Peter Möller

Über die negative Seite des Menschen

Menschliches Fühlen und Verhalten geht aus mindestens fünf analytisch trennbaren Komponenten hervor:

  1. Seine Natur
  2. Seine Sozialisation
  3. Seine Psyche (Bewusstsein und Unbewusstsein) [1]
  4. Seine Lebensumstände
  5. Seine Vernunft und Willensfreiheit

Wer eine dieser fünf Komponenten vernachlässigt, hat ein unvollständiges Menschenbild.

Nun habe ich in Diskussionen häufig die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen von der Natur des Menschen eine zu positive Vorstellung haben und/oder bei der Entwicklung politischer Strategien die Natur des Menschen als eine zu vernachlässigende Größe ansehen.

Ich fühle mich deshalb dazu veranlasst, einmal auf einige negative Aspekte des Menschen hinzuweisen. Nicht weil ich nun ein einseitig negatives Bild vom Menschen zeichnen will, sondern weil ein einseitig positives Menschenbild zu persönlichen wie politisch/gesellschaftlichen Strategien führen kann, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind. (Das letzte Beispiel dafür ist der Untergang des Sozialismus in Osteuropa.)

Ich erhebe nicht den Anspruch in diesem Aufsatz eine umfassende Darstellung des Menschen zu geben. Es werden hier lediglich einige Aspekte des Menschen aufgezeigt, die man bei der Beurteilung des Menschen in Rechnung stellen sollte.

Das Programm, nach dem der Mensch funktioniert, ist, was seine natürliche Seite anbetrifft, über Jahrmillionen hinweg von der Natur »geschrieben« worden und in unseren Genen abgespeichert. (Sehen Sie hierzu auch Darwin.)

Unsere menschlichen und tierischen Vorfahren unterlagen über zig Millionen Jahre hinweg den Evolutionsgesetzen. In dieser Zeit mussten sich mit Notwendigkeit bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen herausbilden, die früher für das Überleben des Einzelnen wie der Gattung notwendig waren, heute dagegen, zumindest zum Teil, dem Überleben der menschlichen Gattung eher entgegen stehen. [2]

Wenn wir erfahren wollen, wie unsere tierischen und steinzeitlichen Vorfahren lebten, wie sie fühlten und sich verhielten, dann gibt es, wie ich es sehe, vier Quellen, aus denen wir Erkenntnisse schöpfen können:

  1. Die Beobachtung von Herdentieren, besonders der uns nächsten Verwandten im Tierreich, den Affen, unter ihnen besonders der Schimpansen, da sie uns genetisch am nächsten stehen.
  2. Die Beobachtung von Naturvölkern, die sich zum Teil noch auf der Stufe der Steinzeit befinden. (Und Beschreibungen von Naturvölkern aus früheren Zeiten.)
  3. Archäologische Funde.
  4. Die Beobachtung des modernen neuzeitlichen Menschen und Rückschlüsse hieraus, wie sich die Menschen früherer Zeiten, die sich genetisch nicht bzw. nicht stark von den heutigen unterschieden, unter den damaligen Umständen wahrscheinlich verhalten haben.

Die Ergebnisse solcher Forschungen müssen mit Vorsicht genossen werden. Es handelt sich bei ihnen um mehr oder weniger plausible Hypothesen. Eines möchte ich aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen: Den »Edlen Wilden« Rousseaus hat es sowenig gegeben wie die »Urgesellschaft« von Marx und Engels.

Eigentum ist keine Erfindung der Menschen als sie die Urgesellschaft verließen. Eigentum gibt es schon im Tierreich und ist schon dort häufig Voraussetzung für das Überleben des einzelnen Tieres wie der Gattung. In dem Moment, wo ein Tier (oder eine Gruppe von Tieren) mit Erfolg sein Territorium gegen einen Konkurrenten der eigenen oder einer fremden Art verteidigt, in dem Moment, wo ein Männchen mit Erfolg sein Weibchen bzw. seinen Harem verteidigt, in dem Moment gibt es Eigentum. Dafür sind keine Gesetzeswerke notwendig. Eigentum ist in seinem Kern nichts anderes als die Macht über etwas exklusiv verfügen zu können. [3]

Auch Herrschaft ist keine Erfindung der Menschen als sie die Urgesellschaft verließen. Herrschaft gibt es bereits im Tierreich, und zwar in dem Moment, wo sich ein Herdentier dem Leittier unterwirft.

Ebenso gibt es soziale Ungleichheit schon unter den Herdentieren und zwar in dem Moment, wo es in der Herde eine Rangordnung gibt. Die höherrangigen Tiere haben die besten Futterplätze, bzw. die niederrangigen dürfen überhaupt erst fressen, wenn die höherrangigen satt sind. Die höherrangigen Männchen pflanzen sich fort, die niederrangigen nicht, weil sie im Kampf um die Weibchen unterliegen.

Damit gibt es auch Aufstiegsstreben, Karrierismus bereits im Tierreich und ist dort häufig Voraussetzung für Überleben und Fortpflanzung. Und da sich in der Regel immer die fortpflanzten, denen es gelang in die Spitzengruppe zu kommen, musste sich ein solches Verhalten im Verlaufe von hunderttausenden oder Millionen von Generationen mit Notwendigkeit in den Individuen anhäufen.

Egoismus gibt es schon im Tierreich. Ein Wesen, das sich selbst nicht für wichtiger nimmt als seine Mit-Wesen hat eine geringere Überlebens-Chance und damit auch eine geringere Chance sich fortzupflanzen und diese Eigenschaft an die nächste Generation weiterzugeben.

Fremdenfeindlichkeit gibt es schon im Tierreich. Die Mitglieder einer Gruppe, die die Angehörigen anderer Gruppen hassen, vertreiben oder töten haben eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit als die Mitglieder von Gruppen, die diese Eigenschaft nicht haben. Fremdenfeindlichkeit, sprich Gruppenegoismus, ist wie der individuelle Egoismus im Tierreich häufig Voraussetzung für Überleben. [4]

Wenn ein Schimpanse ein Weibchen erobert, das ein Junges hat, dann beißt er das Junge tot, weil die Schimpansin nur dann zur erneuten Paarung bereit ist.

Große Affen fressen kleine Affen und die kleinen Affen sterben, während sie gefressen werden. Und wenn sie allzusehr herumzappeln, bricht man ihnen die Knochen, damit sie stillhalten, während man sie frisst.

Von dort kommen wir! Das sind unsere Wurzeln! Es gibt in der Natur keine Humanität, kein Mitleid. Man kann den Tieren auch gar keinen Vorwurf daraus machen. Sonst könnte man auch einem Stein einen Vorwurf machen, wenn er einem auf den Fuß fällt. Die Tiere folgen ihren Instinkten. Das Leid anderer nehmen sie überhaupt nicht zur Kenntnis, es sei denn, es handelt sich um den eigenen Nachwuchs und, bei höher entwickelten Herdentieren, um Mitglieder der eigenen Gruppe. Auch dies ist naturnotwendig. Eine Gattung, die ihren Nachwuchs nicht selbstlos aufzieht und ihn nicht sogar unter Einsatz des eigenen Lebens schützt, würde nicht bestehen bleiben, bzw. sich gar nicht erst entwickeln. Eine Herde von Tieren, die sich untereinander helfen, hat eine höhere Überlebens-Chance, als eine Gruppe von Tieren, die dies nicht macht. [5] Und hier sieht man eine Entwicklung die zum Menschen hinführt.

Bei Naturvölkern kann man beobachten, dass es innerhalb der Gruppe, innerhalb des Stammes einen sehr starken Zusammenhalt, ein hohes Maß an Solidarität, an gegenseitiger Opferbereitschaft gibt (was nicht ausschließt, dass sie eine Rangordnung, Häuptlinge und unterschiedliche Privilegien haben), aber die Mitglieder des Nachbarstammes haben kein Lebensrecht. Menschen aus anderen Gruppen werden nicht nur aus dem eigenen Territorium verjagt oder totgeschlagen, nein, häufig fängt man sie ein, um sie am Abend am Lagerfeuer zur Unterhaltung der eigenen Stammesangehörigen totzufoltern, egal ob Mann, Frau oder Kind. Mitgefühl existiert nur für die Mitglieder des eigenen Stammes, der eigenen Familie. Fremden schlägt man die Köpfe ab und macht Schrumpfköpfe daraus.

Als die Menschen die Steinzeit verließen und die ersten Kulturen und Hochkulturen gründeten, da nahmen sie bestimmte Verhaltensweisen mit. Die Azteken rissen hunderttausenden ihrer Kriegsgefangenen bei lebendigem Leibe die Herzen aus den Körpern und tarnten diese Aktionen als religiöse Akte. Die Römer versammelten sich zu Zehntausenden um zuzuschauen, wie Menschen anderer Völker von wilden Tieren zerfleischt wurden.

Von dort kommen wir! Das sind unsere Wurzeln! Die Griechen, hochgeschätzt als Begründer der abendländischen Kultur, haben bei der Gründung ihrer Kolonien die dort ansässigen Menschen massenhaft entweder ermordet oder versklavt. Nichts anderes haben die Europäer in den letzten Jahrhunderten gemacht bei der Eroberung ihrer Kolonien oder bei der Besiedelung des amerikanischen Kontinents. Bis in unsere Zeit, über die Massenmorde an den Armenier und an den Juden, zu den Massenmorden in Kambodscha und Ruanda zieht sich ein blutiger Faden durch die Geschichte der Menschheit. Dass der Mensch Mörder, Massenmörder, Völkermörder sein kann, ist nicht eine Pervertierung seines Wesens. Das ist eine Seite seines Wesens. Mord ist überhaupt nichts unmenschliches. Mord ist leider etwas sehr menschliches.

Es gibt auch die positive Seite des Menschen. Der Mensch ist auch zu Mitleid, zu Hilfsbereitschaft, zu Solidarität fähig. Der Mensch kann den Wunsch nach allgemeiner Harmonie entwickeln. Das ist auch eine Seite seines Wesen. Anders ließe sich ja überhaupt nicht erklären, warum über die Jahrtausende hinweg immer wieder sowohl einzelne Menschen als auch Menschengruppen, religiöse oder politische Bewegungen, aufkamen, die die Welt verbessern und oft gleich das Paradies auf Erden errichten wollten. Der Mensch ist ein ambivalentes Wesen. Und an dieser Ambivalenz sind bisher alle gescheitert, die entweder das Paradies auf Erden oder umgekehrt den knallharten Egoismus oder Gruppenegoismus (Nationalismus) gepredigt und/oder praktiziert haben. (Gesellschaftliche Verhältnisse, wie sie z. B. Nietzsche propagierte, sind ebenso wenig realisierbar wie die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Marx vorschwebten.)

Wer aus dem, was ich über unsere tierischen und steinzeitlichen Vorfahren geschrieben habe, nun aber den Schluss zieht, all die hier beschriebenen Eigenschaften und Verhaltensweisen gerechtfertigt zu sehen und auch in unserer heutigen Zeit ein ähnliches Verhalten der Menschen für angebracht hält, der reduziert den Menschen auf ein Tier oder auf einen Barbaren. Der Mensch ist Natur und es ist ein großer Fehler, dies zu ignorieren oder eine zu positive Vorstellung von dieser Natur zu haben. Aber der Mensch ist auch Kultur. Der Mensch ist auch Vernunft. Wer den Menschen auf seine Natur reduzieren will, ist ein Feind des Menschen, ist ein Feind der Kultur, der Zivilisation, der Vernunft.

Aber Kultur und Vernunft sind nicht ein für allemal gesichert, wenn sie sich einmal entwickelt haben. Kulturwesen und Vernuftwesen kann der Mensch sein, Naturwesen ist er auf jeden Fall. Kulturell erworbenes kann wieder verloren gehen, solange der Mensch genetisch das bleibt, was er seit ca. 30.000 Jahren ist. [6]


Diesen Text habe ich in den späten 80er Jahren erstmals geschrieben. Er war eine Auseinandersetzung mit den naiven Menschenbildern meiner christlichen Kindheit und meiner  kommunistischen Jugendzeit. Und er war eine Auseinandersetzung mit Menschen, die weiterhin ein naives, viel zu optimistisches Menschenbild hatten.


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Anmerkungen

Anm. 1: Die Inhalte der Psyche sind zu großen Teilen entweder durch unsere Natur oder durch unsere Sozialisation bedingt. Aber in der Psyche finden auch Entwicklungen statt, so das neue, von der Psyche selbst hervorgebrachte Inhalte entstehen. (Auch die Lebensumstände und Vernunft und Willensfreiheit haben hier eine Bedeutung, wenn auch nicht eine so große wie die Natur und die Sozialisation. Man darf nicht vergessen, dass man in der Analyse etwas trennt, das in der Wirklichkeit eine Einheit bildet bzw. eng verwoben ist.) Zurück zum Text

Anm. 2: Exkurs: Die Entwicklung vom Tier zum Menschen.
Die Entwicklung vom Tier zum Menschen ist im wesentlichen an Hand von Knochenfunden erforscht. Zahlen sind ungefähre Schätzungen. Bei jedem Urzeitforscher kann man etwas anderes lesen bzw. hören.
Das Alter der Erde wird nach geologischen Formationen bezeichnet. Im 4. Abschnitt des Tertiär, dem Miozän, vor ca. 25–14 Mio. Jahren (die Saurier waren seit ca. 40 Mio. Jahren ausgestorben), entwickelten sich aus waldbewohnenden Großaffen vor ca. 20 Mio. Jahren der Dryopithecus.
Im 5. Abschnitt des Tertiär, dem Pliozän (vor ca. 12–2,8 Mio. Jahren) entwickelte sich aus dem Dryopithecus vor ca. 8 Mio. Jahren der Ramapithecus. Dieser stand dem Affen noch deutlich näher als dem Menschen, zeigte aber bereits anatomische Merkmale, die vom Affen wegführten. Aus der Zeit vor ca. 8–4 Mio. Jahren gibt es bisher keine Fossilienfunde. Vor ca. 4 Mio. Jahren lebten zwei Ramapithecus Nachfahren: Der Australopithecus, der dem Affen näher stand und der Homo habilis, der dem Menschen schon viel ähnlicher war und von vielen Forschern schon dem Menschen zugerechnet wird.
Vor ca. 2–1,5 Mio. Jahren entstand der Homo erectus, der bereits zu den Menschen gerechnet wird. Er stammte wahrscheinlich vom Homo habilis ab, vielleicht aber auch vom Australopithecus.
Als Übergangszeit zwischen Tier und Mensch wird die Zeit zwischen 25–1,5 Mio. Jahren vor unserer Zeitrechnung angegeben. Sie umfasste ca. 600.000 Generationen.
Vor ca. 30.000 Jahren entstanden die drei Rassen der Weißen, Gelben und Schwarzen. Seitdem hat sich die Menschheit wahrscheinlich genetisch nicht mehr verändert.
(Sehen Sie hierzu auch die Kleine Zeittafel der Evolution und der Entwicklung von Wissenschaft und Technik.) – Zurück zum Text

Anm. 3: Mir ist wiederholt entgegnet worden, dass es im Tierreich kein Eigentum gebe, sondern lediglich »Besitz«. Eigentum sei juristisch garantierter Besitz und davon könne im Tierreich ja keine Rede sein. Dies ist aber nur ein Streit um Wörter, nicht um den Inhalt der Aussage. Mir ging es darum illusionären Vorstellungen über angebliche Idealzustände in der Natur und in der Frühzeit der Menschheit entgegenzutreten. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob man von Eigentum oder Besitz spricht. In einer juristischen oder politischen Abhandlung müsste man diese Begriffe unterscheiden. Zurück zum Text

Anm. 4: Wenn ich an einem Samstagnachmittag durch den Osten von Kreuzberg spazieren gehe (das ist ca. einen Kilometer von meiner Wohnung in Friedrichshain entfernt) und fast nur noch Türken auf den Straßen sehe, dann erwacht in mir der Fremdenhass der Barbaren. Dann fühle ich mich unwohl. Und ähnlich ergeht es vielleicht einem Türken, der in einem Touristengebiet am Mittelmeer lebt und dort fast nur noch Deutsche am Strand liegen sieht.
Wenn deutschstämmige Menschen aus Russland nach Deutschland einwandern, nennt man sie hier »Russen«. Dort werden sie, oft abfällig, »Deutsche« genannt. Wenn türkischstämmige Menschen, die in Deutschland geboren sind, die Türkei besuchen, nennt man sie dort »Deutsche«. Hier nennt man sie, auch oft abfällig, »Türken«.
Wenn man solches Fühlen und Verhalten ablehnt und ändern will, muss man sich über die Ursachen im Klaren sein. Es geht hier nicht einfach nur um schlechte Erziehung oder verkehrte politische Auffassungen. In unseren Genen liegt die Ursache. Und wenn wir uns anders fühlen und uns anders verhalten, dann ist dies eine Kulturleistung, dann haben wir uns über unsere Natur erhoben.
Kinder spielen mit anderen Kinder, auch wenn diese eine andere Hautfarbe haben oder sich ansonsten in ihrem allgemeinen Aussehen von den anderen Kindern unterscheiden. Fremdenfeindlichkeit kommt erst in der Jugendzeit auf und dann auch noch bei Jungen häufiger als bei Mädchen. Die Jungen wurden nämlich ab einem bestimmten Alter dazu herangezogen, die Nahrungsmittel für die Gruppe zu beschaffen, für ihr Überleben zu sorgen. Junge Männer, die stark fremdenfeindlich eingestellt sind, zeigen damit, dass sie in einem starken Maße von ihrer Natur geleitet werden und weniger von Kultur und Vernunft.
Weitere Eigenschaften, die sich im Verlaufe der Evolution mit Notwendigkeit herausbilden mussten:
Todesangst. Ein Lebewesen, das seine Vernichtung panikartig fürchtet und alles daransetzt dieser Vernichtung zu entgehen, hat eine größere Chance zu überleben und diese Eigenschaft an die nächste Generation weiterzugeben als ein Lebewesen, das seine Vernichtung nicht in diesem Maße fürchtet. Todesangst hat in der Natur eine fürs Überleben notwendige Funktion. Aber vernünftig ist sie nicht. Für den heutigen Menschen ist sie meistens nur noch eine Qual.
Ekel vor Kot, Verfaultem, Verschimmeltem, Stinkigem etc. Unsere Vorfahren wussten nicht, dass die Aufnahme solcher Dinge für sie lebensbedrohlich sind. Deshalb hatten diejenigen eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit, die einen natürlichen Ekel dagegen besaßen.
Schwindelgefühl bei Lebewesen ohne Flügel. Wer ein natürliches Schwindelgefühl besaß, begab sich nicht in die Gefahr abzustürzen. Zurück zum Text

Anm. 5: Darauf hat erstmalig aus biologischer Sicht  Peter Kropotkin hingewiesen. Zurück zum Text

Anm. 6: Ich habe vor Jahren das ehemalige KZ Buchenwald besucht. Ich erinnere mich, dass sie uns dort Lampenschirme gezeigt haben, die aus menschlicher Haut gefertigt waren. SS-Leute hatten dort ermordeten Jüdinnen die Haut abgezogen und Lampenschirme daraus gefertigt, auf denen noch die Brustwarzen zu sehen waren. Wenn man heute in KZ-Gedenkstätten oder in Filmen solche Dinge sieht, dann stehen viele Menschen solchen Verhaltensweisen fassungslos gegenüber und fragen sich, wie Menschen zu solchen Abscheulichkeiten fähig sind. Aber unerklärlich ist dies nur für die Menschen, die ein zu positives Menschenbild haben. Die Menschen können so sein und sie haben das in den vergangenen Jahrtausenden immer wieder gezeigt.
Die SS-Leute, die diese abscheulichen Dinge getan haben, waren mit ihrem Verhalten auf das Niveau früherer Entwicklungsstufen der Menschheit zurückgefallen. Im Prinzip haben sie nichts anderes gemacht als ein Indianer, der einem getötetem Feind den Skalp abzieht, oder als die Normannen, die nach siegreicher Schlacht ihr Met aus den Schädeln erschlagener Feinde tranken. Die Ideologie und das Verhalten der Nazis war nicht nur in diesem Punkt ein Rückfall weit hinter die Neuzeit in barbarisches, antikes und mittelalterliches. Die SS-Leute waren in die Neuzeit und in ein Kulturvolk hineingeboren, haben sich aber wie Barbaren benommen.
Das besonders Schlimme war aber nun, dass die Nazis Verhaltensweisen früherer Entwicklungsstufen der Menschheit verbanden mit den technischen und organisatorischen Möglichkeiten der Neuzeit. Was dabei herauskam, war noch um einiges barbarischer, als es die Barbaren selbst bewerkstelligen konnten.
Es wird auch des Öfteren gesagt, dass man gerade von den Deutschen, diesem großen Kulturvolk der Dichter und Denker, ein solches Verhalten am wenigsten erwartet hätte. Aber der neugeborene Deutsche hat ja Goethe und Beethoven nicht in seinen Genen abgespeichert. Es ist ja eben nicht so, wie der stalinistische Biologe Lysenko behauptete, dass kulturell Erworbenes in die Erbmasse eingeht und den kommenden Generationen angeboren sein wird. (Soetwas passiert, wenn überhaupt, erst nach Zehntausenden von Generationen.) Der neugeborene Mensch von heute hat die gleiche genetische Ausstattung, wie sie schon die Menschen der jüngeren Steinzeit hatten. Der Mensch des Faustkeils war, genetisch betrachtet, der gleiche, wie der Mensch der Atombombe. (Inzwischen ist ein Verweis auf die  Epigenetik angebracht. Die gab es Ende der 80er Jahre – als ich diesen Text erstmals schrieb – meines Wissens noch nicht.) Zurück zum Text


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