Dogmatismus


Kurzbeschreibung des Dogmatismus

Der Begriff »Dogmatismus« (von Dogma) bezeichnet die Einstellung, dass es bestimmte unbezweifelbar sichere Auffassungen und Aussagen gibt.

Mit dieser Einstellung ist oft die Vorstellung verbunden, dass diese grundsätzlichen Auffassungen und Aussagen nicht beweisbar sind und auch nicht bewiesen werden müssen.

Gelegtlich wird auch angenommen, dass diese Auffassungen und Aussagen nicht von allen Menschen begreifbar sind.

Der Dogmatismus entzieht sich jeglicher Kritik und hält – was auch immer Andere sagen, was auch immer an Entwicklungen ablaufen mögen – unbeirrbar an den vermeidlich richtigen Auffassungen fest.

Häufig – aber keineswegs immer – sind sich Vertreter von dogmatisierten Auffassungen nicht darüber bewusst, Dogmatiker zu sein. Oft bestreiten sie dies mit aller Entschiedenheit.

In der Philosophie war Dogmatismus über lange Zeit hinweg einfach nur der Gegensatz zu Skeptizismus, d. h. zur Auffassung, dass es eben keine unbezweifelbaren Auffassungen bzw. Aussagen gibt.

Paradoxon des Antidogmatismus: Ein konsequenter Antidogmatismus kann selbst zum Dogma werden und sich somit aufheben. (Sehen Sie hierzu  Skeptizismus.)

Für Kant war Dogmatismus eine Philosophie, in der das menschliche Erkenntnisvermögen nicht kritisch überprüft wurde, in der man ohne Zuhilfenahme der Erfahrung bzw. Empirie aus reinen Begriffen sicheres Wissen glaubte herleiten zu können. Rationalismus und Metaphysik sind für Kant dogmatisch.


Fanatismus

Eine besonders gefährliche Form des Dogmatismus ist der Fanatismus. Zum Dogmatismus tritt hier ein unduldsamer, kompromissloser blinder Eifer hinzu. Der Dogmatiker wird zum gemeingefährlichen Psychopathen. Dogmatiker werden aber oft schon Fanatiker genannt, wenn ihr Dogmatimus besonders ausgeprägt oder exponiert ist, ohne dass die Raserei schon hinzugetreten ist.


Meine Auffassung vom bzw. zum Dogmatismus

Dogmatismus ist für mich in erster Linie ein psychologischer Begriff. Er bezeichnet eine gewisse psychische Verfassung und eine daraus resultierende Verhaltensweise. Was dort zum Dogma erhoben wird, ist sekundär. Der Dogmatiker ist der Überzeugung: »Ich habe recht. Das ist außerhalb jeden Zweifels. Und der Andersdenkende hat unrecht. Und wenn der Andersdenkende sich bemüht und guten Willen hat, dann kann er vielleicht die Wahrheit, die ich bereits besitze, begreifen.« (Im Unterschied dazu sagt der Anti-Dogmatiker Karl Popper: »Ich mag unrecht haben und Du magst recht haben; und wenn wir uns bemühen, dann können wir zusammen vielleicht der Wahrheit etwas näher kommen.«)

Wer die Wahrheit, die der Dogmatiker zu haben glaubt – bzw. seine politische, religiöse, kulturelle etc. Gruppe –, nicht teilt, ist entweder dumm oder böse. Den Dummen hat man die Wahrheit einfach noch nicht gesagt oder sie sind nicht in der Lage, sie zu verstehen, weil sie durch individuelle Beschränktheit oder ihre Lebensumstände daran gehindert sind. Die Bösen wollen die Wahrheit nicht verstehen, weil sie von niederen Motiven geleitet werden. Für politische Dogmatiker sind sie in der Regel Interessensertreter feindlicher Klassen oder Völker, Rassen etc. oder sie sind nur an ihrem persönlichen Wohlergehen, Karriere etc. interessiert. (Oder sie sind einfach nur verbockt, verbiestert. Oder sie haben »dem ideologischen Druck der Bourgeoisie nicht standgehalten«.) Für religiöse Dogmatiker sind sie Instrumente des Teufels oder der Teufel selbst. [1]

Kritiker der eigenen Auffassungen werden von Dogmatikern häufig einfach ignoriert. »Die werden es schon noch merken. Die weitere Entwicklung wird uns recht geben.«

Wenn Dogmatiker mit Andersdenkenden diskutieren, dann um denen die richtigen Auffassungen zu vermitteln, nicht um selbst dabei zu lernen. Denn alles Wichtige hat man ja bereits richtig erkannt. Die Lernfähigkeit und Lernbereitschaft ist bei Dogmatikern extrem herabgesetzt. Lediglich auf Basis der Wahrheiten, die man bereits zu besitzen glaubt, lernt man noch dazu. Bestenfalls quälend langsam trennt man sich von liebgewordenen aber nicht mehr haltbaren Auffassungen, aber nicht ohne vorher noch die Kritiker dieser Auffassungen im Rahmen seiner Möglichkeiten (zumindest verbal) fertiggemacht zu haben.

Dass Tausende von anderen Gruppen und Grüppchen ebenfalls glauben, die alleinige Wahrheit zu besitzen, ist dem Dogmatiker entweder gar nicht bekannt, oder er weiß es zwar, glaubt aber, dass die eigene Gruppe eben die Wahrheit hat und die anderen Gruppen nicht. (Sehen Sie hierzu auch Dummheit.) [2]

Eine oft anzutreffende Vorgehensweise von Dogmatikern verschiedener Schattierungen ist auch, von ihnen oder ihren Vorgängern gemachte Aussagen neu zu interpretieren, wenn sie allzusehr der Logik, der Plausibilität, den Tatsachen bzw. den Entwicklungen (z. B. der Gesellschaft, der Wissenschaften usw.) entgegenstehen. Das kann dazu führen, dass man sich in noch größere Widersprüche verstrickt, die Behauptungen noch absurder werden, nur noch im Rahmen der Verteidigung der Aussagen nachvollziehbar sind, bzw. einen Sinn ergeben. Das kann aber auch dazu führen, dass am Ende nur noch Wörter oder Sätze »gerettet« werden, aber nicht die Inhalte, die ursprünglich mal mit diesen Wörtern und Sätzen verbunden waren. Man gibt seine Auffassungen faktisch auf, ohne sich dessen bewusst zu sein, ohne sich das eingestehen zu wollen. [3]


Zitate zu Dogmatismus und Fanatismus

Wilhelm Busch:
»Seine Meinung ist die rechte,
Wenn er spricht, müsst ihr verstummen,
Sonst erklärt er euch für Schlechte
Oder nennt euch gar die Dummen.
Leider sind dergleichen Strolche
Keine seltene Erscheinung.
Wer nicht taub, der meidet solche
Ritter von der eignen Meinung.«

Denis Diderot: »Von der Philosophie zur Gottlosigkeit ist es eben so weit als von der Religion zum Fanatismus, aber vom Fanatismus zur Barbarei ist es nur ein Schritt.«

Marie von Ebner-Eschenbach: »Geistlose kann man nicht begeistern, aber fanatisieren kann man sie.«

Ernst von Feuchtersleben: »Es kommt weniger darauf an, was als wie man weiß.« [Dogmatisch oder skeptisch.]

Ludwig Feuerbach: »Das Dogma ist nicht anderes als ein ausdrückliches Verbot, zu denken

Fichte: »Der Dogmatismus ist gänzlich unfähig, zu erklären, was er zu erklären hat, und dies entscheidet über seine Untauglichkeit.« »Aller Fanatismus und alle wütende Äußerung desselben ist vom Anfange der Welt an, bis auf diesen Tag, ausgegangen von dem Prinzip: wenn die Gegner recht hätten, so wäre ich ja ein armseliger Mensch.«

Freud: »Den Wahn erkennt natürlich niemals, wer ihn selbst noch teilt.« »Fanatiker, Leute, die imstande sind, ihre Beschränktheit feierlich ernst zu nehmen, vertrage ich nicht.«

Friedrich der Große: »Man müsste es dahin bringen, dass sich alle Menschen des Fanatismus und der Intoleranz schämen.« »Wenn die Vernunft häufiger ihre Stimme gegen den Fanatismus erhebt, dann kann sie die künftige Generation vielleicht toleranter machen, als die gegenwärtige ist; und dann wäre schon viel gewonnen.«

Goethe: »Nun aber wird aller Dogmatismus der Welt am Ende lästig besonders, wenn neue Generationen eintreten, die doch auch was vorstellen wollen.« »Vier Epochen der Wissenschaften. Kindliche: poetische, abergläubische. Empirische: forschende, neugierige. Dogmatische: didaktische, pedantische. Ideelle: Methodische, mystische

Hegel: »Der Dogmatismus der Denkungsart im Wissen und im Studium der Philosophie ist nichts anderes als die Meinung, dass das Wahre in einem Satze, der ein festes Resultat oder auch der unmittelbar gewusst wird, bestehe.«

Heinrich Heine: »Rom wollte immer herrschen, und als seine Legionen fielen, sandte es Dogmen in die Provinzen.«

Carl Gustav Jung: »Zur Abwehr der Zweifel wird die bewusste Einstellung fanatisch, denn Fanatismus ist nichts anderes als überkompensierter Zweifel.«

Hans Kasper: »Mit Fanatikern zu diskutieren heißt, mit einer gegnerischen Mannschaft Tauziehen spielen, die ihr Seilende um einen dicken Baum geschlungen hat.«

Herbert von Karajan: »Der Fanatismus ist die hochexplosive Mischung von Engstirnigkeit und Energie

Otto von Leixner: »Das Dogma, d. h. ein Glaubenssatz kann ein Heim des Gedankens sein, aber auch sein Gefängnis. Ein gefangener Gedanke verliert aber seine Kraft, oder er entflieht.«

Cesare Lombroso: »Der Fanatismus schafft auch bei ganz ungebildeten Leuten oft eine bedeutende Beredsamkeit und gibt ihren Äußerungen oft eine bemerkenswerte, formelle rednerische Form.«

Niklas Luhmann: »Ein Beobachter kann nicht sehen,was er nicht sehen kann. Er kann auch nicht sehen, dass er nicht sehen kann, was er nicht sehen kann.« [Durch kritisches Denken kann man zur Erkenntnis gelangen, dass man vieles nicht sehen kann. Aber Dogmatiker bringen ein solches kritischen Denken bezogen auf ihre Dogmen nicht auf.]

Rosa Luxemburg: »Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der Gerechtigkeit, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die Freiheit zum Privilegium wird.«

Ludwig Marcuse: »Wer nichts weiß, ist nicht so beschränkt wie der, welcher eingeschlossen in ein Gedankenkorsett, keine Erfahrungen mehr macht.«

Guy de Maupassant: »Nationalismus ist Dogmatismus. Er ist das Basiliskenei, aus dem die Drachenbrut der Kriege hervorschlüpft.«

Nietzsche: »Vorausgesetzt, dass die Wahrheit ein Weib ist –, wie? Ist der Verdacht nicht gegründet, dass alle Philosophen, sofern sie Dogmatiker waren, sich schlecht auf Weiber verstanden?« [Einschließlich ihm selbst!] »Dass der schauerliche Ernst, die linkische Zudringlichkeit, mit der sie bisher auf die Wahrheit zuzugehen pflegten, ungeschickte und unschickliche Mittel waren, um gerade ein Frauenzimmer für sich einzunehmen? Gewiss ist, dass sie sich nicht hat einnehmen lassen: – und jede Art Dogmatik steht heute mit betrübter und mutloser Haltung da. Wenn sie überhaupt noch steht! Denn es gibt Spötter, welche behaupten, sie sei gefallen, alle Dogmatik liege zu Boden, mehr noch, alle Dogmatik liege in den letzten Zügen.« [Der späte Nietzsche war selber Dogmatiker.] »Der Fanatismus ist nämlich die einzige ›Willensstärke‹, zu der auch die Schwachen und Unsicheren gebracht werden können.«

Pyrrhon von Elis: »Dogmatismus ist ein Charakterfehler.«

Rousseau: »Der Fanatismus, obwohl schon blutdürstig und grausam, ist dennoch eine große und starke Leidenschaft, welche das Herz des Menschen erhebt und Todesverachtung lehrt; sie gibt ihm eine wunderbare Kraft, welche man nur besser leiten muss, um daraus die erhabensten Tugenden zu ziehen.« [Diese Aussage passt zu Rousseau. Sie hätte auch von Lenin oder ähnlichen revolutionären Wirrköpfen sein können. Den Fanatismus der dummen Massen für die fixe Idee eines Revolutionärs einsetzen. Am Ende bleiben dann Leichenberge und Ruinen.]

Russell: »Das Wesen der liberalen Anschauungsweise liegt nicht so sehr in den Meinungen, die vertreten werden, als in der Art und Weise, wie sie vertreten werden. Nicht dogmatisch, sondern mit dem Bewusstsein, dass neues Beweismaterial zu ihrer Aufgabe führen kann.«

Schiller: »Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, // Verderblich ist des Tigers Zahn, // Jedoch der schrecklichste der Schrecken, // Das ist der Mensch in seinem Wahn.«

Arthur Schnitzler: »Der Weg vom religiösen Gefühl zum Dogma ist unendliche Male weiter als der vom Dogma zum religiösen Wahnsinn.«

Schopenhauer: »Die Dogmen wechseln, und unser Wissen ist trüglich; ...«

Bernd Senf: »Die [...] Wissenschaft, ursprünglich einmal angetreten gegen kirchlichen Dogmatismus, ist längst selbst zu einem neuen Glaubenssystem verkommen, das von neuen Schriftgelehrten gepredigt und von weiten Teilen der Öffentlichkeit nachgebetet wird.«

Leo Tolstoi: »Erinnere mich daran, wie oft ich früher mit religiösen Dogmatikern gestritten habe ... Mit solchen Leuten kann man nicht diskutieren, man kann ihnen Nachsicht angedeihen lassen, sie bedauern, zu heilen versuchen, aber man muss sie als Geisteskranke betrachten und darf mit ihnen nicht streiten.«

Friedrich Theodor von Vischer: »Es ist etwas Schlimmes um alle Art von Fanatismus, er erstickt das allgemeine Menschengefühl.«

Swami Vivekananda: »Fanatiker sind ehrlich überzeugte Menschen, aber gleich anderen Geisteskranken in dieser Welt nicht zurechnungsfähig. Fanatismus ist eine der gefährlichsten Krankheiten. Er weckt alles Böse in der menschlichen Natur. Er reizt den Menschen auf zu Zorn und Hass und verwandelt ihn in einen Tiger.«

Voltaire: »Bedenkt, dass Fanatiker gefährlicher sind als Schurken. Einen Besessenen kann man niemals zur Vernunft bringen, einen Schurken wohl.« »Der Fanatismus ist für den Aberglauben, was das Delirium für das Fieber, was die Raserei für den Zorn.« »Der Fanatismus ist sehr rasch bei der Hand, immer, wenn er sich ein bisschen gekratzt fühlt. Dieses Scheusal hat Angst vor der Vernunft, wie die Schlangen vor den Störchen.« »Je weniger Dogma, desto weniger Streit; je weniger Streit, desto weniger Unglück.«

Otto Weiss: »Religiöser Fanatismus schwächt zwar den Geist, verhärtet aber das Herz.«

Richard von Weizsäcker: »Es ist wichtiger, auf einem Pfad gemeinsamer Unsicherheit ethisch zu handeln, als endlose dogmatische Kämpfe um vermeintlich endgültige Wahrheiten zu führen.«


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Anmerkungen

Anm. 1: Für politische Dogmatiker gibt es noch eine dritte Gruppe, Menschen die unter einer gewissen Form von Dummheit »leiden«, diejenigen nämlich, die psychisch nicht ganz in Ordnung sind. Das fängt mit harmlosen Dingen an: »Er vertritt eine andere Meinung aus Oppositionshobby.« »Er gefällt sich in seiner Märtyrerrolle.« »Er betreibt Selbstbefriedigung.« [Solche Vorwürfe habe ich selbst mal zu hören bekommen. Von Kommunisten.] In schwereren Fällen ist der Mensch geisteskrank und kommt in die Psychiatrie. Das ist in der Sowjetunion tatsächlich passiert. Für einige religiöse Dogmatiker gibt es weitere Gruppen: So können Menschen z. B. durch ihr  Karma daran gehindert sein, die Wahrheit bzw. den richtigen Weg zu erkennen. Oder – eine besonders widerwärtige Auffassung – es gibt Menschen, die einfach nicht Teil haben an der göttlichen Gnade. Was auch immer sie tun, sie sind von vornherein für die ewige Verdammnis prädestiniert. ( Augustinus,  Calvin.) Zurück zum Text

Anm. 2: Im täglichen Leben sagt man hin und wieder mal: »Der ist nicht ganz dicht!« Tatsächlich sind die Menschen ein Problem, die dicht sind. Die zu sind. In die nichts neues mehr reingeht. Die nur noch ihren Glauben vortragen können, die unfähig sind, den eigenen Standpunkt noch kritisch zu hinterfragen. Dummheit ist eine Krankheit, die nicht dem wehtut, der von ihr betroffen ist. Sie tut seinen Mitmenschen weh. Zurück zum Text

Anm. 3: Beispiele dafür sind, dass  Lenin den  Materialismus dadurch zu retten glaubte, in dem er alles (mit Ausnahme des menschlichen Bewusstseins) Materie nannte. Den Glauben an Gott versuchen einige dadurch zu retten, dass sie das Sein als Ganzes mit Gott gleichsetzen. (Näheres unter  Kritik des ontologischen Gottesbeweises.) Da die in einigen Religionen behauptete Allmächtigkeit, Allwissenheit und Allgüte Gottes mit dem Zustand und der Funktionsweise der Welt offensichtlich nicht vereinbar ist, versuchen einige Menschen diese Behauptungen dadurch zu retten, dass sie die Begriffe Allmächtigkeit, Allwissenheit und/oder Allgüte neu bestimmen. Dadurch, dass diese Wörter eine neue Bedeutung bekommen, retten sie aber eben nur diese Wörter, nicht die ursprünglichen Glaubensinhalte. Zurück zum Text


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