Sven Zprottenkopp

Die Stapler

(Angeregt durch Tucholskys Kurzgeschichte Laternenanzünder und nach einigen Tagen Arbeit als Hilfsstapler geschrieben.)

An einem der wichtigsten volkswirtschaftlichen Brennpunkte, genau zwischen Produktion und Distribution, wirkt eine Gruppe hochqualifizierter Facharbeiter. Stapler sind es, die dort die gefertigten Waren in allerhand Kartons, Kisten und Säcke verpacken und kunstvoll auf bereitgestellte Paletten aufstapeln.

Die Laufbahn des Staplers beginnt (mit Ausnahme der nur wenigen angelernten Hilfsstapler) mit einer dreieinhalbjährigen Leere.

Die praktische Ausbildung im Betrieb umfasst u. a.: Auf- und abstapeln, hin- und herstapeln, umstapeln, verbundstapeln, Gebrauch des Hubwagens u. ä. (Vorsicht Berufsanwärter! Die gängigste Art den neuen Staplerleerling zu verarschen, besteht darin, ihn ins Magazin zu schicken, um eine neue Hupe für den Hupwagen zu besorgen.)

Daneben erfolgt eine umfassende theoretische Bildung in der Stapler-Berufsschule. Das Lernprogramm umfasst u. a.: Stapelei und Palettenkunde, Statik, die Wissenschaft des Verbundstapelns, künstlerische Gestaltung, die verschiedenen Kartongrößen (das »Zwei-verschieden-große-Kartons-Paradoxon« unter besonderer Berücksichtigung des »Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxons« in der Quantenmechanik.)

Wie nicht anders zu erwarten bei einem Beruf, dessen Wurzeln bis in die Antike zurückreichen (es sei hier nur daran erinnert, dass das Stapelrecht zu den ältesten geschriebenen Gesetzeswerken Europas gehört), kommt auch die historische Bildung nicht zu kurz. Behandelt werden besonders die wichtigsten Stapelplätze des Mittelalters.

Nach bestandener Gesellenprüfung erfolgt die feierliche Ernennung zum Fachstapler durch die Staplerinnung. Zwei Jahre später bei guter Führung die Berufung zum Stapler auf Lebenszeit. Jetzt stehen dem Tüchtigen weitere Aufstiegsmöglichkeiten offen: Oberstapler, Hochstapler und Gabelstapler.

Nicht nur im Beruf, auch in der Öffentlichkeit stehen die Stapler ihren Mann. Zusammengeschlossen sind sie im Bundesverband Deutscher Stapler, der sich erst vor kurzem aus der linkslastigen ÖTV verabschiedet hat.

Die Stapler mit ihrem feinen politischen Gespür, geschult u. a. durch regelmäßige Diskussionstreffen mit Berufskollegen in den Stapler-Stammkneipen, bemerkten mit als erste die schleichende Linksabweichung der von Intellektuellen unterwanderten SPD und stellen innerhalb der Arbeitnehmer, die es heute vorziehen, die CDU zu wählen, eine der stärksten Gruppen.

Im vergangenen Monat hielten die Stapler im schleswig-holsteinischen Stapelholm ihr diesjähriges Verbandstreffen ab. Die Eröffnung machte wie immer der Einmarsch der Lokalverbände, vorneweg der Traditionsverband »Hominis dictus stapelude de Tremonia« (Dortmund) mit ihrem schmucken Verbandswappen, den gekreuzten Paletten an Eichenlaub und Schwertern, und dem Motto: »Stapula privilegium est«.

Der Vorsitzende des Verbandes, Freiherr von und zu Stapelburg (Oberharz), hielt das vielbeachtete Einleitungsreferat: »Über die Bedeutung der Euro-Palette für die west-europäische Integration« und ließ auch noch manch anderes vom Stapel, das sich all die kulturpessimistischen Nestbeschmutzer, die sich auf Kosten der Stapler und der anderen arbeitenden Menschen in der sozialen Hängematte ausruhen, mal gewaltig hinter ihre dreckigen Ohren schreiben sollten.

Auch in der Leibesertüchtigung sind die Stapler sehr aktiv und haben das Sportleben durch viele interessante Disziplinen bereichert. Genannt sei hier nur der berühmte Stapellauf (manchmal irrtümlich auch Staffellauf genannt) und der Stapelhochsprung.

Studentische Hilfskräfte, die ausnahmsweise bei starkem Arbeitsanfall beschäftigt werden (aber wann haben Studenten schon mal starke Arbeitsanfälle?), unterschätzen zumeist die hohen Anforderungen, die diese Tätigkeit stellt und gehen über die fachlichen Ratschlägen der sie beaufsichtigenden Oberstapler fast immer mit einer unerträglichen Arroganz hinweg, die allerdings häufig gemeinsam mit ihrem ersten Stapel in sich zusammenfällt.

Diesen Dilettanten, die meistens noch nicht einmal wissen, wie ein Besen aussieht, fehlt es auch in der Regel, neben den statischen und verbundtechnischen Kenntnissen an dem, wie es in der Fachsprache der Stapler heißt, nötigen »Stumpfsinn«, um bei dieser Arbeit echte Erfüllung zu finden.

Hauptschulabgänger haben es beim heutigen Leerstellenmangel auch hier schwer. Mittlere Reife oder gar Abitur wäre von Vorteil. Und was ist denn letztlich besser? Erst an die Uni und dann mit einem Doktor in Soziologie oder sowas ähnliches in die Fabrik zum stapeln, oder gleich die Staplerleere und später die akademischen Hilfsarbeiter zusammenscheißen dürfen? Da wüsste ich doch wohl, was ich täte. (Wenn ich noch einmal wählen könnte.)


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