Ich möchte nicht so unbescheiden sein, meinen Namen in das Personenregister des philolex aufzunehmen. Aber da das philolex nicht nur eine Darstellung der philosophischen Überzeugungen anderer, sondern auch meiner eigenen ist, sollen auch meine philosophischen Auffassungen hier in einem separaten Artikel erläutert werden.



Peter Möller

Eine kurze Zusammenfassung meiner Philosophie (1989)

Als mir im Verlaufe meiner Beschäftigung mit Philosophie und Wissenschaft klar wurde, dass die Menschen in ihrer Geschichte und in den verschiedenen Kulturkreisen schon die unterschiedlichsten Religionen und wissenschaftlichen Weltbilder hervorgebracht haben, dass die »großen Philosophen« verschiedene, sich widersprechende Philosophien hervorgebracht und sich untereinander zu Scharlatanen erklärt haben, als mir klar wurde, dass mich meine Sinne (Wahrnehmung), mein Verstand und meine Gefühle täuschen können, da machte ich etwas, das vor mir schon viele andere Menschen gemacht haben: Ich zweifelte alles an! Mochte dieser Zweifel auch noch so absurd erscheinen. Das Ziel war, etwas zu finden, das selbst noch dem absurdesten Zweifel standhält. Wenn ich soetwas hätte, glaubte ich, dann hätte ich eine unerschütterliche Ausgangsbasis, von der aus ich mir vielleicht ein System sicherer Erkenntnisse aufbauen könnte. [1]

Im Verlaufe dieses Zweifels kam ich zuersteinmal zu dem Schluss, dass es über dem von mir in diesem Moment unmittelbar Erlebten hinaus überhaupt keine Sicherheit gibt, sondern nur Vermutungen. Jede Behauptung, die über das unmittelbar Erlebte hinaus geht, kann falsch sein und kann bezweifelt werden.

Der nächste Schritt war die Erkenntnis, dass ich eine Reihe von Behauptungen, die über das unmittelbar Erlebte hinausgehen, mit Sicherheit als falsch ausschließen kann. Wenn jede Behauptung, die über das unmittelbar Erlebte hinausgeht, bezweifelbar bliebe, dann könnte ich auch nicht beurteilen, ob Rumpelstilzchen und die anderen Märchenfiguren der Gebrüder Grimm existieren oder nicht. Ich schließe aber die Existenz von Rumpelstilzchen aus. Nicht weil ich beweisen kann, dass es Rumpelstilzchen nicht gibt, sondern weil die Aussage: »Rumpelstilzchen existiert« naiv ist.

Ich existiere auf einem bestimmten intellektuellen Niveau, das nicht nur einen quantitativen, sondern auch einen qualitativen Aspekt hat. (Dieses Niveau ist bestimmt nicht das höchste, das menschenmöglich oder gar im Sein möglich ist. Eine solche Annahme wäre für mich schon wieder naiv.) Dieses qualitative Niveau führt dazu, dass ich eine bestimmte Menge an Aussagen verwerfen muss. Da eine Ausschließungsbehauptung im Umkehrschluss eine »So-ist-es-Behauptung« ist, wird der Skeptizismus bei mir durch eine bestimmte Menge an Wahrheiten partiell überwunden, bleibt aber zu großen Teilen erhalten. [2]

Der Skeptizismus führt sich allerdings selbst ad absurdum, wenn er für sich absoluten Wahrheitscharakter beansprucht. Mein Skeptizismus beinhaltet die Bereitschaft, ihn aufzugeben, wenn ich von etwas Besserem überzeugt werden sollte.

Zu dem, was ich unmittelbar erlebe, gehört, dass ich mich als materiellen Körper in einer materiellen Welt erlebe und in dieser materiellen Welt ein zielgerichtet handelndes Wesen bin, in dem ich nämlich ständig versuche, Bedürfnisse der unterschiedlichsten Art zu befriedigen. Der unmittelbar erlebte Inhalt meines Lebens ist der ständige Versuch, Bedürfnisse zu befriedigen und damit ist die Bedürfnisbefriedigung der unmittelbar erlebte Sinn meines Lebens.

In dem Moment, wo ich handle, setze ich etwas als richtig voraus. Täte ich dies nicht, wäre ich handlungsunfähig. Da ich aber nur in seltenen Fällen ein sicheres Wissen habe, mache ich oft Vermutungen zur Grundlage meines Handelns, die ich im praktischen Leben »Wissen« nenne und ich messe die Brauchbarkeit dieser Vermutungen daran, ob sie mir im praktischen Leben dienlich sind, Ziele zu erreichen. Ich bin also ein Skeptiker und ein Pragmatiker. [3]

Ich erlebe aber nicht nur eine materielle Welt, ich erlebe auch eine geistige: Sprache, Kultur, wissenschaftliche Hypothesen, philosophische Systeme, Kunst, Religionen usw. Auch in dieser geistigen Welt habe ich Bedürfnisse. Trotz meiner skeptizistischen Grundhaltung stelle auch ich Fragen, die über das praktische Leben, über die materielle Welt hinausgehen: Warum gibt es überhaupt etwas? In welchem Verhältnis stehen Materie und Bewusstsein zueinander? (Ich erlebe mich unmittelbar als Körper und als Bewusstsein.) Gibt es einen Sinn des Lebens über den Prozess der Bedürfnisbefriedigung hinaus? Gibt es eine Fortexistenz nach dem Tode? Menschen, die sich mit solchen Fragen befassen, sind mir, solange sie nicht dogmatisch werden, wesentlich sympathischer als Menschen, die voll im Prozess der materiellen Bedürfnisbefriedigung aufgehen.

Sichere Antworten auf diese Fragen gibt es wohl nicht. Aber unter den verschiedenen philosophischen Systemen und Auffassungen, die ich kenne, gibt es welche, die mir plausibler sind als andere. Eine  idealistische Welterklärung ist mir plausibler als eine  materialistische. Dies hat insbesondere vier Gründe:

  1. Mir ist die Vielfalt und Zweckmäßigkeit der Welt, die scheinbare Gesetzmäßigkeit der Entwicklung von einfachen zu komplexeren Strukturen als bloßes Produkt von Evolutionsdruck oder gar Zufall nicht vorstellbar. [4]
  2. Mir ist das Bewusstsein als Produkt toter, unbewusster Materie, nur weil diese sich zu einem informationsverarbeitenden System organisiert hat, nicht vorstellbar. (Dabei ist die Problematik des Materiebegriffs seit der Entwicklung der  Relativitätstheorie und der  Wellenmechanik noch nicht mal berücksichtigt.)
  3. Mir ist meine eigene Existenz, und zwar meine bewusstseinsmäßige Existenz, gar nicht mal so sehr meine körperliche, als Produkt eines kosmischen Zufalls nicht vorstellbar.
  4. In meinem unmittelbaren Erleben ist das Wissen um die Existenz der Dinge nicht in meinem Kopf, sondern dort, wo die Dinge sind. Ich habe den Eindruck, dass die Dinge selbst bereits Bewusstsein sind. (Was nicht bedeutet, dass sie Selbstbewusstsein sind.) [5]

Plausibler als ein materialistisches Weltbild ist mir, dass ein Weltbewusstsein, das zugleich ein Weltun(ter)bewusstsein, eine  Weltvernunft und ein  Weltwille ist, den Kern oder das Primäre des Seins ausmacht. (Der hegelsche Weltgeist und der schopenhauerische Weltwille.)

Von Anhängern religiöser oder okkulter Lehren unterscheidet mich aber folgendes:

Ich erhebe auf das, was mir plausibel erscheint, keinen Absolutheitsanspruch! Ich toleriere jeden, der andere Erklärungen für plausibel hält, soweit er seinerseits nicht intolerant ist. Und meine Toleranz ist nicht einfach nur ein Ausdruck von Höflichkeit, sondern sie hat eine erkenntnistheoretische Fundierung. [6]

Vom christlichen Glauben unterscheidet mich zusätzlich noch, dass der geistige Kern der Welt, dessen Existenz mir plausibel erscheint, kein außerhalb der Welt seiendes, sich wissendes, allmächtiges Subjekt ist, sondern eine unpersönliche geistige Kraft oder Wesensheit, die mit dem Weltganzen (also auch mit den Menschen) identisch ist und die in ihrer Gesamtheit weit über das hinausreicht (und zwar nicht nur quantitativ, sondern qualitativ), was menschlichem Erkenntnisvermögen zugänglich ist. Im Gegensatz zum offiziellen Christentum habe ich eine pantheistische Vorstellung von der Welt.

Ich glaube auch nicht an eine ewige Fortexistenz individueller Einzelseelen. Ich stelle es mir eher so vor, dass innerhalb des ewig existierenden und alles umfassenden  Weltbewusstseins sich etwas vorübergehend absondert, sich dem anderen als Individuum entgegenstellt und nach einer gewissen Entwicklung im Ganzen wieder konturlos aufgeht. (Ob ein solches Individuum nur ein Leben hat oder viele, ist für mich offen.)

Außerdem erscheint es mir plausible, dass dieser geistige Kern der Welt selbst eine Entwicklung durchmacht.

Ich glaube, dass die Philosophen Spinoza und Hegel im Großen und Ganzen Recht haben, ohne dass ich etwa jeden Satz von ihnen für richtig halte. Gemeinsamkeiten gibt es auch mit Platon und der Neuen Metaphysik. In religiöser Form sind diese Auffassungen meines Wissens zum ersten Mal in der indischen Brahman-Atman Lehre aufgetreten.



Ich bin in letzter Instanz Skeptizist und in vorletzter Instanz Pantheist.



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Dies ist eine kurze Zusammenfassung einer längeren Abhandlung, Meine Philosophie, in der ich meine Entwicklung von einer extrem skeptizistischen zu einer undogmatisch pantheistischen Position beschrieben habe. Meine Philosophie entstand in den Jahren 1985 bis 1987. Diese Zusammenfassung hatte ich ursprünglich 1989 geschrieben, in Form eines Briefes an einen Bekannten, mit dem ich mich einst wegen unterschiedlicher Bewertung des »Realen Sozialismus« zerstritten hatten. Nach dessen Untergang in Europa war der Bekannte von einst wieder bereit, mit mir zu reden.


Eine Weiterführung der hier angesprochenen Grundgedanken kann man finden in meinem Aufsatz Wissen, Vermutungen und Praxis.


Anmerkungen


Anm. 1: Der berühmteste Fall in der Philosophiegeschichte für ein solches Zweifeln ist  René Descartes, der auf diesem Wege zu seinem: »Cogito ergo sum« kam. Descartes, René, Meditationen über die Erste Philosophie, Lateinisch/Deutsch, Philipp Reclam Jun. Stuttgart 1986. Anzumerken ist allerdings, dass Descartes lediglich einen  Methodischen Zweifel betrieb, während ich einen  vorbehaltlosen Zweifel betreibe. Zurück zum Text

Anm. 2: So wie mit den Märchen ist es mit anderen all zu naiven Geschichten, zum Beispiel über Gott und  Teufel usw. Es ist unmöglich zu beweisen, dass es sich bei diesen Geschichten um Erfindungen handelt. Aber das ändert nichts daran, dass man ab einem bestimmten intellektuellen Niveau solche Geschichten nur noch als Märchen ansehen kann. Es geht gar nicht mehr anders. Wenn ich glauben soll (oder besser gesagt »glauben kann«), dass im Verlauf der »Großen Trübsal« der Teufel tausend Jahre lang festgebunden wird (siehe Offenbarung des Johannes), dann kann ich auch gleich glauben, dass es schneit, weil Frau Holle ihre Betten ausschüttelt. Das ist das gleiche Niveau, bloß verschiedene Bücher. – Dass der Umkehrschluss beim Ausschließen zur Anerkennung der großen kulturellen Leistungen als von mir unabhängige Tatsachen führt, habe ich in  Meiner Philosophie ausgeführt. Zurück zum Text

Anm. 3: Ein paar weitere Punkte seien stichwortartig erwähnt: Ich erlebe mich unmittelbar unter anderen Menschen (das Problem des Solipsismus klammere ich aus) und ich habe die Erfahrung gemacht (die Bezweifelbarkeit meiner Erinnerungen klammere ich ebenfalls aus), dass ich in der Regel in Zusammenarbeit mit anderen Menschen meine Bedürfnisse besser befriedigen kann als allein oder in Gegnerschaft zu anderen. (Letzteres ist allerdings wegen unterschiedlicher Interessen und Konkurrenzsituationen auch manchmal unvermeidbar. In solchen Situationen kann ich dann auch  Kyniker sein, was mir des Öfteren einen Vorteil verschafft.) Ich strebe deshalb eine gute Zusammenarbeit mit Menschen gleicher Interessen an und weil ich auch ein unmittelbares Unwohlsein dabei empfinde, wenn ich daran denke, wie schlecht es anderen Menschen/Lebewesen geht, bekenne mich zum  Utilitarismus und Humanismus. Ich leite meine Ethik aus meinen Gefühlen ab und bin somit ein  Gefühlsethiker. Und da ich gelungene Bedürfnisbefriedigung für erstrebenswert halte, betrachte ich mich als  Epikureer. Da ich einen kritischen Gebrauch der Vernunft in allen Lebensbereichen befürworte, jeglichen Dogmatismus ablehne und mich für eine freie und pluralistische Gesellschaft einsetze, habe ich eine Sympathie für den Kritischen Rationalismus, ohne deshalb mit allem Auffassungen übereinzustimmen, die von seinen Exponenten vertreten werden. Philosophie soll alle Erkenntnisanstrengungen der Menschen sichten und aus ihnen ein Gesamtbild erstellen. Philosophieren muss nach meiner Überzeugung die aktuellen Erkenntnisse der Naturwissenschaften berücksichtigen, ohne diese als ontologische Wahrheiten letzter Instanz anzusehen. Zurück zum Text

Anm. 4: Nach der vorherrschenden Lehrmeinung wirken die Umweltfaktoren nur selektierend, nicht gestaltend. Die Entstehung immer komplexerer Strukturen, die Entstehung von Zellen, Zellenverbänden, Körpern, Gehirnen als einen Prozess von Zufällen anzusehen, ist für mich Wunderglaube. Ich kenne Ditfurths Buch Der Geist fiel nicht vom Himmel und das darin enthaltene Kapitel Die Entstehungsgeschichte des Auges. Trotz aller Hinweise auf die Anforderungen der Umwelt an ein Individuum lässt sich die Entstehung des Auges daraus allein nicht erklären. Hier folge ich den Argumenten  Henri Bergsons. Ditfurths Argumente sind widersprüchlich. In dem eben erwähnten Kapitel argumentiert er mit dem Evolutionsdruck, an anderen Stellen seiner Schriften weist er auf die in der Welt vorhandenen Vernunft hin, z. B. zu Beginn seiner Schrift  Im Anfang war der Wasserstoff. Dazu ein Zitat des bedeutenden amerikanischen Biologen Edwin Conklin (1863–1952) »Die Entstehung des Lebens auf der Erde mit dem Zufall erklären heißt, von der Explosion einer Druckerei das Zustandekommen eines Lexikons zu erwarten.« Zurück zum Text

Anm. 5: Ich behaupte nicht, dass der mir gegenüber befindliche Computermonitor um seine Existenz weiß. Aber ich weiß in meinem unmittelbaren Erleben von der Existenz des Monitors dort, wo der Monitor ist. Außerhalb meines Kopfes. Damit will ich nicht naturwissenschaftliche Erklärungen über das Gehirn ignorieren. Aber diese Erklärungen sind in letzter Instanz Vermutungen. Meine subjektiven Erlebnisse sind dagegen unbezweifelbar. Die um mich herum existierenden materiellen Dinge erlebe ich – vor aller Erklärung – unmittelbar als außerhalb von mir gelegenes Bewusstsein. Auch Russell sieht es so, dass im unmittelbaren Erleben Bewusstseinsinhalt und Sache zusammenfallen. Sehen Sie dazu auch  Husserl: »Zurück zu den Sachen!« Nach dem gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Erkenntnisstand ist die Welt, die wir erleben, nicht die von uns unabhängig existierende Welt, sondern unser Bild, dass wir uns auf Basis von Sinnesdaten und der angeborenen wie erworbenen Arbeitsweisen unseres Gehirns in unserem Bewusstsein von dieser Welt machen. Und das im Bewusstsein erstellte Bild von der Welt ist – wie sollte es anders sein? – zur Gänze Bewusstsein. Und was hinter diesem Bewusstsein steckt, darüber scheinen wir keine Gewissheit haben zu können. Dass es unabhängig vom Bewusstsein materielle Dinge gibt, ist für den Alltagsverstand und den  Materialismus selbstverständlich. Für einen kritischen Menschen kann es nur eine  Hypothese sein. Zurück zum Text

Anm. 6: Es wäre naiv, wenn ich annehmen würde, dass unter den Milliarden Menschen die leben und schon gelebt haben, ausgerechnet ich derjenige sein sollte, der in allen Punkte die richtigen Auffassungen hat. Toleranz, Pluralität ist für mich nicht eine Frage der Höflichkeit, sondern der Klugheit. »Toleranz ist der Verdacht, dass der andere Recht hat.« Kurt TucholskyZurück zum Text


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