nimmt jeder mit Selbstverständlichkeit hin, der die  Evolutionstheorie für wahr oder zumindest für eine plausible  Hypothese hält. Aber uns als evolutive Vorgänger einer noch höheren Art anzusehen, das kriegen viele Menschen nicht hin. »Was soll denn da nach uns noch kommen?« Wir sind doch das Höchste, wir sind doch die Krone, wenn schon nicht der Schöpfung, dann doch wenigstens der Evolution.

Man muss wirklich kein Genie sein, um den Menschen als eventuelle Durchgangsphase der Evolution anzusehen. Wahrscheinlich ist lediglich die Abwesenheit einer kleinen unbewussten psychischen anthropozentrischen Erkenntnisschranke von Nöten.

Stephen Hawking dazu: »Selbstverständlich werden viele Menschen ein Verbot der Manipulation am menschlichen Genom fordern, aber ich bezweifle stark, dass sie es verhindern können. [...] Vorausgesetzt wir schaffen uns keine totalitäre Weltordnung, wird einer irgendwann irgendwo optimierte Menschen erschaffen. [...] am Ende des nächsten Jahrtausends – sofern die Menschheit bis dorthin gelangt – werden die Veränderungen fundamental sein.« [7]

Eine Begleiterscheinung einer solchen Entwicklung wird wahrscheinlich eine beträchtliche Steigerung des Erkenntnisvermögens sein, quantitativ und qualitativ. Die posthumanen Wesen werden wahrscheinlich viele Fragen beantworten können, die wir Menschen nur stellen können. (Eventuell werden sie allerdings neue Fragen stellen – die zu stellen wir Menschen gar nicht in der Lage sind – und die sie nicht beantworten können.) [8]

Es geht auch nicht darum, heute ein bestimmtes Modell des »Posthumanen Lebewesens« zu entwerfen und dann zu versuchen, dieses (wie Frankenstein, nur mit moderneren Methoden) zusammenzubasteln. Da würde man nur die Fehler früherer Weltverbesserungsversuche wiederholen. Komplexe Systeme – und der Mensch ist ein hochkomplexes System – kann man nicht konstruieren. (Jedenfalls ist das sehr unwahrscheinlich.) Soetwas kann sich nur evolutiv entwickeln. Eventuell in einem Prozess von Versuch und Irrtum. Aber auch plötzliche qualitative Sprünge sind möglich. [9] Außerdem wird diese Entwicklung wahrscheinlich (jedenfalls nach gegenwärtigem Ermessen) über viele Jahrhunderte und zig Generationen ablaufen. Wir können gar nicht wissen, was spätere Generationen einst an Wert- und Zielvorstellungen haben werden, ob die an unserem Modell überhaupt noch interessiert wären. Noch weniger können wir wissen, was die posthumanen Lebewesen, wenn sie sich denn einst entwickeln sollten, für Entwicklungen betreiben wollen. Das wäre so, als wollte ein Schimpanse das menschliche Leben begreifen.

Bei der genetischen Optimierung des Menschen vertrete ich eine ähnliche Auffassung, wie sie einst Eduard Bernstein in der Arbeiterbewegung vertrat. Und die  Trial-and-error-Methode Poppers. D. h. wie prüfen, welche Schritte wir hier und heute orientiert an unseren Wertvorstellungen und (groben!) Zielvorstellungen machen können. Und die machen wir dann. Dann untersuchen wir die Folgen der gegangenen Schritte, soweit diese schon erkennbar sind und prüfen, welche Schritte wir als nächsten machen sollten und können usw. Und irgendwann werden wir gar keine Schritte mehr machen, weil wir gestorben sind. Dann wird die nächste Generation ihre Schritte machen bis auch sie von der nächsten Generation abgelöst wird etc. pp.

Es geht also um zweierlei: Erstens um die Veränderung von Details, die Erbkrankheit, das Schielauge etc. Zweitens geht es darum Evolution anzustoßen, die sowieso stattfindende natürliche Evolution zu beschleunigen, sie an humanistischen Wertvorstellungen zu orientieren und der Evolution damit weitgehend ihre Grausamkeit nehmen, die sie in ihrer natürlichen »darwinschen« Form hat.

Außerdem sollte man beachten, dass es schon heute erste Ansätze der unmittelbaren Verbindung des menschlichen Gehirns und Nervensystems mit intelligenter Technologie gibt. Auch in der intelligenten Technologie und der unmittelbaren Verbindung dieser mit dem Menschen wird es gewaltige Fortschritte geben. Ob das allerdings artverändernde Ausmaße annehmen wird, bleibt abzuwarten.

Ich weiß, dass viele Menschen vor einer solchen Entwicklung einen Horror haben. Ich habe einen Horror bei dem Gedanken, dass der Mensch das höchste Lebewesen sein soll, das die Evolution hervorbringen kann, dass die Geschichte der nächsten 5.000 Jahre so ähnlich abläuft, wie die Geschichte der letzten 5.000 Jahre, mit Kriegen, Massenmorden, milliardenfachem Leid und Elend.

Dass dieser ganze Prozess mit Risiken verbunden ist, dass es auch Opfer geben wird, das ist mir völlig klar. Aber das ganze Leben ist Risiko. Als unsere Ahnen einst die Bäume verließen, war das ein Risiko. Mancher hat das mit seinem Leben bezahlt. Das größte Risiko für die Menschheit besteht darin, dass wir in den zukünftigen Jahrtausenden die höchstentwickelste Lebensform auf diesem Planeten bleiben – was Erkenntnisvermögen und Technik anbetrifft. Dann werden wir uns entweder ausrotten oder wir werden – aller Wahrscheinlichkeit nach – weiterhin Kriege führen, Massenmorde begehen, andere Menschen und Lebewesen zu unserem Vorteil ausbeuten und unterdrücken etc. In beiden Fällen wird es Milliarden von Opfern geben. Die natürliche Evolution beschleunigen heißt auch, das intelligente Leben auf diesem Planeten zu erhalten und die Opferzahlen extrem zu reduzieren.

Gegen die genetische Optimierung der nachwachsenden Menschen wird es gewaltige Widerstände geben, besonders aus dem religiösen Lager, das seit Jahrhunderten zähe Rückzugsgefechte gegen Wissenschaft und Technik führt. Der Widerstand wird aber wahrscheinlich weit geringer sein, als heute vielfach angenommen. Wenn die Möglichkeiten konkreter Verbesserungen ersteinmal bestehen, wird die Zahl der Befürworter gewaltig zunehmen und der Druck auf den Gesetzgeber gewaltig steigen. Was war vor 100 Jahren alles verboten und ist heute erlaubt? Oder umgekehrt. Nur ein Beispiel: Vor 100 Jahren glaubten viele Politiker und Wissenschaftler, dass die Freudsche Psychologie – soweit sie ihnen überhaupt bekannt war – eine Angelegenheit für die Kriminalpolizei sei, nicht aber für ernsthafte Wissenschaftler. Gleichzeitig gab es in Europa Kinderbordelle, die stillschweigend geduldet wurden.

Auch im »grün-linken Lager« trifft man Menschen an, die Gentechnik vehement als unethisch ablehnen, aber gleichzeitig für das Recht des Schwangerschaftsabbruchs in den ersten drei Monaten eintreten. An einer befruchteten Eizelle Veränderungen vornehmen mit dem Ziel, den sich aus dieser Eizelle entwickelnden Menschen ein angenehmeres Leben zu ermöglichen: schlecht. Einen drei Monate alten Embryo vernichten, weil das Kind, das sich aus ihm entwickeln würde, nicht zur Lebensplanung bereits existierender Menschen passt: gut bzw. hinnehmbar. Das hat nichts mit Ethik, aber viel mit Egoismus zu tun.

An welchen Wertvorstellungen die Selbstevolution orientiert sein wird, das ist noch völlig offen. Wenn (fast) alle Menschen, die humanistische, sozialistische, (im weitesten Sinne »linke«) Ideen vertreten, eine solche Entwicklung nur ablehnen, ohne sie aufhalten zu können, dann werden sie die Gestaltung dieser Entwicklung Menschen überlassen, die von anderen Wertvorstellungen geleitet werden. Einen auch von mir nicht gewünschten Genfaschismus wird man nicht dadurch vermeiden, dass man in den demokratischen, freiheitlichen Ländern die genetische Optimierung zukünftiger Menschen verbietet. Das wird faschistische Regime wenig interessieren. Faschistisch eingestellte Menschen orientieren ihr Verhalten ja gerade nicht daran, was humanistisch eingestellte Menschen für richtig halten, was sie erlauben oder verbieten. Wie die Zukunft des Lebens auf diesem Planeten aussehen wird, hängt nicht zuletzt davon ab, wieviele Menschen sich für welche Entwicklungen einsetzen werden. [10]

Ich habe an anderer Stelle erläutert, warum ich es nicht für besonders wahrscheinlich halte, zufällig entstanden zu sein. [11] Die Vorstellung der »Seelenwanderung«, der Wiedergeburt halte ich für eine vertretbare philosophische  Hypothese. Sollte diese richtig sein, würden wir die Zukunft nicht nur für die nachwachsenden Generationen gestalten, sondern für uns selbst. Anders ausgedrückt: Wir würden die zukünftigen Generationen und die höheren Arten sein. [12]


Höhere Arten – Startseite


Anmerkungen

Anm. 1: Immer mehr junge Frauen, zum Teil schon Schulmädchen, gehen zum Schönheitschirurgen und wollen sich die Brüste vergrößern lassen. In Zukunft wird man dieses Problem wahrscheinlich durch Eingriff in die befruchtete Eizelle lösen können. Frauenfeindlich? Wenn das frauenfeindlich ist, dann sind alle Frauen, die sich darum bemühen, schön zu sein, und bereit sind, auch eine Operation dafür in Kauf zu nehmen, frauenfeindlich. Ziemlich absurd, wenn eine Gruppe von Frauen einer anderen Gruppe von Frauen Frauenfeindlichkeit vorwirft. Zurück zum Haupttext

Anm. 2: Sehen Sie hierzu auch den philolex-Beitrag Biologismus. Zurück zum Haupttext

Anm. 3: Nur ein Beispiel: Die Menschen im ehemaligen Jugoslawien haben vierzig Jahre lang in einem sozialistischen Land gelebt. Die  Sozialisation zweier Generationen fand unter diesen Umständen statt. Und das hat nicht verhindert, dass diese Menschen sich anschließend zu Hunderttausenden gegenseitig umbrachten, einschließlich Folterungen und Massenmorden an Kriegsgefangenen und Massenvergewaltigungen als Kriegsstrategie. Zurück zum Haupttext

Anm. 4: Wenn ein Mensch mit einem Messer auf einen anderen Menschen losgeht, um ihm den Bauch aufzuschneiden, dann kann dies ganz verschiedene Gründe haben und ganz verschiedene Folgen für den Betroffenen. Das kann ein Raubmörder sein, der einen Menschen bestialisch umbringt; das kann aber auch ein Chirurg sein, der einem vorher betäubten Patienten den entzündeten Blindarm entfernt, da der Patient ansonsten qualvoll sterben würde. Bauchaufschneiden ist also nicht gleich Bauchaufschneiden. Es sind nicht alle Bauchaufschneider gleich. Und so sind auch nicht alle Menschen gleich, die eine gentechnische Veränderung des genetischen Bauplans der nachwachsenden Generationen für richtig halten. Es gibt auch unter ihnen Unterschiede wie zwischen Chirurgen und Raubmördern. Ich erlebe es leider immer wieder in Diskussionen und Emails, dass Menschen entweder unfähig oder unwillig sind, zwischen Chirurgen und Raubmördern zu unterscheiden, für die (im übertragenen Sinne) die Erfindung des Messers ausschließlich ein negativer Tatbestand ist. Zurück zum Haupttext

Anm. 5: Nietzsche hatte keine humanistischen Ideale und Ziele. Glück, Wohlfahrt, Mitleid etc. waren für ihn pöbelhafte Instinkte und Naivitäten. Er wollte, dass eine Klasse »olympischer Menschen« »mit gutem Gewissen das Opfer einer Unzahl Menschen hinnimmt, welche um ihretwillen zu unvollständigen Menschen, zu Sklaven, zu Werkzeugen herabgedrückt und vermindert werden müssen.« »Die Schwachen und Missratenen sollen zu Grunde gehen: erster Satz unserer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.« »Die Größe eines ›Fortschritts‹ bemisst sich sogar nach der Masse dessen, was ihm Alles geopfert werden musste; die Menschheit als Masse dem Gedeihen einer einzelnen stärkeren Spezies Mensch geopfert – das wäre ein Fortschritt ...« Mit solchen »Idealen« kann man Behinderte und Unangepasste vergasen, »minderwertige« Völker vernichten, andere Völker versklaven etc. Genauso haben es die Nazis später gemacht. Ich will eine Welt ohne Sklaverei, ohne Unterdrückung. Ich will nicht, dass das Mitleid verschwindet, ich will, dass die Mitleidlosigkeit verschwindet. Ich will eine Welt ohne Krieg, ohne Hungersnöte, ohne Seuchen etc., in der die Menschen in Harmonie und gegenseitiger Hilfe leben. Wettstreit soll es auf philosophischem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet geben. Bildung und Kultur für alle, die es wünschen und dazu befähigt sind etc. An paradiesische Zustände irgendwann in der Zukunft glaube ich aber nicht! Doch substantiell bessere Verhältnisse als heute halte ich für möglich. Zurück zum Haupttext

Anm. 6: Ich erlebe in Diskussionen immer wieder, dass viele Menschen mit dem Adjektiv »höher« Probleme haben. »Wieso ist der Mensch ein höheres Wesen gegenüber den Tieren? Tiere können auch nett sein. Tiere können auch Schmerz und Trauer empfinden. Wenn die Welt vernichtet wird, dann wird dies der Mensch machen, nicht die Tiere etc. pp.« Das bestreite ich ja alles gar nicht. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass der Mensch intellektuell auf jeden Fall und ethisch in der Regel über den Tieren steht. Selbst ein geistig minderbemittelter Mensch – soweit er nicht schwer geisteskrank ist oder große Hirnschäden hat – steht mit seinem Erkenntnisvermögen über einem Schimpansen. Menschen, die zwischen ihren intellektuellen Fähigkeiten und denen von Kamelen keine qualitativen Unterschiede sehen, demonstrieren damit durchaus eine gewisse geistige Beschränktheit. Nichtsdestotrotz sind sie klüger als Kamele, auch wenn sie das nicht bemerken sollten. Und ein höheres intellektuelles und zivilisatorisches Niveau zieht tendenziell ein höheres ethisches Niveau nach sich. Das lässt sich im Rahmen von Naturbeobachtung, empirischer Sozialforschung und kritischer Geschichtsanalyse nachweisen. Die Herdentiere, die Affen, die Naturvölker sind nicht besser als der moderne zivilisierte Mensch, sie sind nur weniger mächtig und können deshalb nicht soviel Schaden anrichten wie wir. Aber sie sind in der Regel rücksichtsloser, mitleidloser, unsensibler und bestialischer als es der zivilisierte Mensch tendenziell ist. (Näher ausgeführt habe ich dies u. a. in meinem Aufsatz Über die negative Seite des Menschen. Lediglich tendenziell, weil rein zahlenmäßig leider viele Gegenbeispiele genannt werden können. Prozentual fallen diese aber nicht ins Gewicht.) Und so wie wir Menschen den Tieren gegenüber intellektuell und in der Regel auch ethisch eine qualitativ höhere Art darstellen, so ist es möglich, dass es einst Lebewesen geben wird, die uns gegenüber intellektuell und ethisch eine qualitativ höhere Art darstellen. Und ich halte eine Entwicklung dorthin für sehr wünschenswert, weil ich den heutigen Zustand der Welt schlicht »zum Kotzen« finde. – Im Übrigen: Wer glaubt, die Wale seien die höchste Lebensform (soetwas höre ich auch des Öfteren), dem rate ich, sich eine Badewanne anzuschaffen, dort Wasser einzulassen, sich so oft wie möglich dort hineinzulegen und sich dazu Walgesänge anzuhören. Der sollte seine Finger lassen von Büchern über Wissenschaft und Philosophie. Der sollte sich auch keinen Beethoven und keinen Mozart, keinen Van Gogh und keinen Picasso antun. Da dies alles sich außerhalb des geistigen Horizonts der höchsten Wesen befindet, ist es überflüssig, minderwertig. Zurück zum Haupttext

Anm. 7: Diese Aussagen Stephen Hawkings sind einem WELT-Artikel vom 20.3.1999 entnommen. Hawking vertritt in diesem Artikel auch die Auffassung, dass sich auf diesem Gebiet in den nächsten hundert Jahren nichts besonderes ereignen wird. Wann aber die Entwicklungen, die den fundamentalen Unterschied bewirken werden, stattfinden, darüber sagt er nichts. Darüber sage ich auch nichts. Ob das 5, 10, 20 oder gar 40 Generationen dauern wird, darüber heute sichere Aussagen machen zu wollen, wäre verrückt. Aber auch 40 Generationen bzw. 1000 Jahre wären gemessen am bisherigen Tempo der Evolution eine unerhörte Geschwindigkeit. (Das »Tier-Mensch Übergangsfeld« wird von den Paläontologen auf viele Millionen Jahre und Hunderttausende von Generationen veranschlagt. Sehen Sie hierzu auch meine Kleine Zeittafel der Evolution und der Entwicklung von Wissenschaft und Technik.) – Zurück zum Haupttext

Anm. 8: Sehen Sie dazu auch im philolex-Beitrag zu Popper die  Anm. 4. –
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Anm. 9: Wahrscheinlich hat es in der Evolution nicht nur allmähliche Übergänge, sondern auch Sprünge gegeben. Zwischen bestimmten verwandten Arten, bzw. zwischen Arten und ihren evolutiven Vorgängern lassen sich oft keine Zwischenstufen finden. Deshalb ist es durchaus möglich, dass wir nicht nur allmähliche Übergänge, sondern auch Sprünge bewirken können. An anderer Stelle habe ich bereits erklärt, warum mir die zufällige Entstehung immer komplexerer Lebensformen nicht plausibel erscheint. U. a. in der  Anmerkung 4 zur kurze Zusammenfassung meiner Philosophie. Die Epigenetik könnte eventuell auch einigen Lehrsätzen Lamarcks zu spätem Ruhm verhelfen. Zurück zum Haupttext

Anm. 10: In dieser Anmerkung gehe ich auf mehrere verschiedene Einwände, Widersprüche etc. ein, die Laufe der Zeit in Diskussionen und Emails gegen meine Vorstellungen vorgetragen wurden.

Es wird in Diskussionen und Emails häufig behauptet, der Mensch, da er schlecht und dumm sei (ich verkürze es auf diese beiden Begriffe, häufig werden diese Auffassungen anders formuliert), könne überhaupt keine klügeren und ethisch höherstehenden Wesen hervorbringen. Alles, was er produziere, müsse zwangsläufig wie auch er schlecht und unvollkommen sein. Nach dieser Argumentation könnte es im Universum überhaupt keine Entwicklung zu hören Formen und Strukturen geben. Nach dem gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand gab es am Beginn, nach dem Urknall, nur Wasserstoff- und (vergleichsweise wenige) Heliumatome. (Genaugenommen gab es nach dem gegenwärtigem Erkenntnistand nach dem Urknall nur die Elementarteilchen, aus denen diese Atome bestehen.) Und die Naturgesetze. Daraus hat sich alles entwickelt. Die höheren Atome, die Moleküle, wo es möglich war die lebenden Zellen, Zellenverbände, Gehirne, dann Wissenschaft, Philosophie, Kunst etc. Am Anfang der Menschheitsgeschichte steht der Wilde oder das Herdentier, das von Ethik überhaupt keinen Begriff hat. Warum haben wir heute keine Sklaven mehr wie in der Antike? Warum foltern wir heute nicht mehr die Gefangenen, wie es im Mittelalter üblich war? Warum haben wir heute in vielen Ländern der Welt Meinungsfreiheit, Pluralität etc. Sachen, die es noch vor fünf Generationen bestenfalls in Ansätzen gab? Warum haben dumme Eltern kluge Kinder? Warum sind die Kinder von Mördern nicht auch Mörder? (Ich könnte Hunderte weiterer Fragen stellen.) Der Mensch ist von seinen Vorsätzen, seinen Idealen und seinen Fähigkeiten her häufig viel besser, als er selbst es realisieren kann. Das Gute kann nur aus dem Schlechten hervorgehen, das Komplizierte nur aus dem Einfachen. Von wo sollte es denn sonst kommen? – Die einzige Alternative, die ich dazu sehe, ist, dass es im Jenseits ein hochkomplexes und gütiges Wesen gibt, das diese Entwicklung bzw. den heutigen hochkomplexen Zustand hervorgebracht hat und in dessen Hände wir gläubig unser Schicksal legen. Das haben die meisten Menschen ja über Tausende von Jahren gemacht. Viel gutes ist dabei nicht herausgekommen. Besser wurde es in der Regel nur dann, wenn die Menschen ihre Lebensumstände selbst verbesserten, wenn sie selbst aktiv wurden. Wissenschaft und Technik haben erheblich mehr zum Fortschritt und zum Wohlergehen der Menschen beigetragen, als die Religionen. Das Problem ist, solange der Mensch von seiner Natur her bleibt, was er seit ca. 30.000 Jahren ist, kann alles kulturell erworbene wieder verloren gehen, kann der Mensch jederzeit wieder in die Barbarei zurückfallen. Näher ausgeführt habe ich dies im  Abschnitt 2.2. meines Essays Über die Notwendigkeit höherer Arten.

Es wird in Diskussionen und Emails häufig behauptet, der Mensch habe nicht das Recht, in die Evolution aktiv einzugreifen, es sei ihm nicht erlaubt seine Natur und die Natur schlechthin nach seinem Willen umzugestalten. Ich glaube nicht, dass ein Gott diese Welt und uns Menschen gemacht hat. Aber selbst wenn es so wäre, hätte Gott eine schlechte Welt gemacht, die wir in unserem Interesse ändern sollten, was wir ja bereits seit Jahrtausenden machen. Ansonsten wären wir heute noch Höhlenmenschen. Wenn man davon ausgeht – wie es die allermeisten Menschen der fortschrittlichen, modernen Länder tun –, dass wir und die gesamte Natur in ihrem heutigen konkreten Zustand Produkte zufälliger Mutationen sind, im Rahmen dessen, was an Möglichkeiten und Zwängen in der Welt war, dann ist es überhaupt nicht schlüssig, unseren heutigen natürlichen Zustand oder den heutigen Zustand der Natur schlechthin zum Heiligtum zu erklären, an dem wir nichts ändern dürfen. Hier ist wohl unbewusster Konservatismus und unbewusste Angst vor neuen Situationen der Vater des Gedankens.

Im Übrigen: Der Mensch betreibt schon seit Hunderten von Generationen Selbstevolution, die im Laufe der wissenschaftlich-technischen Entwicklung immer größere Ausmaße angenommen hat. Als die Menschen begannen das Feuer zu nutzen, als sie seßhaft wurden, als sie Städte gründeten, als sich der materielle Lebensstandart und die medizinische Versorgung verbesserten, überlebten viele Kinder, die unter weniger entwickelten Umständen nicht überlebt hätten, die aber selbst wieder Kinder zeugten, die ihrerseits Kinder zeugten etc. pp., und deren Gene in den Genpool der Menschheit eingingen. Wir heute lebenden Menschen sind Produkte einer seit vielen Tausend Jahren stattfindenden Selbstevolution. Die meisten von uns könnten in den verbliebenen »Naturparadiesen« gar nicht überleben, nicht nur weil wir es nicht gelernt haben unser Futter selbst zu suchen und selbst zu erjagen, sondern weil die meisten von uns dies von ihrer Natur her gar nicht könnten. Wir würden schnell merken, wie wenig paradiesisch es ist, wenn wir keinen Supermarkt, keinen Arzt etc. zur Verfügung hätten. Wieviele Frauen der zivilisierten, hochentwickelten Länder könnten denn noch ihr Baby allein zur Welt bringen? Wir würden sterben wie die Fliegen! Um das mal sehr drastisch auszudrücken. Nur wenige von uns würden es überleben. Und diese wären nicht im Paradies, sondern in der Steinzeit. Knochenarbeit, niedriger Lebensstandart, geringe Lebenserwartung etc. pp. Wenn wir dazu übergehen, den genetischen Bauplan der nachwachsenden Generationen zu ändern, dann ist dies allerdings ein qualitativer Sprung in der Selbstevolution. Aber die Selbstevolution als solches hat schon lange begonnen und aus ihr kommen wir auch nicht wieder heraus. Wir sind unumkehrbar Kulturwesen geworden.

Es wird in Diskussionen und Emails häufig behauptet, die gentechnische Veränderung des Menschen werde nie möglich sein, diese Vorstellung sei Ausdruck einer naiven Wissenschafts- und Technikgläubigkeit. Aber es gab schon immer Menschen, die unfähig waren, sich substantiell andere Lebensverhältnisse als die gegenwärtigen vorzustellen, die bei jedem etwas komplizierteren technischen Problem oder bei technischen Neuerung schnell dabei waren, etwas für unmöglich zu halten. Mitte des 19. Jahrhunderts hätten viele Menschen auch eine Glühbirne für eine Phantasterei gehalten, wenn sie über entsprechende Forschungen informiert gewesen wären. Ganz abgesehen mal von Explosionsmotoren, Flugzeugen, Mondraketen, Computern, Organverpflanzungen u. v. m. Viele glaubten, wenn sich Menschen mit einer Geschwindigkeit von 50 km die Stunde bewegen, würden sie sterben. Unsere letzte Kaiserin meinte, »wenn Gott gewollt hätte, dass ich fliegen soll, hätte er mir Flügel gegeben.« Die Geschichte ist über solche Menschen hinweggegangen und die zukünftige Geschichte wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch über die heutigen Wissenschafts- und Technikpessimisten hinweggehen. Aber bitte, überlassen wir es doch der Zukunft zu zeigen, wie weit die Menschen mit Wissenschaft und Technik kommen. Wir heute Lebenden können keine Wetten darüber abschließen, weil die meisten dieser Entwicklungen jenseits unserer Lebenszeit liegen werden.

Mir wurde vorgeworfen, ich würde hier über Sachen reden, von denen ich nichts verstünde, von denen ich bestenfalls ein paar Oberflächeninformationen besäße. Wenn man einen solchen Gedanken konsequent zu Ende führt, dann dürften nur Atomkraftwerkstechniker über Atomkraftwerke sprechen. Nur sie hätten eine legitime Meinung über Atomkraftwerke und nur sie würden entscheiden, ob man solche Werke baut oder nicht. (Und dann würden auch in Deutschland weiterhin Atomkraftwerke gebaut werden, wie in Frankreich. Denn die große Mehrheit der Atomkraftwerkstechniker befürwortet dies.) Wieso ist eine Physikerin Bundeskanzlerin? Warum ist sie keine Politologin? Wir brauchen Spezialisten. In vielen Bereichen würde ohne sie nichts laufen. Aber wir brauchen auch Generalisten. Wir brauchen auch Menschen, die die allgemeine Entwicklung der Gesellschaft, der Wissenschaft, der Technik verfolgen und dann allerdings unmöglich in allen Bereichen Detailwissen haben können. Dass die Stimme von Fachleuten in ihrem Gebiet ein anderes Gewicht hat, als die Meinung von Laien oder oberflächlich Informierten, das sehe ich allerdings. Und die Menschen, die mit der Erforschung der Gene, mit Gentechnologie und Gentechnik beruflich zu tun haben, die in diesen Bereichen ausgebildet sind, die sind in ihrer großen Mehrheit der Auffassung, dass es in der Bevölkerung eine zum Teil auf schlichte Unkenntnis beruhende Hysterie gibt, wenn es z. B. um gentechnisch veränderte Lebensmittel geht.

Mir wurde vorgeworfen, was ich hier vorschlage, sei verboten, ich würde gegen Gesetze verstoßen und zum Gesetzesbruch aufrufen. Dazu zweierlei: 1. Ich betreibe keine Gentechnik. Dafür bin ich nicht ausbildet, dafür fehlt mir das Detailwissen. Ich schlage vor in Zukunft auf Basis solider wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Entwicklungen orientiert an humanistischen Idealen Gentechnik am Menschen anzuwenden und dann dafür allerdings auch die nötigen Gesetze zu schaffen. Es ist in einer freiheitlichen Gesellschaft erlaubt, bestimmte Gesetzesänderungen vorzuschlagen und anzustreben. Unsere Parlamente machen dauernd Gesetze, was häufig auch bedeutet, andere Gesetze abzuschaffen oder zu ändern. Und zukünftige Mehrheiten werden das gleiche Recht haben. Ich beschäftige mich schwerpunktmäßig mit Philosophie. In dem Zusammenhang habe ich es dauernd mit Menschen zu tun, hinter deren Namen »Von–Bis« steht. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, weshalb ich im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen über den Tellerrand der gegenwärtigen Welt, der nächsten Jahre und Jahrzehnte hinausdenke. Menschen, die in 50 Jahren geboren werden und in hundert Jahren in den Parlamenten sitzen, die werden eventuell andere Dinge für richtig halten, als die Mehrheit der Menschen, die heute in den Parlamenten sitzen. 2. Das Internet ist international. Artikel im Internet richten sich nicht nur an Leser in Deutschland. Es gibt über 200 Staaten auf der Erde mit unterschiedlichen Gesetzen. Manches was in Deutschland auf dem Gebiet der Stammzellenforschung und der Gentechnik (noch) verboten ist, wird in England praktiziert. Zum Teil gefördert durch die EU mit deutschen Steuermitteln. Manches was in Europa (noch) verboten ist, wird in Asien praktiziert. Eventuell finanziell gefördert durch Entwicklungshilfe aus Europa. Die europäischen Völker haben Großes für den wissenschaftlich-technischen Fortschritt getan. So wie einst die Babilonier und Ägypter zu ihren Hochzeiten. Europa war es, das die Menschheit in die Neuzeit geführt hat. Aber wenn auf Grund bestimmter Traditionen und Mentalitäten in Europa bestimmte wissenschaftliche und technische Entwicklungen nicht möglich sein sollten, dann werden es die Koreaner, die Inder, die Japaner, die Chinesen machen. (Die Europäer sind dann das, was eins die Neandertaler waren: ein aussterbender Seitenarm.) Wenn jemand meint, was in Deutschland verboten ist, das müsste eigentlich überall auf der Erde verboten sein, dann erinnert mich dies stark an einen alten Kalenderspruch, der sich bei vielen unserer Urahnen zu Kaisers Zeiten großer Beliebtheit erfreute: »Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.« All zu gut sind unsere Ahnen damit nicht gefahren.

Es gibt auch Leute, die total ausrasten, wenn sie von dem Vorhaben der gentechnischen Veränderung des Menschen hören, und nur noch »der ist ja wohl verrückt«, »nicht ganz dicht im Oberstübchen«, »der hat ja wohl die Vollklatsche« etc. pp. von sich geben. Was diese Leute bei ihren emotionalen Ausbrüchen nicht bemerken, ist, dass sie selbst es sind, die nicht mehr vernünftig argumentieren, dass sie sich von ihren Emotionen so beherrschen lassen, dass sie zu keiner sachlichen Diskussion mehr fähig sind. Dass in Wirklichkeit sie (jedenfalls während ihrer emotionalen Ausbrüche) die Verrückten sind. – Zum Vorwurf, das ganze Vorhaben sei verrückt folgendes: Menschen haben in der Regel eine bestimmte Menge an Auffassungen, die sie völlig unreflektiert für unumstößliche Wahrheiten halten, von denen sie völlig unreflektiert annehmen, dass jeder normale Mensch diese Auffassungen teilt. Z. B. bezüglich der grundsätzlichen Beschaffenheit der Welt oder der Frage, was  gut und böse ist. Und wenn dann jemand etwas sagt bzw. fordert oder vorschlägt, das diesen Auffassungen widerspricht, dann ist die Reaktion vieler Leute darauf, diesen Menschen für verrückt zu erklären. Sie fangen nicht an, nachzudenken, sich kritisch mit solchen Auffassungen auseinanderzusetzen, nein, sie erklären solche Auffassungen für völlig verrückt, unakzeptabel und indiskutabel. Und wenn sie die entsprechende Mentalität haben, dann explodieren sie emotional. Nun ist es aber so, dass vieles, was Menschen mit unreflektierter Sicherheit für wahr halten, tatsächlich Vermutungen sind, dass es zu vielen Fragen unter den Menschen ganz unterschiedliche Ansichten gibt, dass dem Einen eine Einstellung völlig klar, dem anderen dagegen die gleiche Einstellung völlig absurd erscheint. In meinem Aufsatz Wissen, Vermutungen und Praxis und im I. Teil Meiner Philosophie habe ich mich damit näher beschäftigt.
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Anm. 11: Siehe  Kritik des philosophischen Materialismus. – Zurück zum Haupttext

Anm. 12: Sehen Sie hierzu bitte meinen Aufsatz Über die Notwendigkeit der Entstehung höherer Arten. – Zurück zum Haupttext


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