Extropianismus



Kurzbeschreibung des Extropianismus

Der Extropianismus ist eine bedeutende Strömung innerhalb des Transhumanismus. Vieles, was ich in Artikeln über diesen geschrieben habe, trifft auch für den Extropianismus zu. (Alle Extropianer sind Transhumanisten, aber nicht alle Transhumanisten sind Extropianer.)

Max More (ursprünglich Maximilian O'Connor) Engländer, bzw. Schotte. Studierte und promovierte in Oxford. (Philosophie) »Flüchtete« dann nach Kalifornien (seine eigene Bezeichnung des Vorgangs), da er den Pessimismus, die Technikfeindlichkeit und die Kleingeisterei seiner Umgebung nicht mehr ertragen konnte. Gründete dort das Extropy Institut und rief damit den Extropianismus und die extropianische Bewegung ins Leben.

Extropie ist ein Wort, dass als Gegenbegriff zur Entropie gebildet wurde. Nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiesatz) besteht in allen geschlossenen Systemen die Tendenz, dass sich alle Energiedifferenzen ausgleichen, bis alles »Gefälle« verschwunden ist. Nach diesem Lehrsatz ist auch unser Universum diesem Schicksal geweiht, es wird einst den »Wärmetod« erleiden. Die Extropianer haben nicht weniger vor, als das zu verhindern. (Präziser ausgedrückt, More behauptet, unser Universum sei kein geschlossenes System, jedenfalls nicht unabänderlich.)

Extropie bedeutet zunehmende Ordnung, Information, Vitalität, Intelligenz und Kapazität für künftiges Wachstum und permanenten Fortschritt.

Eine wichtige Grundaussage Max Mores:

»Wir werden uns zusammen mit den Produkten unseres Verstandes entwickeln. Wir werden uns ihnen anpassen, und wir werden schließlich mit unserer intelligenten Technologie zu einer posthumanen Synthese verschmelzen, womit wir unsere Möglichkeiten endlos erweitern werden und unsere Freiheit vergrößern.«



Es gibt einige Tausend Extropianer, die in ihrer Mehrheit in Kalifornien leben. Zu ihnen gehören berühmte Vertreter des wissenschaftlich-technischen Fortschritts.

In den Extropianischen Prinzipien sind die Grundauffassungen des Extropianismus wiedergegeben. Diese erscheinen wie Computerprogramme mit Versionsnummern, um zu demonstrieren, dass es sich um den gegenwärtigen Entwicklungsstand handelt. Änderungen bzw. Weiterentwicklungen aber wahrscheinlich sind.

Im folgenden Auszüge aus einer deutschen Übersetzung von Torsten Nahm, die in früheren Jahren im Internet gepostet war. Die deutsche Übersetzung gibt zwar den Inhalt richtig wieder, hat aber nach meinem Geschmack nicht den Schwung des Originals.

Die Extropianischen Prinzipien sind in 7. Punkten unterteilt:

  1. Kontinuierlicher Fortschritt – Das Verlangen nach mehr Intelligenz, Weisheit und Effektivität, nach unbegrenzter Lebensdauer und der Beseitigung politischer, kultureller, biologischer und psychologischer Grenzen der Selbstverwirklichung. Die Überwindung von Hindernissen, die unserem Fortschritt und unseren Möglichkeiten im Wege stehen. Die Besiedlung des Weltalls und grenzenloser Fortschritt.
  2. Selbstverbesserung – Permanente  moralische, intellektuelle und körperliche Arbeit an sich selbst durch kritisches und kreatives Denken, individuelle Verantwortung und durch selbstbestimmte Experimente. Das Streben nach Erweiterung unserer biologischen und neuronalen Fähigkeiten sowie nach emotionaler und psychologischer Vervollkommnung.
  3. Aktiver Optimismus – Positive Erwartung als Antriebskraft des Handelns. Vernunftbasierter, auf das Handeln abzielender Optimismus statt blindem Glauben und zögerlichem Pessimismus.
  4. Intelligente Technologie – Der kreative Einsatz von Wissenschaft und Technik, um die »natürlichen« Grenzen unserer biologischen Herkunft, Kultur und Umwelt hinter uns zu lassen. Technik nicht als Selbstzweck, sondern als effektives Mittel, um das Leben zu verbessern.
  5. Offene Gesellschaft – Das Streben nach einer Gesellschaft, die freie Meinungsäußerung, unabhängiges Handeln und selbstbestimmtes Experimentieren zulässt. Widerstand gegen autoritäre Kontrolle, der Wunsch nach der Regelung durch Gesetze und dezentrale Macht. Verhandlung statt Gewalt, freier Austausch statt Zwang. Offenheit für neue Entwicklungen, kein starres Utopia.
  6. Selbstbestimmung – Die Forderung nach unabhängigem Denken, individueller Freiheit und Verantwortung, Selbstbestimmung, Selbstachtung und gegenseitigem Respekt.
  7. RationalitätVernunft statt blindem Glauben, kritischer Diskurs statt Dogmatismus. Offenheit gegenüber Kritik an unseren Überzeugungen und Verhaltensweisen, die Suche nach ständiger Verbesserung und die Offenheit gegenüber neuen Ideen.

Meine Kritik am Extropianismus

Zuersteinmal möchte ich betonen, dass ich in vielen Punkten den Extropianern zustimme. Vieles, was in den Extropianischen Prinzipien steht, spricht mir aus dem Herzen. Was dort an Optimismus, an Technik- und Fortschrittsbejahung steht, dass ist mir tausendmal lieber als diese Kleingeisterei, dieser Provinzialismus, diese Technik- und Fortschrittsfeindlichkeit, die unter den »Linken« und »Grünen« – wo ich ursprünglich mal meine Wurzeln hatte – weit verbreitet ist.

Was mir aber von Anfang an nicht gefallen hat, ist, dass die Euphorie und das Wunschdenken häufig mit den Leuten durchgeht. In seinen frühen Artikeln sprach Max More noch von Lebenszeitverlängerung (400 Jahre), kurz darauf erhoffte er sich aber schon die Unsterblichkeit. (Diese halte ich für unmöglich. Sehen Sie hierzu meinen Artikel Ist der Tod überwindbar?.)

Die Extropier erhoffen sich für die eigene Person, was aller Wahrscheinlichkeit nach – wenn überhaupt realisierbar – erst für spätere Generationen von Nutzen sein wird.

Der Anarchismus ist in der Regel mit linken Vorstellungen verbunden. Die Extropianer verbinden anarchistische mit kapitalistischen Vorstellungen. Die Idealisierung des »american way of life« wird von ihnen ins anarcho-liberalistisch-kapitalistische überspitzt. Der Staat soll durch freiwillige Gruppen ersetzt werden. Dabei wird der ökonomischen – und damit auch weitergehenden – Macht von Firmen, besonders von Großkonzernen und multinationalen Konzernen mit kaum überbietbarer Blauäugigkeit begegnet. (Hier ist einer der Punkte, wo sich die Extropianer von anderen Transhumanisten unterscheiden.)

Gesellschaftliche Faktoren für erfolgreiches Leben werden unterschätzt.

Die Extropianer sind verbal  Agnostiker, faktisch aber  Materialisten mit starken Tendenzen zum Dogmatismus, auch wenn sie sich verbal ständig von ihm abgrenzen.

Sosehr ich auch die Technik schätze und für die Zukunft viel von ihr erwarte, es gibt auch andere schöne und für mich unverzichtbare Lebensbereiche: Philosophie, Kunst, Ethik, Soziales. Diese Bereiche kommen bei den Extropiern zu kurz.


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