Frankfurter Schule


Frankfurter Schule kurz und knapp

Die von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno begründete »Frankfurter Schule« wird auch »Kritische Sozialphilosophie« und »Kritische Theorie« genannt. Das bekannteste Buch dieser Richtung ist: Dialektik der Aufklärung. ( Aufklärung) (Geschrieben in den Jahren 1942–44, erschienen 1947.) Ausgegangen ist diese Denkrichtung vom »Institut für Sozialforschung in Frankfurt/M«, das seit 1923 existiert. Während der Nazizeit wurde es erst nach Genf, dann in die USA nach New York und Los Angeles verlegt. 1950 wurde es in Frankfurt/M neu gegründet.

Die wichtigste Grundaussage dieser Denkrichtung:


Die Vernunft, die einst eine  aufklärerische Rolle gespielt habe, sei in der modernen Welt zu einer instrumentellen Vernunft verkommen. Unter zunehmendem Verlust der Individualität würden die Menschen zu Vollzugsorganen und Objekten einer wissenschaftlich-technischen Naturbeherrschung und einer zunehmend bürokratisierten Welt.



Wichtige Grundzüge dieser Richtung:


Die »Kritische Theorie« erforscht besonders drei Sphären:

[Drei wichtige Bereiche, aber die Natur (des Menschen) bleibt ausgeklammert, was Ursache vieler Fehleinschätzungen ist.]

Die Studentenbewegung der späten sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts hat sich zum Teil auf die Frankfurter Schule berufen. Horkheimer und Adorno haben aber [nach meiner Überzeugung inkonsequenter Weise] die »revolutionäre Praxis«, die die linken Studenten glaubten aus der »Kritischen Theorie« herleiten zu können, nicht gebilligt. Adorno zog sich in den »Elfenbeinturm« zurück, Horkheimer reagierte mit Kulturpessimismus.

[Horkheimer und Adorno haben sich mehrfach gegen eine Popularisierung ihrer philosophischen und wissenschaftlichen Auffassungen gewandt. Das, was ich hier mache – eine lexikalische Darstellung ihrer Auffassungen – würde wohl nicht auf ihre Gegenliebe stoßen. [1]]

Konkreteres zur Kritischen Theorie in den Aufsätzen über


Vertreter der Frankfurter Schule

Zwischen den Auffassungen der hier aufgezählten Personen gibt es zum Teil beträchtliche Differenzen, auf die in den Aufsätzen zu den einzelnen Personen genauer eingegangen wird.

W(iesengrund)-Adorno, Theodor (1903–1969). Neben  Horkheimer bekanntester Vertreter der Frankfurter Schule. Siehe Extraseite.

Benjamin, Walter (1892–1940). Deutscher Philosoph und Literaturwissenschaftler jüdischer Abstammung, der sich auf der Flucht vor den Nazis das Leben nahm. Vertreter der  Frankfurter Schule. Vertrat eine  dialektisch-materialstische Geschichtsphilosophie in Verbindung mit einem eschatologischen-messianichen Geschichtsbegriff.

Fromm, Erich (1900–1980). Gehörte in den ersten zwei Jahrzehnten ihrer Existenz zur Frankfurter Schule. Siehe Extraseite.

Habermas, Jürgen (*1929). Siehe Extraseite Habermas wird häufig noch zur  Frankfurter Schule gerechnet, was nach meiner Auffassung aber nur noch historisch seine Richtigkeit hat. Er hat sich doch zu weit von den Gründervätern entfernt, als dass man ihn noch unter den gleichen Oberbegriff einordnen könnte. Es wäre ja auch nicht sinnvoll, Aristoteles, der viele Jahre ein Schüler Platons war, einen Platoniker zu nennen.

Horkheimer, Max (1895–1973). Begründer der  Frankfurter Schule. Siehe Extraseite.

Löwenthal, Leo (1900–1993). Deutsch-Amerikanischer Soziologe. In Frankfurt/M beboren, vor den Nazis nach Amerika geflüchtet. Professor in Berkeley/Kalifornien. Vertreter der  Frankfurter Schule.

Marcuse, Herbert (1898–1979). Bedingt der  Frankfurter Schule zurechenbar. Siehe Extraseite.

Pollock, Friedrich (1894–1970).Ökonom und Soziologe. Professor in Frankfurt/M. Vertreter der  Frankfurter Schule.


Meine Kritik an der Kritischen Theorie

(Das Lesen dieser Kritik ist für Leser ohne große Vorbildung bezüglich der Kritischen Theorie erst sinnvoll, nach dem Lesen der Aufsätze über Horkheimer und Adorno.)

Zuersteinmal möchte ich drei Punkte vorausschicken, wo ich den Frankfurtern zustimme bzw. ihre Leistungen anerkenne:

  1. Viele Analyseergebnisse über den modernen Kapitalismus, die moderne Gesellschaft und den heutigen Menschen sind inzwischen Allgemeinplätze geworden nicht nur bei Linken, sondern bis ins liberale und konservative Lager hinein. In vielen Details der Gesellschaftswissenschaft und der Psychologie sind den Frankfurtern wissenschaftliche Leistungen nicht abzusprechen.

  2. Die Fähigkeit zum Mitleid, die ehrliche Empörung über katastrophale soziale Lebensbedingungen (dies trifft jedenfalls für Horkheimer zu, bei Adorno kann man da Bedenken haben), gegen Faschismus etc. zeichnet die Frankfurter, die selbst aus den privilegierten Schichten kamen, gegenüber den meisten Mitgliedern des Bürgertums aus und unterscheiden sie positiv von Leuten wie Nietzsche und dessen Anhängern.

  3. Die Frankfurter haben spätestens seit Mitte der dreißiger Jahre das stalinistische System verurteilt und in ihm keinen Fortschritt gegenüber der bürgerliche Gesellschaft gesehen. Das unterscheidet sie positiv von den diversen SowjetIllusionisten wie Bloch oder Lukács um nur zwei mögliche Namen zu nennen.

Nun zu den Punkten, wo ich nicht mit ihnen übereinstimmen kann:

Die Fähigkeit des Menschen objektive, absolute bzw. ontologische Wahrheiten erkennen zu können, ist ausgesprochene und unausgesprochene Voraussetzung der Kritischen Theorie. Aber gerade diese Fähigkeit bezweifle ich. Hier ist einer der Widersprüche der Kritischen Theorie: Horkheimer hat gesagt, dass die Kritische Theorie es ablehnt über das Absolute ein bestimmtes Urteil zu fällen oder es darzustellen. Aber ein Wahrheitsverzicht wie bei  Popper wurde daraus nicht abgeleitet. Die Frankfurter waren überzeugt absolute Wahrheiten zu besitzen. Teile des Absoluten waren nach ihrer Auffassung mit absoluter Sicherheit erkennbar. [2]

Die Frankfurter hatten ein Bild vom Menschen, von richtigen Bedürfnissen, von wirklichem Fortschritt, von echter Emanzipation etc. aber die Menschen verhielten sich nicht entsprechend. Anstatt nun ihr Menschenbild zu korrigieren (wie es aus Sicht einer  Falsifikationstheorie sinnvoll wäre) haben sie die Ursachen nur in den gesellschaftlichen Verhältnissen, bestenfalls noch in der Psyche der Menschen gesucht. Dass die Ursachen auch in der Natur des Menschen liegen könnten, wurde nicht in Erwägung gezogen. Die Reaktion war Kultur-Pessimismus, Rückzug in den Elfenbeinturm oder das Beharren auf nicht realisierbaren Forderungen.

Die naturwissenschaftlich, biologische Beschäftigung mit dem Menschen hat gefehlt. Dass Konservative, Rassisten etc. vieles als naturbedingt ausgeben, was in Wirklichkeit gesellschaftlich bedingt ist, hätte nicht dazu führen dürfen, auf eine naturwissenschaftliche Anthropologie völlig zu verzichten. Der Mensch ist nicht nur ein gesellschaftliches und psychisches Wesen, er ist auch ein natürliches, biotisches Wesen. Gesellschaftliche Verhältnisse, die der Natur des Menschen widersprechen, sind nicht realisierbar. Das ist der letztlich ausschlaggebende Grund für das Scheitern aller linker Strategien.

Hoimar v. Ditfurth beschäftigt sich in seinem Buch Der Geist fiel nicht vom Himmel mit der Evolution des Nervensystems und des Gehirns und kommt am Ende des 18. Kapitels zu folgender Schlussfolgerung: »Es ist unbestreitbar richtig, dass man das Wesen des Menschen biologisch nicht erfassen kann. Aber ebensowenig lässt sich bestreiten, dass eine biologische Betrachtung wie die, die ich in diesem Buch durchzuführen versuche, zur Einsicht in die Bedingungen menschlicher Existenz beiträgt. Der Versuch einer einseitig biologischen Betrachtung des Menschen würde dessen Wesen verfehlen. Aber Einseitigkeit führt in jedem und daher auch im umgekehrten Falle in die Irre: Eine einseitig anthropologisch-geisteswissenschaftliche Wesensbestimmung des Menschen ist erfahrungsgemäß immer in Gefahr, jene unserer Eigenschaften zu übersehen, die Ausdruck und Folge unserer biologischen Geschichtlichkeit sind

Die Frankfurter mögen in ihrer Kritik des ahistorischen Vorgehens sowohl der Metaphysik wie positivistischer Wissenschaft im Detail durchaus recht haben. Auch Kritik am Kapitalismus, am Massenelend, an der Widersprüchlichkeit von Theorie und Praxis des Bürgertum etc. war völlig berechtigt. Aber die Frankfurter haben – wie alle anderen Linken auch – keine realisierbare Alternative angeboten. Die verachteten Pragmatiker – die außerdem noch in der Regel eine skeptizistisch-positivistische Grundhaltung hatten – haben zumindest in Teilen der Welt die Lebenslage der Menschen verbessert.

Über die Kritische Theorie und ihre Vorstellungen der Gesellschaftsgestaltung kann nicht mehr sinnvoll diskutiert werden, ohne die geschichtlichen Erfahrungen des 20. Jahrhundert zu berücksichtigen. Alle  sozialistischen und  kommunistischen Vorstellungen über die vernünftige Planung der Ökonomie und anderer gesellschaftlicher Bereiche sind in der Praxis gescheitert. Der – durch Sozialstaatelemente ergänzte – chaotische Kapitalismus bringt  das größere Glück der größeren Zahl, bzw.  das geringere Leid der geringeren Zahl hervor.

Der  Faschismus ist nicht in allen und schon gar nicht in den klassisch kapitalistischen Länder die Antwort auf die Krise des Kapitalismus gewesen. (Eben nicht in England, Frankreich, USA.) Der Faschismus in Deutschland, Italien und Spanien war multikausal bedingt. Es wäre falsch zu sagen, die Machtergreifung der Nazis in Deutschland sei ein böser Zufall gewesen. In der Mentalität und den Lebensbedingungen der Deutschen gab es viele Ursachen, nicht nur ökonomische. Aber der Zufall hat letztendlich auch eine Rolle gespielt. Jede andere Auffassung lehne ich als geschichtsdeterministisch ab.

Die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft ist nicht zusammengebrochen! Die Theorien vom »Spätkapitalismus« und von »spätbürgerlichen Auffassungen und Verhaltensweisen«, haben sich als falsch erwiesen. Die bürgerliche Gesellschaft – parlamentarische Demokratie und Marktwirtschaft, mit je nach nationalen Traditionen mehr oder weniger sozialstaatlichen Elementen – ist die den Planeten dominierende Gesellschaftsform. Die Bürgerliche Gesellschaft hat allen anderen praktizierten Gesellschaftsmodellen gegenüber die größte Leistungs-, Innovations- und Überlebensfähigkeit bewiesen. [3]

Die instrumentelle Vernunft wurde einseitig negativ bewertet. Was diese instrumentelle Vernunft vermag an Leidlinderung, an Verbesserung des Lebensstandarts der Massen und damit letztendlich auch an Bewusstseins- und Gesellschaftsveränderung, wurde unterschätzt.

Wie objektiv Wissenschaft sein kann und soll, das mag bei verschiedenen Wissenschaften und bei verschiedenen Forschungsgegenstände unterschiedlich sein. Es wird doch wohl keiner bestreiten wollen, das 2 x 2 = 4 sind unabhängig von den Interessen eines Menschen, seiner Klassenzugehörigkeit oder seines Charakters. (Ob die Regeln der Mathematik das Sein schlechthin betreffen oder nur Teile des Seins, die Frage klammere ich hier aus.) Auch physikalische und chemische Prozesse können erkannt werden, ohne dass dort Charakter und Interesse eine Rolle spielen. Genau das Gleiche ist es mit technischen Erfindungen. Bei der Erklärung komplexerer Vorgänge fließen Interpretationen ein, die von Charakter und Interesse bestimmt sind, was dann besonders in Humanwissenschaften und Gesellschaftswissenschaften eine Rolle spielen kann. Sinnvollerweise sollte man gerade bei solchen Erklärungen von  Hypothese sprechen, nicht von absoluten Wahrheiten. Aber auch in den Human- und Gesellschaftswissenschaften kann man sich zumindest bemühen, die eigenen Interessen und den eigenen Charakter nicht zu Erkenntnisschranken werden zu lassen. Die Frankfurter kamen doch selbst aus bürgerlichen Familien – oder hatten die etwa einen Proletarier unter sich? Klassenzugehörigkeit, Interessen, Charakter u. ä. m. müssen keine unüberwindbaren Erkenntnisschranken sein. Ansonsten hätte es überhaupt keine Horkheimer, Adorno etc. (als Philosophen und Gesellschaftswissenschaftler) gegeben.

Was richtige und was falsche Bedürfnisse sind, dass zu beurteilen, sollten man dem Einzelnen überlassen. Jeder sollte nach Befriedigung der ihm richtig erscheinenden Bedürfnisse streben können, solange er nicht anderen dadurch Leid zufügt. Anderen vorzuschreiben, welche Bedürfnisse sie als richtig anzusehen haben, ist totalitär und repressiv. Auch unter diesen Blickwinkel stellt sich die Beurteilung der instrumentellen Vernunft anders dar. Für viele Menschen haben die Bedürfnisse, die sie mit Hilfe der instrumentellen Vernunft befriedigen können, einen hohen Stellenwert.

Als 1968 die Studentenrevolten begannen, da hätten die Frankfurter entweder diese unterstützen müssen – wenn auch begleitet von kritischen Kommentaren – oder sie hätten einen großen Teil ihrer theoretischen Aussagen widerrufen müssen. Alles andere war inkonsequent.

Wenn jemand ohne Zweifel davon ausgeht, die objektive Wahrheit über einen bestimmten Tatbestand zu besitzen, dann muss er diese jedem Andersdenkenden konsequenter Weise aberkennen. Letztendlich schützt nur Skeptizismus und Positivismus vor totalitärer Grundhaltung.


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Anmerkungen

Anm. 1: Wie legitim eine lexikalische und systematische Zusammenfassung von philosophischen Theorien ist, darüber habe ich mich in der  Einleitung zum philolex bereits ausführlich geäußert. Bei Horkheimer und Adorno kommt noch hinzu, dass sie sich als Vertreter des Volkes, der Unterprivilegierten, der Arbeiter etc. ansahen. Wenn man sich dann elitär benimmt und sich gegen eine Popularisierung und didaktische Aufbereitung der eigenen Auffassungen ausspricht, wird das Ganze noch absurder. Zurück zum Text

Anm. 2: Horkheimer über den Kern der Kritischen Theorie: »Ihre Basis bildet die Überzeugung, dass wir das Gute, dass Absolute nicht darzustellen vermögen, jedoch bezeichnen können, worunter wir leiden, was der Veränderung bedarf und alle darum Bemühten in gemeinschaftlicher Anstrengung, in Solidarität verbinden sollte.« (Zitiert nach  Knapp, Adorno.) Dieser Satz gefällt mir schon erheblich besser als manche Aussagen über »richtige Bedürfnisse« und »wahre Emanzipation«. (Aber auch hier sind nicht alle Menschen gleich. Der Eine leidet bei Hören von Jazz, der Andere beim Hören von Wagner, um nur ein Beispiel zu nennen.) Dieser Satz erinnert mich sehr an die Auffassung  Poppers, dass sich die Menschen viel eher darauf einigen können, was schlecht ist und deshalb abgeschafft werden sollte – dies ist eine Art  Falsifikation –, als auf das, was gut ist und von daher eingeführt werden sollte. Diese Aussage passt bloß nicht ganz zu dem allgemein praktizierten theoretischen Absolutismus der Frankfurter Schule. Zurück zum Text

Anm. 3: Hier muss ich leider nachtragen, dass der gegenwärtige Sozialstaatsabbau die soziale Frage wieder verschärft. Aber die Antwort auf das asoziale Vorgehen ehemals linker Politiker sollte nicht sein, gescheiterte Strategien des 20. Jahrhundert neu aufleben zu lassen, sondern den Sozialstaat zu verteidigen. Zurück zum Text


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