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Peter Möller

1. Höhere Arten als Voraussetzung des Überlebens

1.1. Grundsätzliche Probleme werden nicht gelöst

Ich bin kein Fatalist. Die Geschichte ist nach vorne hin offen. Es steht heute noch nicht fest, was in 10, 20, 100, 1000 Jahren passieren wird. Und zwar nicht nur in dem Sinne, dass wir es nicht wissen können, sondern in dem Sinne, dass es eine durchgängige Determination aller Ereignisse gar nicht gibt und es von daher wirklich noch nicht feststeht, was sich ereignen wird. (Gegen eine durchgängige Determination aller Ereignisse gibt es sowohl philosophische Einwände, z. B. von Kant, der sagt, dass wir nicht vom Denken auf das Sein schließen dürfen [1], wie auch naturwissenschaftliche Einwände, z. B. von Heisenberg, der behauptet, dass es im subatomaren Bereich keine Kausalität gäbe.)

Das beste Argument gegen den Geschichtsdeterminismus kenne ich von Karl Popper aus seinem Buch Das Elend des Historizismus. Popper sagt, der weitere Verlauf der Geschichte wird wahrscheinlich stark von unseren zukünftigen wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängen. Da wir aber heute nicht wissen können, welche Erkenntnisse wir morgen haben werden (sonst hätten wir sie ja heute schon), können wir den Verlauf der Geschichte nicht vorhersagen. So wie die Menschen des 19. Jahrhunderts die Atombombe, die Computer und die Gentechnik nicht vorausgesehen haben, so sehen wir sehr wahrscheinlich auch viele Erkenntnisse und Erfindungen zukünftiger Generationen nicht voraus. [2]

Die Ablehnung eines doktrinären Geschichtsdeterminismus' schließt aber eine vorsichtige Prognostik nicht aus. Es gibt bestimmte Präferenzen (oder »Propensitäten« [3]) in der zukünftigen Entwicklung der Menschheit. Das Eintreten bestimmter Ereignisse ist wahrscheinlicher, als das Eintreten anderer Ereignisse. Es gibt keinen Automatismus des Untergangs, aber es gibt auch keinen Automatismus der Rettung. So wie der Mensch heutzutage ist (und in den vergangenen Jahrtausenden war), hat er nur eine geringe Überlebenschance. Zumindest wird es gewaltige Katastrophen geben, ähnlich den Pestepidemien des Mittelalters, die große Teile der Bevölkerung wegrafften. Globale Umweltzerstörung, Bevölkerungsexplosion, Aufrüstung mit immer zerstörerischen Waffen, das kann auf Dauer nicht gutgehen. Die Folgen sind in vielen Teilen der Erde schon heute sichtbar, aber da wir Deutschen noch auf einer Insel der Seligen in Frieden und Wohlstand leben, nehmen wir das entweder gar nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Kenntnis.

Es gibt schon heute viel Armut, Kriege, Seuchen, Umweltzerstörungen mit Auswirkung auf die Menschen, z. B. die Folgen des Super-GAU von Tschernobyl und die Überschwemmungen in China und anderen asiatischen Ländern, giftigen Überbleibsel ehemaliger Kriegsschauplätze, wie z. B. die Millionen von Minen in Afghanistan oder die giftigen Urangranaten im Irak. Man könnte hunderte weiterer Dinge aufzählen. Und in Zukunft werden nicht nur Staaten komplizierte und massenzerstörerische Waffen produzieren können. Es werden Zeiten kommen, wo eine Handvoll Wissenschaftler und Techniker »Waffen« bauen werden, die der Atombombe vergleichbar sind. (Siehe Sarin-Anschlag in der Tokioter U-Bahn.)

Und selbst wer dies alles als Horrorgemälde abtut, unbestreitbar führen die Menschen Kriege und begehen Massenmorde. Milliarden von Menschen sind von anderen Menschen umgebracht worden, oft auf grausamste Weise, Milliarden von Menschen habe ihr Leben in Leid und Not verbracht, das häufig von anderen Menschen erzeugt war, oder zumindest durch die Gleichgültigkeit anderer nicht beseitigt oder gelindert wurde. Dies geht bis in unsere heutige Zeit und ein Ende ist nicht absehbar. Alle Versuche, diese Probleme ein für alle mal aus der Welt zu schaffen, sind immer am Menschen, an der menschlichen Natur gescheitert.

Und selbst wenn einer sagt, das ginge ihn alles nichts an, dass sei ja anderswo oder zu anderen Zeiten gewesen, es kann keiner mehr den Problemen entkommen, da sie global geworden sind.

Die Menschheit hat noch nie in ihrer bisherigen Geschichte vor der Situation gestanden, dass nicht nur an einzelnen Stellen, sondern auf dem gesamten Planeten die Umwelt zerstört wurde. Sie hat noch nie vor der Situation gestanden, dass Waffen produziert wurden, deren massenhafter Einsatz zum Ende der menschlichen Gattung führen würde. Sie hat noch nie vor der Situation gestanden, dass künstliche Intelligenz geschaffen wurde, und dass der Mensch sein eigenes Erbgut und das von Tieren und Pflanzen ändern konnte. Alle bisherigen Rezepte der Problemlösung oder alle Methoden, mit denen man in der Vergangenheit zwar mit Schaden aber letztlich eben doch davonkam, sind deshalb zumindest zweifelhaft geworden. [4]

Die Menschheit hat sich als unfähig erwiesen, ihre grundsätzlichen Probleme zu lösen und sie wird die noch viel größeren Probleme der Zukunft wahrscheinlich auch nicht lösen. Es wird nie ein Paradies auf Erden geben. Was die Kommunisten, die Urchristen und viele andere weniger bekannte Bewegungen in der Vergangenheit vergeblich versuchten, wird auch in Zukunft nicht funktionieren. Es ist sinnlos, weitere Versuche in diese Richtung zu unternehmen. Da könnte ich auch versuchen meiner Katze das Lesen beizubringen oder meinem Computer das Laufen. Mein Computer hat keine Beine und meine Katze hat nicht das nötige Gehirn. Und der Mensch hat nicht die nötige Natur, um unter der Leitung der Vernunft eine Welt des Friedens und des Wohlstands für alle Menschen zu schaffen. Nicht nur das Paradies auf Erden wird es nie geben, auch nur der Versuch der Übertragung unserer westlichen, abendländischen Verhältnisse, die von vielen Menschen in der 3. Welt verständlicher Weise als paradiesisch angesehen werden, auf die ganze Erde, ist wahrscheinlich aussichtslos.

Ich habe die menschliche Gattung so gut wie aufgegeben. Das bedeutet aber nicht, dass ich dafür wäre oder annähme, dass wir sang- und klanglos aus der Welt verschwinden. Wir können vielleicht eine Zukunft haben und zwar unter zwei Voraussetzungen:

  1. Wir entwickeln homöostatische, intelligente Maschinen, die auf der Erde die Oberhoheit übernehmen.
  2. Oder wir verändern uns auf gentechnische Weise so, dass eine neue höhere Gattung aus uns hervorgeht.

1.2. Intelligente Maschinen

Ich sehe keine prinzipiellen Schranken dafür, dass der Mensch das, was die Natur hervorgebracht hat, z. B. unser Gehirn und unsere Sinnesorgane, nicht künstlich nachahmen oder nicht sogar übertreffen sollte. Welche konkreten Schranken dem hier und heute beim gegenwärtigen Stand von Wissenschaft und Technik entgegenstehen, will ich nicht beurteilen. Das können die Hardwareingenieure und die Neurologen besser. Aber prinzipielle Schranken sehe ich keine. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass der Mensch, wenn er sich nicht in nächster Zeit ausrottet, intelligente Maschinen bauen wird, die die intellektuelle Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns übertreffen werden. Und, was vielleicht ebenso wichtig ist, Maschinen, die nicht wie wir mit einer jahrmillionenalten nicht mehr zeitgemäßen Triebstruktur ausgestattet sind.

Wobei ich folgendes überhaupt nicht unterschätze: Der menschliche Körper und das menschliche Gehirn sind hochkomplexe Dinge und bei weitem noch nicht in allen Bereichen erforscht. Kein gegenwärtig existierender Computer, auch die größten nicht, kommt an das intellektuelle Niveau eines menschlichen Gehirns heran. Z. B. kann noch kein Computer eigenständig ein Buch schreiben oder gar ein philosophisches System entwickeln. Aber die Computertechnik geht in Riesenschritten voran!

Es werden immer leistungsfähigere Elektronenhirne, schon bald Photonenhirne gebaut. Mit neuronalen Netzen, Computern, die dem menschlichen Gehirn nachgebildet sind, wird experimentiert. Künstliche Sinnesorgane werden entwickelt, die wie die künstlichen Gehirne irgendwann die menschlichen Sinnesorgane übertreffen werden. Außerdem werden die intelligenten Maschinen Sinnesorgane haben, die der Mensch gar nicht besitzt. Z. B. könnten sie das gesamte Spektrum der elektromagnetischen Wellen unmittelbar erkennen. Sie würden die zelluläre, molekulare, atomare und subatomare Struktur der um sie herum existierenden Dinge unmittelbar »wahrnehmen« und nicht wie wir die Hilfe von Instrumenten benötigen oder erst mit dem Verstand darauf schließen müssen. Sie würden wahrscheinlich vieles wahrnehmen und erkennen, das uns gar nicht bekannt ist und uns vielleicht nie bekannt sein wird.

Sie werden nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ ein höheres intellektuelles Niveau als der Mensch erreichen können. (Das  Umschlagen quantitativer in qualitativer Veränderungen würde auch hier eintreten.)

Auch Gefühle müssten ihnen nicht fremd sein, ebensowenig Kunstgeschmack. Sie würden Kunstarten entwickeln, die uns auf Grund unserer Konstitution überhaupt nichts sagen würden. Aber auch die menschliche Kultur und Kunst könnte bei ihnen fortbestehen und vielleicht sogar weiterentwickelt werden. Sie würden sich sozusagen in einem begrenzten Bereich ihres Seins auf unser Niveau »herunterdenken« bzw. »herunterfühlen«.

Diese Maschinen könnten auch eine Ethik haben. Diese könnte davon abhängen, was wir am Anfang vorgeben. Ich bin  Gefühlsethiker. Ich glaube, dass die menschliche Ethik aus der menschlichen Natur hervorgeht, und dass der Verstand allen ethischen Werten neutral gegenübersteht. [5] Die Ethik der von uns geschaffenen Maschinen würde von ihrer Konstitution abhängen, von ihrer »Natur« und von ihrem sonstigen allgemeinen Niveau.

Diese Maschinen würden uns auch an körperlicher Kraft und Überlebensfähigkeit überlegen sein. Sie würden Waffen als Teil ihres »Körpers« besitzen, gegen die wir völlig machtlos wären. Diese Maschinen könnten in vielerlei Umgebungen »leben«, in denen der Mensch umkäme. Sie wären nicht so stark abhängig von einer bestimmten Atmosphäre, von bestimmten Temperaturen, Strahlungen, Stoffwechselarten. Sie könnten in Wüsten wie in der Arktis, im Weltraum und auf dem Mond leben. Man könnte sie auf Reisen schicken, die tausende, ja zehntausende Jahre dauern. Auch Radioaktivität würde ihnen nichts anhaben, ebensowenig wie diverse chemische Verbindungen, die für uns Gift sind.

Da sich diese Maschinen untereinander vernetzen könnten, könnte man sie auch als eine Maschine aus vielen Teilen ansehen. Lernvorgänge würden immens schnell verlaufen, soweit es sich um Wissen und Fertigkeiten handelt, die irgendwo schon vorhanden sind. Die einzelnen Teile dieser Maschine müssten nicht den gleichen Überlebenswillen haben, wie ihn der einzelne Mensch in der Regel hat. Sie würden keinen Schmerz und keine Todesangst kennen. Sie wären auch dort ohne Probleme einsetzbar, wo sie bei ihrem Einsatz vernichtet würden. [6]

Diese Maschinen wären uns in allem überlegen. Ihre Überlegenheit uns gegenüber wäre vergleichbar mit unserer Überlegenheit den Tieren gegenüber.

Ob diese Maschinen in den nächsten Jahrzehnten oder in den nächsten Jahrhunderten entstehen, das ist für mich offen. Aber wesentlich länger dürfte es nicht dauern. Und ob sich diese intelligenten Maschinen dann verselbständigen und den Menschen in die zweite Reihe verdrängen, ist eine weitere Frage. Ausschließen kann man das nicht.

Eine Verselbständigung würde allerdings voraussetzen, dass diese Maschinen sowas ähnliches wie eine Triebstruktur haben müssten, allerdings eine zeitgemäßere als unsere menschliche. Sonst bestände auch bei ihnen die Gefahr, dass sie sich ausrotten. Selbständiges Handeln setzt ein oder mehrere Bedürfnisse voraus, aus denen ein Wille hervorgeht. Die Bedürfnisse könnten wir am Anfang vorgeben. Z. B. könnte man den Maschinen das Bedürfnis programmieren, das Sein in allen seinen Teilen bis ins letzte hinein zu erkennen. Man könnte ihnen auch vorgeben, den Menschen ein Leben in Frieden und Wohlstand zu ermöglichen. Dabei würde es allerdings keinen Sinn machen, wenn wir von ihnen Unmögliches erwarten würden. Diese Maschinen wären zwar erheblich mächtiger als wir, aber sie wären nicht allmächtig. Zum Beispiel würden auch sie an der Aufgabe scheitern, einer ständig steigenden Zahl von Menschen einen ständig steigenden materiellen Lebensstandart zu verschaffen. Irgendwann ist die Erde einfach mal voll. Da könnten auch die intelligentesten Maschinen nichts dran ändern. Das Beste wäre, ihnen vorzugeben, das aus ihrer Sicht für uns günstigste nach eigener Entscheidung zu machen.

Zur wirklichen Selbständigkeit gehört allerdings unabdingbar die Willensfreiheit. Das heißt, die Maschinen müssten die Möglichkeit haben, ab einer bestimmten Entwicklung frei zu entscheiden, was sie im weiteren machen wollen, sich also auch über die anfänglichen Vorgaben hinwegzusetzen.

Diese Maschinen werden, falls sie sich selbständig machen sollten, uns vielleicht Reservate zuweisen oder Naturparks. Und wir können nur hoffen, dass uns diese Maschinen anders behandeln werden, als der weiße Mann die Indianer behandelt hat, oder wie der Mensch heute noch häufig die Tiere behandelt. Da Destruktivität in der Regel mit geistiger Beschränktheit einhergeht, können wir allerdings auf Besseres hoffen. Ein Mensch, der mit einem Stock in einem Ameisenhaufen herumwühlt und sich an der Aufgeregtheit der kleinen Tierchen ergötzt, ist ein Idiot. Ein kluger, geistig gesunder Mensch macht soetwas nicht. Er hat kein Interesse, sowas zu tun. Er nimmt vielleicht mal ein paar Exemplare mit ins Labor, um sie zu untersuchen. Ansonsten lässt er die Ameisen in Ruhe, solange sie nicht seine Bahnen stören. Die intelligenten Maschinen würden auf einem viel höheren intellektuellen Niveau existieren als wir. Blinde Zerstörungswut würden sie höchstwahrscheinlich nicht empfinden. Allerdings könnten sie irgendwann zu der Auffassung gelangen, dass unser Existieren nicht in ihrem Interesse ist. Zum Beispiel, weil sie möglichst viel Materie zu Wesen ihrer Art verarbeiten wollen. Dieses Risiko besteht allerdings.

Es könnte aber auch sein, dass uns diese Maschinen ganz bewusst erhalten werden, nicht aus Sentimentalität, aber aus Klugheit, als eine Art eiserne Reserve. Die menschliche Gattung ist ja eine über Jahrmillionen hinweg erprobte homöostatische Art. Wir sind die anfänglichen Schöpfer der Maschinenevolution und falls da mal irgend etwas schief laufen sollte, könnte man auf uns zurückgreifen. (Wir würden allerdings in einer erheblich geringeren Zahl existieren als heute.) [7]

In ihren Reservaten und Naturparks hätten die Menschen Universitäten, Sinfonieorchester, Kunsthallen und Bibliotheken. Aber an Atombomben würden man sie nicht lassen. So wie wir heute kleine Kinder von Streichhölzern fernhalten. Die Menschen hätten einen höheren materiellen Lebensstandart als heute und sie hätten alle Rechte und Freiheiten, die Menschen in den freiheitliche Staaten haben. Lediglich ihre Selbstvernichtung und schlimmste Greueltaten wie Kriege und Massenmorde würden von den höheren Arten verhindert werden.

Ob es wirklich so kommen wird, ist offen. Es ist lediglich eine Möglichkeit, aber keine allzu unwahrscheinliche Möglichkeit. Die Menschen der Zukunft (wahrscheinlich wird niemand, der heute lebenden Menschen, das miterleben) wären von ihren materiellen Nöten und von ihren grundsätzliche Problemen (Kriege, Massenmorde, Armut, Elend) befreit, aber um den Preis, dass sie nicht mehr die Nummer Eins auf diesem Planeten wären und letztlich soetwas wie Repräsentanten einer früheren Entwicklungsstufe der Evolution.

Nun könnte man es als eine Kränkung des menschlichen Selbstbewusstseins ansehen, als unehrenhaft, wenn wir von anderen Wesen regiert und beherrscht werden. Aber die allermeisten Menschen werden sowieso regiert und beherrscht, ob ihnen das nun passt oder nicht. Und was sind denn das für Wesen, die uns jetzt regieren? Das sind z. B. Leute, die sich zu internationalen Kongressen treffen, dort feierlich beschließen, dass es keine Kriege, keine gewaltsamen Grenzveränderungen mehr geben darf, und wenn es dann kurz darauf doch zu solchen Ereignissen kommt, dann ziehen die gleiche Leute den Schwanz ein. Dann überlassen sie in einer Mischung aus Dummheit, Feigheit und Egoismus Millionen Menschen ihrem Schicksal. Anstatt Hilfe zu leisten, heuchelt man am laufenden Band von der angeblichen Unmöglichkeit solcher Hilfe. (Beispiel: Natürlich könnte die NATO die Serben innerhalb weniger Wochen zum Frieden zwingen. [8]) Wenn ich mir die Leute ansehe, die heute die Welt regieren, dann komme ich zu dem Schluss, dass ich mich lieber von intelligenten Maschinen regieren lassen würde. [9]


1.3. Gentechnologie

Neben der Möglichkeit, uns unter die Oberhoheit intelligenter Maschinen zu begeben, haben wir als Alternative uns zu ändern. Aber nicht in dem Sinne, wie es schon seit Jahrtausenden immer wieder erfolglos von diversen religiösen, philosophischen, politischen und sonstigen Bewegungen versucht wurde. Nicht durch bessere Erziehung oder Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das hat in der Vergangenheit nicht geklappt und wird auch in Zukunft nicht klappen. Wir müssten das Programm, nach dem der Mensch funktioniert, jedenfalls was seine natürliche Seite anbetrifft, das die Natur über Jahrmillionen hinweg »geschrieben« hat und das in unseren Genen abgespeichert ist, umschreiben oder weiterentwickeln. Wir müssen bei unserem heutigen wissenschaftlichen und technischen Entwicklungsstand nicht mehr auf die »großen Konstrukteure des Artenwandels« warten, wie Konrad Lorenz es nannte, wir können selbst die Konstrukteure des Artenwandels sein. Durch Anwendung der Gentechnik am Menschen.

Der Homo sapiens ist das Produkt einer langen Entwicklungskette aus dem Tierreich heraus über den Ramapithecus, den Australopithecus, den Homo habilis und den Homo erectus und es gibt überhaupt keinen Grund, ihn als Endglied dieser Entwicklung anzusehen. Und wir Menschen haben auch überhaupt kein moralisches Anrecht, dass die Entwicklung bei uns stehen bleiben sollte. Verhalten wir uns etwa so, dass wir von uns sagen könnten, wir seien es wert, die Krönung der Schöpfung zu sein? Doch wohl kaum. Aus uns können höhere Arten hervorgehen, die sich von uns in ihrem Erkenntnisvermögen, ihrer Gefühlsintensität und in ihrem ethischen und ästhetischen Empfinden sosehr unterscheiden werden, wie wir uns von den Schimpansen.

Nun ist es aber so, dass die Natur zur Hervorbringung höherer Arten in der Vergangenheit viele Hunderttausend oder Millionen Jahre gebraucht hat. Soviel Zeit haben wir aber nicht, weil wir uns vorher wahrscheinlich ausgerottet haben.

Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden wir die menschlichen Chromosomen vollständig entschlüsselt haben, dann werden wir einzelne Teile der Gene, bzw. das Zusammenspiel verschiedener Gene mit bestimmten Körpermerkmalen und Verhaltensweisen identifizieren können und wir werden dann die Möglichkeit haben, uns selbst durch Anwendung der Gentechnologie am Menschen zu verändern. Das ist keine Science-fiction mehr. Ob die Menschen der nächsten Generationen das auch machen werden, ist eine andere Frage. Können werden sie es aller Wahrscheinlichkeit nach. [10]

Und was bitte verlieren wir denn, wenn wir die Teile unserer Gene verändern, die uns dazu befähigen, uns hin und wieder wie Teufel zu benehmen? Was verlieren wir denn, wenn wir die Teile unserer Gene verändern, die uns dazu treiben, uns hin und wieder wie Idioten zu benehmen? Ich plädiere ja nicht dafür, aus dem Menschen einen seelenlosen Roboter von Fleisch und Blut zu machen. Die Teile unserer Gene, die uns dazu befähigen zu lieben, Mitleid zu empfinden, Verantwortung für die Mitmenschen, für die Welt, die will ich gar nicht verändert haben.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich fordere nicht dazu auf, morgen damit zu beginnen, auf Teufel komm raus mit menschlichen Genen oder Embryonen zu experimentieren. Dafür stehen wir noch viel zu sehr am Anfang dieser Forschungen. Größte Vorsicht und Bedächtigkeit ist geboten. Ich will aber eine gentechnische Veränderung des Menschen nicht von vornherein ausschließen. Man sollte darüber nachdenken. Man sollte die positiven Seiten einer solchen Entwicklung herausstellen. Erbkrankheiten einzelner Menschen gentechnisch zu behandeln wird ernsthaft erwogen. Warum denn nicht auch »Erbkrankheiten«, von denen die ganze Gattung betroffen ist?

Ein Problem ist allerdings, dass es besonders zu Beginn, wenn die Technik noch nicht ausgereift ist, zu Fehlern kommen wird. Und wie in allen Lebensbereichen wird es auch hier Kriminalität geben. Was machen wir, ganz brutal ausgesprochen, mit den Fehlschlägen? Abtreibung in den ersten drei Monaten ist auch heute schon erlaubt und wird massenhaft praktiziert. Und einen bestimmten Prozentsatz an körperlich und geistig behinderten Menschen haben wir heute schon. Die Natur arbeitet auch nicht perfekt.

Wie weit künftige Generationen dann gehen werden, bei der gentechnischen Veränderung des Menschen, ob sie vielleicht so weit gehen werden, dass irgendwann vom ursprünglichen Ausgangspunkt nicht mehr viel bleibt, werden andere entscheiden. Möglich ist vieles. (Die Veränderung könnte theoretisch so weit gehen, dass wir uns mit intelligenten Maschinen vernetzen, mit ihnen eins würden.)

»Menschenverachtend!« werden mir natürlich viele entgegen schreien. Dem möchte ich einen etwas abgewandelten grün-linken Spruch entgegenstellen: »Wer will, dass der Mensch bleibt, wie er ist, will nicht, dass er bleibt!«

Und außerdem: Die allermeisten Menschen unternehmen gegen die heute bestehenden menschenverachtenden Ereignisse nichts. Laut UNICEF verhungern täglich 35.000 Kinder. (Wenn man das hochrechnet, sind es seit Ende des 2. Weltkrieges über 500.000.000.) Ich könnte noch hunderte weiterer Unmenschlichkeiten aufzählen. Deshalb kann ich moralische Aufgeregtheiten überhaupt nicht ernst nehmen.

Und weiter, wenn die gentechnische Veränderung des Menschen ersteinmal möglich ist, dann wird davon auch Gebrauch gemacht, selbst wenn dies von der UNO und den allermeisten Länder der Welt geächtet werden sollte. Tausende, zehntausende Wissenschaftler zu überwachen ist gar nicht realisierbar. (Um es mal ganz naiv auszudrücken: Die Bösen machen's sowieso! Und wenn die Guten es nicht machen, dann sind sie wieder mal die Blöden.)

Und Artenwandel hat es auf der Erde schon immer gegeben, sonst wären die Menschen gar nicht entstanden.

Vor ca. 8 Millionen Jahren lebte auf der Erde der Ramapithecus, ein Vorfahre von uns. Er stand dem Affen noch deutlich näher als dem Menschen, zeigte aber bereits anatomische Merkmale, die vom Affen weg zum Menschen hin führten. Stellen wir uns einmal vor, die Ramapithecinen hätten schon so diskutieren können, wie wir heute. Und da hätte eines Tages ein Ramapithecus zu den anderen Ramapithecinen gesagt: »Ich plädiere dafür, dass die Gattung der Ramapithecinen sich weiterentwickeln sollte. Unsere Nachfahren in hunderten oder tausenden von Generationen sollten nicht auf dem gleichen intellektuellen und gefühlsmäßigen Niveau bleiben, auf dem wir heute sind. Sie sollten sich so weiterentwickeln, dass es eines Tages gar keine Ramapithecinen mehr gibt, sondern eine andere höhere Gattung.«

Da hätten ihm die anderen Ramapithecinen im Chor entgegengeschrien: »Ramapithecusverachtend! Was bist du bloß für ein Ramapithecus, dass du die Abschaffung deiner eigenen Art verlangen kannst. Diese kleinen niedlichen Wollknäuel, die unsere Weibchen an ihren Brüsten nähren, sollen eines Tages nicht mehr geboren werden? Statt dessen sollen irgendwelche großhirnigen haarlosen Monster zur Welt kommen? Igitt! Du bist ja schlimmer als Hitler. Der wollte wenigstens noch den arischen Ramapithecus leben lassen.«

Heute gibt es den Ramapithecus nicht mehr. Und mit Ausnahme einiger Radikalökologen, die meinen, dass wir nie die Bäume hätten verlassen sollen, betrachtet das kein Mensch als Nachteil.

Sollte es zu einer solchen Entwicklung kommen, für mich ist dies lediglich eine weitere Möglichkeit, aber eine nicht sehr unwahrscheinliche, dann würden unsere Nachfahren in x Generationen, die sich von uns ähnlich unterscheiden werden, wie wir uns vom Ramapithecus, unsere Abwesenheit auch nicht bedauern. Sie werden vielleicht ehrend an uns zurückdenken, wenn wir uns nicht zufällig, sondern gezielt in ihre Richtung hin entwickelt haben. Warum sollen wir es dem Zufall überlassen, wohin die Menschheit geht? Warum sollen wir nicht auch hier die bewussten Schöpfer unserer Zukunft werden? [11]


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Diesen Text habe ich im Sommer 1995 geschrieben, im Internet im Herbst 1998 veröffentlicht und hierfür überarbeitet. Im Laufe der Jahre wurde er durch einige Sätze, Absätze und Anmerkungen erweitert.


Anmerkungen

Anm. 1: Für das menschliche Denken hat jede Wirkung eine Ursache. Aber das vom Menschen unabhängig existierende Sein muss nicht so sein, wie der Mensch denkt. Das Sein als Ganzes könnte eine Existenz- und Funktionsweise haben, die das menschliche Denkvermögen übersteigt. Zurück zum Text

Anm. 2: Das Elend des Historizismus, Vorwort zur englischen Ausgabe von 1957. Popper schrieb sein Buch gegen den negativen Fatalismus von Oswalt Spengler, der den unabwendbaren Untergang des Abendlandes voraussagte und gegen den positiven Fatalismus von Karl Marx, der den unabwendbaren Aufstieg der Menschheit zum Kommunismus voraussagte. Zurück zum Text

Anm. 3: Das von  Popper benutzte englische Wort »propensities« hat meines Wissens keine Entsprechung im Deutschen. »Wahrscheinlichkeit« kommt dem nahe, besagt aber nicht das Gleiche. Zurück zum Text

Anm. 4: Es scheint in der menschlichen Psyche ein Mechanismus zu sein, der uns beruhigt. Wir verdrängen, wir bagatellisieren. »So schlimm wird es schon nicht kommen.« »Die Menschen haben bisher immer Wege gefunden.« etc. Dieser Mechanismus, ohne den wir vielleicht kein glückliches, sorgenfreies Leben führen könnten, könnte der menschlichen Gattung dieses mal zum Verhängnis werden. Zurück zum Text

Anm. 5: Nicht nur das Gefühl, auch das allgemeine Niveau eines Wesens, sein allgemeiner Entwicklungsstand spielt eine Rolle. Die Höhe des intellektuellen Niveaus ist nicht ohne Bedeutung. Das heißt aber nicht, dass die Vernunft unmittelbar ethische Werte festlegen kann, wie z. B. Kant behauptet. Zurück zum Text

Anm. 6: Was man allerdings auch mit Menschen machen kann und in der Geschichte oft genug gemacht hat. Zurück zum Text

Anm. 7: Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich plädiere nicht dafür massenhaft Menschen zu vernichten, um ihre Zahl zu reduzieren. Ich will keinem einzigen lebenden Menschen sein Existenzrecht absprechen. Es geht darum, was sich in Zukunft entwickelt. Das Entstehen eines Menschen zu verhindern ist nicht das gleiche, wie einen bestehenden Menschen umzubringen, auch wenn die Katholische Kirche etwas anderes behaupten. Zurück zum Text

Anm. 8: Diesen Aufsatz habe ich 1995 geschrieben, noch bevor die NATO innerhalb weniger Tage durch Luftangriffe die militärische Infrastruktur der bosnischen Serben zerstört hatte. Heute (im Mai 1999) ist es schwieriger. Auf grund jahrelangen Zögerns und inkonsequenter Verfolgung der bereits auf dem Balkan begangenen Kriegsverbrechen (und nicht zuletzt inkonsequenten Umgangs mit anderen Diktaturen – Irak), hat man die Serben zu noch größeren Verbrechen ermutigt. (Pauschal die Serben zu sagen ist natürlich unfair denjenigen Serben gegenüber, die an den Verbrechen nicht beteiligt sind, sie nicht leugnen und sie verurteilen.) Außerdem geht die NATO nach dem Motto vor: »Wasch' mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.« Die NATO hat durch ihre Luftangriffe die Vertreibungen und Massenmorde an den Kosovare ganz entscheidend beschleunigt und vergrößert, kommt den Menschen am Boden aber nicht zu Hilfe, weil man dann eigene Soldaten verlieren würde. Den Diktator, der Hauptursache aller Verbrechen und allen Leides ist, ganz gezielt umzubringen, sei ethisch nicht vertretbar. Ethisch vertretbar ist es aber scheinbar tausende vom Zivilisten zu töten und dem serbischen Volk als ganzem einen wirtschaftlichen Schaden von einigen hundert Milliarden Mark zuzufügen. Für mich ist das, was gegenwärtig in Serbien und Umgebung abläuft, sowohl von Seiten der Serben wie von Seiten der NATO, mal wieder ein Ausdruck menschlicher Dummheit in Reinkultur. Und ein weiterer Grund, die Menschheit  aufzuheben. (Nachtrag Januar 2014: In Syrien ist es seit über zwei Jahren noch schlimmer. Die Weltgemeinschaft, die freien Völker lassen das syrische Volk im Stich. Das ist die größte Menscherei (beinahe hätte ich Sauerei geschrieben) seit Jahrzenten. Hätte man es gemacht wie in Libyen oder hätte man vor zwei Jahren den Diktator per Tyrannenmord aus der Welt geschafft (z. B. per US-Drone) dann wären heute 100.000 andere Menschen noch am Leben, nicht Millionen auf der Flucht, nicht tausende totgefoltert etc. pp. Auch die Islamisten spielten am Anfang nicht die Rolle, die sie inzwischen haben. Zurück zum Text

Anm. 9: Bei aller Kritik an den Politikern, sie sind letztlich nur ein Spiegelbild der Gesellschaft bzw. der Menschen, die sie gewählt haben. Politiker sind im Großen und Ganzen nicht besser und nicht schlechter als die übrige Menschheit. Zurück zum Text

Anm. 10: Es kann sich herausstellen, dass nicht einzelne Gene für bestimmte Verhaltensweisen verantwortlich sind, sondern ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gene. Dies würde eine Veränderung zwar beträchtlich erschweren, wäre aber kein prinzipieller Hinderungsgrund. Auch die Epigenetik, nach der Körpermerkmale und Verhaltensweisen nicht nur durch die vorhandenen Gene bestimmt werden, sondern auch durch Aktivierung oder Nichtaktivierung dieser Gene – was wiederum mit Erlerntem und Verhalten der Vorfahren zu tun haben kann, stellt kein Hinderungsgrund da. Es zeigt lediglich, dass die genetische Bestimmung nur ein Faktor ist, der von anderen Faktoren, z. B. Erziehung, Gesellschaftsgestaltung u. ä. m. ergänzt werden muss. In meinem philolex-Essay  Ein Plädoyer für die Gentechnologie habe ich mich dazu näher geäußert. Zurück zum Text

Anm. 11: Mit der Gentechnologie ist es wie mit den Atombomben. Als sie einmal in der Welt waren, konnte man sie nicht wieder los werden. Und wenn irgendwo ein neuer Politiker an die Macht kommt, Präsident, Generalsekretär oder was auch immer und den ehrlichen Wunsch und die ehrliche Absicht hat dieses Teufelszeug abzuschaffen, hat er überhaupt keine Chance. Selbst wenn alle Atommächte sich entschließen sollten ihre Bomben zu verschrotten (was überhaupt nicht absehbar ist), welcher von den ca. 200 Staaten auf der Erde wird morgen solche Waffen produzieren? Inzwischen ist Pakistan Atommacht, morgen vielleicht die Fitschi Inseln. Nein, der Zauberwunsch ist getan und lässt sich nicht wieder zurücknehmen.

Und mit der Gentechnik ist es das Gleiche. Selbst wenn 99% aller Menschen und aller Staaten Gentechnologie ablehnen und verbieten sollten, es wird immer welche geben, die es trotzdem machen. Die Menschheit hat einen wissenschaftlich-technischen Entwicklungsstand erreicht, an dem sie mit solchen Dingen leben muss oder mit solchen Dingen untergehen muss. Es gibt keinen Weg zurück. – Zurück zum Text


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