»Werd ich zum Augenblicke sagen: |
Johann Wolfgang von Goethe (17491832) war ein bedeutender oder auch der bedeutendste deutsche Dichter und Schriftsteller. Er war dazu Jurist, Naturwissenschaftler, Kunsttheoretiker, Beamter und Staatsmann. Er gilt als eine der hervorragensten Personen der Weltliteratur.
Goethe war kein Philosoph aber in seinen Schriften finden sich viele philosophische Aussagen. Dabei ist bei ihm das Gefühl wichtiger als der Verstand. Philosophie und seine Art Religion sind bei ihm nicht trennbar.
Die Aussagen Goethes sind so weit gefächert, das Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen bei ihm etwas finden können, was ihnen gefällt.
Goethe lebte zur Zeit der Aufklärung, blieb aber selbst weitgehend voraufklärerisch. Nationalisten und Feinde der Demokratie haben ihn für sich vereinnahmen können. Für religiöse Dogmatiker war er ein Heide. Aber jeder, der sich etwas vom Buchstabenglauben entfernte, konnte Goethe als großen Verteidiger und große Stütze der Religion und des Gottesglauben ansehen.
Mit Goethes Bedeutung als Literat und Dichter beschäftige ich mich hier nicht näher. Das ist nicht mein Gebiet. Auch wann er sich wo aufhielt und welche Frau(en) er gerade liebte interessiert mich nicht. Es geht hier um seine philosophischen Auffassungen.
Für Goethe war Religion und Philosophie beides scheint bei ihm untrennbar verbunden, wenn nicht das Gleiche eine Sache des Gefühls, nicht des Denkens. Goethe wollte heilige Scheu und Ehrfurcht vor dem Ewigen, dem Geheimnis, dem Unerforschlichen. Hier helfe nur Respekt und Anerkennung.
Goethe wendete sich gegen jede rationale Bestimmung und Deutung der religiösen Erlebnisse und des religiösen Glaubens. Er war damit gegen den Deismus. Auch mit seiner Auffassung, Gott habe die Welt nicht einmal geschaffen und sie daraufhin allein gelassen. Im Gegenteil: Gott sei fortwährend wirksam.
Pantheismus: Goethe hat sich eindeutig zu Spinoza bekannt. Materie und Geist sind für ihn zwei Seiten einer einheitlichen, ewigen Gott-Natur, die im Menschen zum Bewusstsein ihrer selbst kommt. (Hegel: »Der Mensch weiß von Gott in dem Sinne, dass Gott im Menschen von sich selber weiß.«).
Goethe verbindet diesen Pantheismus mit dem »Lieben Gott« der christlichen Religion. Der mit der Natur identische Gott ist für Goethe nicht nur Wille und Vernunft, sondern auch Güte und Liebe. Und deshalb sieht er in der Welt eine Ordnungsmacht der Schönheit und eine unergründliche und unermessliche Liebe. (Meine Kritik dazu und auch zu den folgenden Absätzen weiter unten.)
Da alles Gott sei, sei auch Niedrigkeit und Armut, Spott und Verachtung, Schmach und Elend, Leiden und Tod göttlich. »Wie es auch sei, das Leben ist gut.«
Goethe entwickelte mystische und pansophische Vorstellungen. Er sagte als Dichter und Künstler sei er Polytheist, als Naturforscher Pantheist. Und das Eine so entschieden wie das Andere
Goethe glaubte, in der Natur jedes lebendigen Wesen sei so viel Heilungskraft, dass es sich selbst kurieren könne. Und er sagt dann, was sind die tausendfältigen Religionen denn anders als tausendfache Äußerungen dieser Heilungskraft.
Goethe meinte, die allgemeine, natürliche Religion bedürfe keines Glaubens, da sich jedem die Überzeugung aufdränge, dass sich hinter der Natur ein schöpferisches, ordnendes und leitendes Wesen verberge, um sich uns auf diese Weise zu zeigen. Deshalb habe jeder seine eigene Religion.
Goethes Freiheitsvorstellung: »Der Bürger ist so frei wie der Adelige, sobald er sich in den Grenzen hält, die ihm von Gott durch seinen Stand, worin er geboren, angewiesen.« »Nicht das macht frei, dass wir nichts über uns anerkennen wollen, sondern eben, dass wir etwas verehren, das über uns ist. Denn indem wir es verehren, heben wir uns zu ihm hinauf.«
Goethes Gleichheitsvorstellung: »Die Gleichheit will ich in der Gesellschaft finden; die Freiheit, nämlich die sittliche, dass ich mich subordinieren mag, bringe ich mit.«
Andererseits sagt er wieder, die hohe reich dotierte Geistlichkeit fürchtet nichts mehr als die Aufklärung der unteren Massen.
Die Göttlichkeit des Menschen bestand für Goethe nicht in Vernunft, sondern in Humanität. Ein Mensch, der sein Leben selbst bestimme, aber immer in Übereinstimmung mit dem, was über ihm sei.
Nach Goethe ist es natürlich, dass der Mensch sich als das Ziel der Schöpfung betrachte und alle übrigen Dinge nur in Bezug auf sich sehe, inwieweit sie ihm dienen und nützen.
»Das einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und des Glaubens.«
Denken, Wissen, Bildung, Humanität und Menschenwürde vereinigen sich bei Goethe zum Glauben an eine zwar nicht ungefährdete, aber stetige Höherentwicklung der Menschheit.
Goethe glaubte an die Wiedergeburt. Er war überzeugt schon tausend mal hier gewesen zu sein und er hoffte noch tausendmal wiederzukommen.
»Lange habe ich mich gesträubt,
endlich gab ich nach,
wenn der alte Mensch zerstäubt,
wird der neue wach.«
»Denn so lang du das nicht hast,
Dieses Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.«
Im Faust befinden sich in literarischer Form viele interessante philosophische Aussagen. Eine davon habe ich mir als Motto für das philolex gewählt:
Ein paar weitere Sätze: (Wollte ich alle philosophisch interessanten Stellen besprechen, könnte ich beinahe 50% des Textes referieren.)
»Gewisse Bücher scheinen geschrieben zu sein, nicht damit man daraus lerne, sondern damit man wisse, dass der Verfasser etwas gewusst hat.« [Ich weiß aus vielen Mails, dass dies für meine »Bücher« nicht zutrifft.]
»Derjenige, der sich mit Einsicht für beschränkt erklärt, ist der Vollkommenheit am nächsten.«
»Der Irrtum ist recht gut, solange wir jung sind; man muss ihn nur nicht mit ins Alter schleppen.«
»Jeder hat etwas in seiner Natur, wenn er es öffentlich ausspräche, Missfallen erregen müsste.« [Ich auch.]
»Wenn verständige, sinnige Personen im Alter die Wissenschaft geringschätzen, so kommt es nur daher, dass sie von ihr und von sich zu viel gefordert haben.«
»Der Irrtum ist viel leichter zu erkennen, als die Wahrheit zu finden; [Popper] jener liegt auf der Oberfläche, damit lässt sich wohl fertig werden; diese ruht in der Tiefe, danach zu forschen ist nicht jedermanns Sache.«
»Das Wahre ist eine Fackel, aber eine ungeheuere; deswegen suchen wir alle nur blinzend so daran vorbeizukommen, in Furcht sogar, uns zu verbrennen.«
»Eigentlich weiß man nur, wenn man wenig weiß. mit dem Wissen wächst der Zweifel«
»Feiwillige Abhängigkeit ist der schönste Zustand, und wie wäre der möglich ohne Liebe!«
»Tief und ernstlich denkende Menschen haben gegen das Publikum einen bösen Stand.«
»Jedem Alter des Menschen antwortet eine gewisse Philosophie. Das Kind erscheint als Realist; denn es findet sich so überzeugt von dem Dasein der Birnen und Äpfel als von dem seinigen. Der Jüngling, von inneren Leidenschaften bestürmt, muss auf sich selbst merken, sich vorfühlen; er wird zum Idealisten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu werden, hat der Mann alle Ursache; er tut wohl, zu zweifeln, ob das Mittel, das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im Handeln hat er alle Ursache, den Verstand beweglich zu erhalten, damit er nicht nachher sich über eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis wird sich jedoch immer zum Mystizismus bekennen. Er sieht, das so vieles vom Zufall abzuhängen scheint: das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück und Unglück stellen sich unerwartet ins gleiche; so ist es, so war es, und das hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war und der da sein wird.« [Es gibt reflektierende, philosophierende Menschen, die durchlaufen diese verschiedenen Phasen unabhängig von ihrem Alter in wenigen Jahren. Zum Beispiel ich ;-)]
»Wir sind naturforschend Pantheisten, dichtend Polytheisten, sittlich Monotheisten.«
»Gesetzgeber oder Revolutionärs, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Charlatans.«
»Jede Revolution geht auf Naturzustand hinaus, Gesetz- und Schamlosigkeit. (Pikarden, Wiedertäufer, Sanculotten.).«
»Fehler der sogenannten Aufklärung: dass sie Menschen Vielseitigkeit gibt, deren einseitige Lage man nicht ändern kann.«
»Nach Pressfreiheit schreit niemand, als wer sie missbrauchen will.«
»Das Publikum will wie Frauenzimmer behandelt sein; man soll ihnen durchaus nichts sagen, als was sie hören wollen.«
»Man hat sich lange mit der Kritik der Vernunft beschäftigt; ich wünschte eine Kritik des Menschenverstandes. Es wäre eine wahre Wohltat fürs Menschengeschlecht, wenn man dem Gemeinverstand bis zur Überzeugung nachweisen könnte, wie weit er reichen kann, und das ist gerade soviel, als er zum Erdenleben vollkommen bedarf.«
Es gibt eine riesige Menge von Goethe-Zitaten. Ich führe hier die auf, die mir besonders gefallen. Die Zitate Goethes, wo er meiner Ansicht nach falsch liegt, führe ich hier nicht auf.
»Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkel unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.«
(Dies Zitat wählte Jostein Gaarder als einleitendes Motto seines Romans Sofies Welt.)
»In Bibliotheken fühlt man sich wie in der Gegenwart eines großen Kapitals, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet.«
»Erfahrung ist fast immer eine Parodie auf die Idee.«
»Halte immer an der Gegenwart fest. Jeder Zustand, ja jeder Augenblick ist von unendlichem Wert, denn er ist der Repräsentant einer ganzen Ewigkeit.« [Wir sind immer in der Gegenwart. Nur sie hat subjektive Realität.]
»Gerne der Zeiten gedenk' ich, da alle Glieder gelenkig bis auf eins. Doch die Zeiten sind vorüber, steif geworden alle Glieder bis auf eins.«
»Ironie ist das Körnchen Salz, das das Aufgetischte überhaupt erst genießbar macht.«
»Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen.«
»Gegner glauben uns zu widerlegen, wenn sie ihre Meinung wiederholen und auf die unsrige nicht achten.«
»Missverständnisse und Trägheit machen vielleicht mehr Irrungen in der Welt als List und Bosheit.«
»Der Patriotismus verdirbt die Geschichte.«
»Jede Lösung eines Problems ist ein neues Problem.«
»Wir erschrecken über unsere eigenen Sünden, wenn wir sie an anderen erblicken.«
»Es hört doch jeder nur, was er versteht.« [Erkenntnisvermögen ist Schaffensvermögen. Wir konstruieren, was wir verstehen. Aber nicht losgelöst von objektiven Umständen.]
»Das Gleiche lässt uns in Ruhe, aber der Widerspruch ist es, der uns produktiv macht.«
»Es ist nicht genug zu wissen man muss auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen man muss auch tun .«
»Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was Denken lassen..«
Ich schätze Goethe sehr wegen seiner pantheistischen Grundeinstellung und den vielen weiteren Einsichten in seinen Texten. Ich zitiere ihn gern. Aber seine Äußerungen zu Religion und Philosophie sind so vielfältig und zum Teil widersprüchlich, dass auch Menschen, die ganz andere Grundpositionen haben als ich, in seinen vielen Texten Zitaten für ihre Auffassungen finden können.
Es gibt bei Goethe kein vernünftiges Abwägen. Seine Aussagen sind widersprüchlich und können deshalb nicht alle wahr sein. Er hatte keine Erkenntnistheorie und seine Auffassungen zum Pantheismus und zur Wiedergeburt entspringen seinem Wunschdenken. Neben den skeptizistischen Äußerungen gibt es auch solche, wo unkritischer Glaube zum Vorschein kommt.
So hat er zwar bestimmte Formen von Frömmelei, Aberglauben, Dogmatismus etc. abgelehnt, aber einen kritischen Standpunkt der Religion und dem Christentum insgesamt gegenüber hat er nicht aufgebracht. Er blieb voraufklärerisch.
Die Behauptung, der Glaube dränge sich jedem auf, ist falsch. Es gibt viele ernstzunehmende Wissenschaftler und Philosophen, denen sich kein Glaube aufdrängt. Es gibt viele Menschen, die haben keine Religion.
Wenn Gott ein »Lieber« Gott ist und fortwährend am Wirken ist, wieso ist dann soviel Dummes und Grausames in der Welt? Wille und Vernunft sehe ich. Aber Liebe und Güte entsteht erst auf bestimmten Entwicklungsstufen. Einen Satz wie »Wie es auch sei, das Leben ist gut.« kann ich nicht unterstützen.
Bei seiner Aussage über die Selbstheilungskräfte lebendiger Wesen gehen Natur, lebendige Wesen und Religion in einander über. Leider gibt es viele Krankheiten, die der Körper nicht allein heilt. Entsprechende Äußerungen Goethes werden von einigen Menschen so ausgelegt, dass der Mensch sich nur auf seine inneren Heilungskräfte konzentrieren muss, um z. B. den Krebs zu heilen. Viele Menschen, die sich darauf einließen und auf Operation oder Chemotherapie verzichteten, sind vermeidbarer Weise gestorben.
Goethe hatte eine zu starke Nähe zu den Fürsten, zu den Herrschenden. Demokratisch und sozial war er nicht. Die meisten Menschen konnten zu seinen Zeiten nicht lesen und schreiben und waren von aller höheren Kultur ausgeschlossen. Sie bildeten nur den Nährstand, auf deren Basis Adel und Bürgertum entweder materiell-luxuriös oder kulturell-bildungsmäßig ein schönes Leben führen konnten. Goethe schien damit keine Probleme zu haben.
Seine Freiheitsvorstellung konsequent zuende gedacht bedeutet: Die Freiheit des Proletariers, des Sklavens ist so groß wie die des Fürstens, solange er das tut, wozu Gott ihn bestimmt hat: Für die Fürsten und Goethe zu schuften, damit die ein schönes Leben voller schöner Kultur haben.
Nach Goethe muss ich den Kaiser oder auch den Großkapitalisten nur verehren, dann hebe ich mich zu ihm hinauf. Aber seine privilegierten Lebensbedingungen habe ich dadurch nicht. Und seine Macht über mich bleibt bestehen.
Nach Goethe sollen wir ständig gläubig und verehrungswürdig zu etwas hinaufblicken, das uns die Grenzen vorgibt, innerhalb derer wir frei sein dürfen. Hunde sind so! Einer der Gründe, warum ich Katzen lieber mag.
Für mich ist es eine katastrophale Vorstellung, dass der Mensch Ziel der Schöpfung, oder naturwissenschaftlich ausgedrückt, das höchstmögliche Wesen ist, das die Evolution hervorbringen kann. Sehen Sie hierzu bitte meinen Aufsatz Über die Notwendigkeit der Entstehung höherer Arten.Anmerkungen
Zikaden sind käferartige Insekten, häufig mit Sprungbeinen. Die Männchen haben Trommelorgane, um die Weibchen anzulocken. Zurück zum Text