Sven Zprottenkopp

Gedanken über das Schlachten

Ich finde es überhaupt nicht schön, wenn Menschen andere Menschen ermorden. Nicht weil es verboten ist – es ist ja gar nicht immer verboten, auch nicht in unserer heutigen Zeit –, sondern weil sich mein Gefühl dagegen sträubt. Und zwar nicht nur wenn Privatleute sozusagen auf eigene Initiative hin morden, sei es nun aus Habgier, Rache oder für irgendwelche hehren Ziele (zur Verbesserung der Welt zum Beispiel). Ich finde es auch nicht schön, wenn Menschen mit staatlichem Auftrag morden, zum Beispiel wenn sie sich vorher verkleiden, sich dann in großen Scharen auf irgendeinem Feld treffen und sich dort dann gegenseitig schlachten. Das gibt es! Sowas nennt man Schlachtfeld.

Soweit ich weiß, gibt es keinen Staat auf der Welt, der nicht diese Institution unterhält, in die junge Menschen, meist Männer, eingezogen werden, um dort zu lernen, wie man möglichst viele Menschen schlachtet, bevor man selbst geschlachtet wird.

Allerdings werden die Menschen, die sich auf solchen Feldern treffen und deren Auftraggeber, weit von sich weisen, dass dort geschlachtet wird. Das ist eine üble Verleumdung von Zynikern und Kulturpessimisten, die meistens bewusst oder unbewusst für die andere Seite arbeiten. Es werden auf diesen Feldern zwar Schlachten (Substantiv!) geschlagen, aber schlachten (Verb!) tut dort keiner. Höchstens der Gegner. Denn dort (und nur dort) befinden sich die Kriegsverbrecher, als wenn der Krieg nicht selbst schon ein Verbrechen wäre, oder ein Ausbrechen menschlicher Aggressivität, Dummheit und Grausamkeit.

Auf solchen Schlachtfeldern wird nicht geschlachtet. Dort kämpfen Soldaten tapfer für ihr Vaterland oder für die Freiheit oder den Kommunismus oder die wahre Religion oder sowas ähnliches. (Und nicht etwa, wie böse Zungen behaupten, für die Habgier oder den Fanatismus einiger Kapitalisten und Bonzen.)

Ein Soldat, der bei solchen Unternehmungen ums Leben kommt, gilt deshalb auch nicht als geschlachtet – selbst dann nicht, wenn man beim Anblick der Leiche bzw. der Leichenteile exakt das vermuten würde –, auch nicht als ermordet, sondern als »gefallen«. Schön neutral. Das kann ja jedem mal passieren, dass er mal fällt.

Unterscheiden muss man zwischen einem gefallenen Soldaten und einem gefallenen Mädchen. Gefallene Mädchen stehen manchmal wieder auf, ein gefallener Soldat nicht. Weil ihm eine Kugel das Gehirn oder das Herz zerfetzt hat. Oder es ist ihm ein Granatsplitter in den Bauch geflogen und er quält sich noch einige Tage, bis er nicht nur gefallen, sondern auch tot ist.

Sowas nennt man dann »Heldentod«. Über die Gräber solcher Soldaten stellt man gern hübsche Steine mit netten Sprüchen drauf. Und viele Jahre oder Jahrzehnte später, wenn sich die Auftraggeber des Schlachtens ... äh, der Schlachten oder deren Nachfolger wieder vertragen haben, dann treffen die sich an einem solchen Stein, schütteln sich die Hände und sagen, sowas dürfe nie wieder passieren. Jedenfalls nicht zwischen uns. Denn wir haben ja inzwischen einen gemeinsamen Feind, gegen den wir demnächst unsere Soldaten schicken müssen ... tschuldigung, vor dem uns unsere Soldaten beschützen müssen. Denn wir fangen ja nicht an mit dem Schlachten. Höchstens präventiv. Wir haben unsere Soldaten überhaupt nur, weil die anderen auch welche haben.

Von den Schlachtfeldern zu unterscheiden sind die Schlachthäuser. Hier schlachten nicht Menschen Menschen – dafür baut man, von Ausnahmen abgesehen, nicht extra Häuser – hier schlachten Menschen Tiere, um sie zu essen. Manchmal aber auch nur, damit die Tiere danach zu Hälften zerteilt in irgendwelchen Kühlhäusern rumhängen. Nicht etwa, weil es keine Menschen gäbe, die das Fleisch brauchen könnten, sondern weil die betreffenden Menschen kein Geld haben, um sich diese Fleisch zu kaufen. Die verhungern dann. Während die armen Schweine in Dosen eingemacht auf ihre Endlagerung warten. (Da gibt es in Brüssel extra Spezialisten, die nach einer Endlösung der Schweinefrage suchen.) Aber dies ist eigentlich schon ein anderes Thema und eine andere Abteilung innerhalb dieses sadistischen Irrenhauses, das wir »Erde« nennen.

Von den Schlachthäusern wiederum sind zu unterscheiden die Tierversuchsanstalten. Dort schlachten zwar auch Menschen Tiere, aber nicht so schnell und auf subtilere Weise. In einigen Gegenden der Welt werden sogar auch noch Menschen auf diese Weise geschlachtet, aber der Papst hat sowas auf seiner letzten Südamerikareise als »unzivilisiert« (nicht unmenschlich) verurteilt. (»Sehen sie, wir foltern ja auch schon lange nicht mehr und die Geschäfte laufen trotzdem hervorragend.«)

Es gibt Leute, die behaupten, solange es Schlachthäuser gibt, wird es auch Schlachtfelder geben.

Aber es gibt jetzt eine Hoffnung, dass wir die Schlachtfelder loswerden, auch ohne die Leichenfresserei einzustellen. Nicht etwa – wie Angsthasen befürchten – dadurch, dass sich die Menschheit demnächst in einem Atomkrieg oder einer globalen Ökokatastrophe selbst ausrotten wird, sondern auf viel elegantere Weise.

Unser Bundeskanzler hat nämlich erklärt, dass die SDI-Systeme, die die Amerikaner im All stationieren wollen, gar keine Waffen im herkömmlichen Sinne sind. Sondern das sind »Instrumente zur Verhinderung eines Krieges«, also »Kriegsverhinderungsinstrumente« oder »Friedenserhaltungsinstrumente« oder kurz: »Friedensinstrumente«. Und da unser Bundeskanzler vorhat, Frieden zu schaffen mit immer weniger Waffen, kann man davon ausgehen, dass die Waffen nach und nach durch Friedensinstrumente ersetzt werden.

Und unser Verteidigungsminister – der früher, als die Menschen noch nicht ganz so verlogen waren wie heute »Kriegsminister« hieß und morgen vielleicht schon »Friedensminister« heißen wird –, der hat die Bundeswehr zur größten Friedensbewegung der Nation erklärt. Und das machen die anderen Friedensminister in Ost und West und Nord und Süd mit ihrer Armee ja genauso.

Und so kann es kommen, dass wir in Zukunft tatsächlich keine Kriege und keine Schlachtfelder mehr haben werden. Es werden sich lediglich hin und wieder die Friedensbewegungen zweier oder mehrerer Staaten treffen, auf sogenannten »Friedenserhaltungsplätzen« oder an sogenannten »Friedenserhaltungslinien« und sich dort mit ihren Friedensinstrumenten dann gegenseitig den ewigen Frieden bereiten.

(Ein Tip zum Schluss: Nehmen Sie sich mal ein etwas umfangreicheres Wörterbuch und schlagen sie dort das Wort »Krieg« nach. Lesen Sie nun bei allen folgenden Wörtern und Wortverbindungen statt »Krieg« immer »Frieden«. Sie werden sich wundern, wieviele dieser Wörter bereits im Gebrauch sind. Und amüsant ist es auch. Jedenfalls für Leute, die nichts gegen schwarzen Humor haben.)


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