Hans-Peter Dürr

Hans-Peter Emil Dürr (1929–2014) war ein deutscher Physiker, Direktor am Max-Planck-Institut für Physik und Mitarbeiter von Werner Heisenberg. Er beschäftigte sich auch mit Philosophie und kann auf Grund seiner Aussagen als  Idealist und Pantheist bezeichnet werden.

Seine philosophisch sehr bedeutsame These ist, dass aus Sicht der modernen Physik, der  Quantenphysik, nicht nur die Materie, sondern auch die Energie im Grunde nicht existiere. Was existiere seien Verbundenheiten, ohne dass wir etwas sagen könnten, über das, was verbunden ist.

(Schon  Cusanus sah die Welt als Beziehungsgeflecht. Auch der Strukturalismus sieht es ähnlich.)

Nach Dürr sind Materie und Energie geronnener, erstarrter Geist. Wir seien ein Meer, das selbst nicht materiell sei, aber die Wellen auf diesem Meer, darauf türme sich die Materie, wie die Schlacke des Geistes.

Bezogen auf die Quantenwelt müssten wir uns eigentlich einer reinen Verb-Sprache bedienen: wirken, schwingen, passieren, verbinden. Es gäbe dort keine Dinge, die Substantive rechtfertigen würden.

Wir hätten die Materie in immer kleinere Teile zerlegt, bis keine Materie mehr da war. Nur noch schwingen, eine Schwingungsfigur. Unterhalb von Materie und Energie sei etwas gänzlich anderes: Lebendigkeit.

Die Felder in der Quantenphysik seien immateriell, es seien Informationsfelder, die mit dreidimensionalen Raum, mit Masse und Energie nichts zu tun hätten.

Die Frage was existiere, könne nicht mehr gestellt werden, nur die Frage was passiere. Die Welt sei nicht immateriell, sondern a-materiell. Die Frage nach der Materie sei sinnlos geworden. [Wie die Frage, wie hoch der Himmel ist. Das Blaue da oben.]

Es gebe echte Kreativität. (Das widerspricht z. B. Platon, nachdem in der Welt der  Ideen alles schon da ist.) Die Welt und die Zukunft seien offen. Wir könnten gestaltend eingreifen. Die Zukunft sei nicht determiniert, (wie schon Heisenberg meinte), aber auch nicht beliebig. Was vorher war, scheint die Zukunft zu beinflussen, es gebe Tendenzen. (Popper sagt dazu  propensities.)

Im täglichen Leben gelte die zweiwertige Logik. In der Quantenwelt herrsche eine mehrwertige Logik, nicht nur Ja oder Nein, sondern Sowohl / Als auch. [Schon in der Welt unserer Erlebnisse herrscht eine mehrwertige Logik. Bloß viele Menschen bemerken das nicht. Das dialektische Denken trägt dem Rechnung.]

Wir hätten überhaupt nur das Eine. Aber dieses Eine sei differenziert. [Auch hier wäre dialektisches Denken angesagt. Eine der  vier Antinomien Kants aus der  Kritik der Reinen Vernunft ist: Es gibt nur einfache Teile oder was aus ihnen zusammengesetzt ist und es gibt keine einfachen Teile und nichts Zusammengesetztes. Hegel meinte, diese Anatomien dialektisch »überwunden« zu haben. Beide Aussagen seien objektiv wahr. Die Quantenphysik deutet doch gerade in die Richtung, dass die widersprechende Aussagen gleichermaßen wahr sind.]

Solange man glaube, sich die Quantenwelt vorstellen zu können, liege man falsch. Im Quantenbereich widerspräche die Wirklichkeit den Naturgesetzen. [Und unserem Denk- und Vorstellungsvermögen.] Die Wirklichkeit sei schwammig, vieldeutig.

Die Naturwissenschaft habe einen Entwicklungsstand erreicht, wo sie den Anspruch, einmal alles wissen zu können, aufgeben müsse.

Nach  Popper sind unsere wissenschaftlichen Theorien geistige Netze, mit denen wir die Wirklichkeit einzufangen versuchten. Erkennen könnten wir nur, was in den Netzen hängen bliebe. Dürr benutzt eine noch drastischere Metapher. Unsere Erkenntnismethoden glichen einem Fleischwolf. Oben wird die Wirklichkeit rein gestopft und unten kommen Würstchen raus. Und wir sagen dann: »Die Wirklichkeit ist aus Würstchen zusammengesetzt.« Unsere Erkenntnismethoden würden die Welt schaffen. Jedenfalls die Welt, so wie sie für uns da ist.


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